BGH 5.4.2016, II ZR 62/15

Auf die Kapitalerträge der Insolvenzmasse erhobene Kapitalertragsteuer ist auch im Insolvenzverfahren als Abzug von Gesellschaftskapital anzusehen

Die nach § 43 Abs. 1 S. 1 EStG durch Abzug auf die Kapitalerträge der Insolvenzmasse erhobene Kapitalertragsteuer ist ebenso wie der darauf entfallende Solidaritätszuschlag auch im Insolvenzverfahren vermögensmäßig als Abzug von Gesellschaftskapital anzusehen und wegen der steuerlichen Anrechnung auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer der Gesellschafter wie eine Entnahme zu behandeln. Die Gesellschafter sind deshalb unabhängig vom Inhalt des Gesellschaftsvertrages zur Erstattung der Zinsabschläge in die Masse verpflichtet.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der K-GmbH & Co. KG. Die beklagte AG ist mit einem Anteil von 90,5 % Kommanditistin der Schuldnerin. Der Kläger hatte die Insolvenzmasse auf Festgeldkonten angelegt. Von den daraus erwirtschafteten Zinsen führte das kontoverwaltende Kreditinstitut in den Jahren 2004 und 2006 bis 2010 Kapitalertragsteuern und Solidaritätszuschläge i.H.v. insgesamt 195.570 € an das Finanzamt ab.

Der Kläger war der Ansicht, die Beklagte schulde ihm Erstattung des auf sie entfallenden Anteils von diesem Betrag, nämlich rund 176.991 €. Das LG gab der Klage i.H.v. 27.044 € statt; das OLG i.H.v. 26.785 €. Im Übrigen haben beide Gerichte die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die Revision der Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die von dem kontoführenden Kreditinstitut einbehaltene Kapitalertragsteuer und der darauf entfallende Solidaritätszuschlag bei einer Personenhandelsgesellschaft, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, von den Gesellschaftern in die Insolvenzmasse zu erstatten sind.

Die einkommen- oder körperschaftsteuerrechtliche Behandlung der während des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter erwirtschafteten Zinseinkünfte unterscheidet sich nicht von den Regeln, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten. In beiden Fällen sind Steuerschuldner ("Steuersubjekte") die Gesellschafter, nicht dagegen schuldet die Gesellschaft die Einkommen- oder Körperschaftsteuer und damit auch die Kapitalertragsteuer auf die Zinserträge und den Solidaritätszuschlag.

Zivilrechtlich haben die Gesellschafter dagegen in der werbenden Gesellschaft, sofern nichts anderes vereinbart ist, kein "Steuerentnahmerecht", also kein Recht, Beträge i.H.d. von ihnen auf die Kapitalerträge oder auf sonstige Gewinne der Gesellschaft zu zahlenden Steuern unabhängig vom Inhalt des Gesellschaftsvertrages aus dem Gesellschaftsvermögen zu entnehmen. Deshalb sind die Gesellschafter in der werbenden Gesellschaft nach der Rechtsprechung des Senats bei Fehlen abweichender Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag verpflichtet, die als Zinsabschläge bei der Gesellschaft einbehaltenen Steuervorauszahlungen wie unberechtigte Entnahmen in das Gesellschaftsvermögen zurückzuzahlen. Damit stimmt die steuerliche Rechtslage mit der gesellschaftsrechtlichen überein. Die Gesellschafter zahlen die gesamte Einkommen- oder Körperschaftsteuer nebst Solidaritätszuschlag aus ihrem Privatvermögen. Das Gesellschaftsvermögen bleibt davon unberührt.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert sich diese Interessenlage insofern, als der Insolvenzverwalter nach § 80 InsO befugt ist, alle Einkünfte, die er erwirtschaftet, zur Insolvenzmasse zu ziehen. Während steuerrechtlich nach wie vor die Gesellschafter Rechtssubjekte sind, stehen zivilrechtlich (und insolvenzrechtlich) die zu versteuernden Einkünfte der Masse zu. Obwohl die Masse dazu bestimmt ist, die Gesellschaftsgläubiger zu befriedigen, hat der Insolvenzverwalter keine Möglichkeit, den Zinsabschlag durch Beantragung einer sog. Nichtveranlagungsbescheinigung nach § 44a Abs. 1 EStG oder auf andere Weise abzuwenden. Er kann auch nicht die sich aus den Zinsabschlägen möglicherweise ergebenden Steuererstattungsansprüche der Gesellschafter gegen den Fiskus geltend machen.

Andererseits sind die Gesellschafter, selbst wenn im Gesellschaftsvertrag ein Steuerentnahmerecht vereinbart sein sollte, wegen des alleinigen Verfügungsrechts des Insolvenzverwalters nicht mehr berechtigt, die von ihnen zu zahlende Einkommen- oder Körperschaftsteuer aus der Insolvenzmasse zu entnehmen. Dann aber sind sie auch unabhängig vom Inhalt des Gesellschaftsvertrages zur Erstattung der Zinsabschläge in die Masse verpflichtet. Denn die Zinsabschläge sind, da sich die steuerrechtliche Lage durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht verändert, Teil der von den Gesellschaftern geschuldeten Einkommen- oder Körperschaftsteuer und dürfen daher nicht die Insolvenzmasse schmälern. Dem entspricht die grundsätzliche Möglichkeit der Gesellschafter, die Zinsabschläge als Vorauszahlung auf die eigene Einkommen- oder Körperschaftsteuer steuerlich geltend zu machen. Ob in dem Zinsabschlag eine rechtsgrundlose Bereicherung des Gesellschafters liegt oder sie ihren Rechtsgrund im materiellen Steuerrecht hat, kann offenbleiben. Denn jedenfalls hat der Insolvenzverwalter einen gesellschafts-rechtlichen Anspruch auf Erstattung der Zinsabschläge.

Linkhinweise:

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.05.2016 15:31
Quelle: BGH online

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