BGH 19.9.2017, XI ZB 17/15

KapMuG im Zusammenhang mit der Emission des "X1 Global Index Zertifikat"

Das OLG Frankfurt a.M. hat zu dem angeblichen Fehler des Konditionenblatts zu Recht keine Feststellungen getroffen und ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass der zwischen der Musterbeklagten und den institutionellen Ersterwerbern geschlossene Vertrag keine Schutzwirkung zugunsten der Anleger entfaltet. Zudem hat der Senat zu zahlreichen verfahrensrechtlichen Fragen des Kapitalanleger-Musterverfahrens entschieden.

Der Sachverhalt:
Die Musterbeklagte, eine in London ansässige Geschäftsbank, hatte im Jahr 2006 die Inhaberschuldverschreibung "X1 Global Index Zertifikat" emittierte. Sie begab diese an institutionelle Ersterwerber, die sie im Wege des Zweiterwerbs an die Anleger vertrieben. Die Schuldverschreibungen sind zwischenzeitlich wertlos. Seit dem Jahr 2011 erhoben zahlreiche Anleger beim LG Frankfurt a.M. Schadensersatzklage gegen die Musterbeklagte. Im Musterverfahren vor dem OLG Frankfurt a.M. haben die Anleger Fehler des bei Emission der Schuldverschreibung herausgegebenen Konditionenblatts geltend gemacht und sich auf eine vertragliche und deliktische Haftung der Musterbeklagten berufen.

Mit Musterentscheid vom 22.4.2015 hat das OLG die Feststellungsanträge zurückgewiesen. Gegen den Musterentscheid haben der Musterkläger und ein Beigeladener Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der sie zulässig nur noch einen angeblichen Fehler des Konditionenblatts geltend gemacht und sich zudem dagegen gewendet haben, dass das OLG dem zwischen der Musterbeklagten und den Ersterwerbern geschlossenen Vertrag keine Schutzwirkung zugunsten der Anleger beigemessen hat. Die Rechtsbeschwerden waren, soweit zulässig, nur in geringem Umfang erfolgreich.

Gründe:
Das OLG hat zu dem angeblichen Fehler des Konditionenblatts zu Recht keine Feststellungen getroffen und auch ist zutreffend davon ausgegangen, dass der zwischen der Musterbeklagten und den institutionellen Ersterwerbern geschlossene Vertrag keine Schutzwirkung zugunsten der Anleger entfaltet. Ein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung eines Dritten ist nur dann anzunehmen, wenn zwischen ihm und dem Dritten entweder eine rechtliche Beziehung mit persönlicher Fürsorge- und Obhutspflicht oder sozialer Abhängigkeit besteht ("Wohl-und-Wehe-Fälle") oder ihm ohne eine derart enge Bindung besondere Schutzpflichten gegenüber dem Dritten aufgrund einer Sonderverbindung in Gestalt eines Vertrags oder zumindest eines Gefälligkeitsverhältnisses oder eines besonderen sozialen Kontakts obliegen. Beides ist hier nicht der Fall.

Ein personenrechtlicher Ein-schlag ist im Verhältnis der Ersterwerber zu ihren Kunden ersichtlich nicht gegeben. Im Rahmen einer Absatzkette treffen den Zwischenhändler gegenüber seinen Kunden im Allgemeinen keine Schutzpflichten, die die Annahme einer stillschweigend vereinbarten Haftungsausdehnung des Herstellers auf den Endabnehmer nach der objektiven Interessenlage nahe legen könnten. Das gilt auch hier. Anhaltspunkte dafür, dass die Musterbeklagte und die Ersterwerber ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart hätten, vertragliche Schutzpflichten auf Enderwerber der Schuldverschreibungen zu erstrecken, sind ebenfalls nicht ersichtlich.

Zu den verfahrensrechtlichen Fragen des Kapitalanleger-Musterverfahrens gilt demnach Folgendes:

a) Jedes Feststellungsziel i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 KapMuG bildet einen eigenständigen Streitgegenstand des Kapitalanleger-Musterverfahrens.

b) Eine ordnungsgemäße Rechtsbeschwerdebegründung im Kapitalanleger-Musterverfahren verlangt die Angabe von Rechtsbeschwerdegründen für jedes Feststellungsziel, das mit der Rechtsbeschwerde weiter verfolgt werden soll.

c) Einem Vertrag über den Ersterwerb einer Schuldverschreibung zwischen der emittierenden Bank und den institutionellen Ersterwerbern kommt grundsätzlich keine Schutzwirkung zugunsten der Zweiterwerber zu.

d) In der Rechtsbeschwerdeinstanz kann das Musterverfahren nicht um neue Feststellungsziele erweitert werden.

e) Das Feststellungsziel, die Fehlerhaftigkeit einer Kapitalmarktinformation "insbesondere durch folgende Aussagen" festzustellen, ist hinsichtlich der im Folgenden im Feststellungsziel nicht wiedergegebenen Aussagen nicht hin-reichend bestimmt.

f) Weder die Musterparteien noch einzelne Beigeladene können Feststellungsziele, die durch den Vorlagebeschluss des Landgerichts oder den Erweiterungsbeschluss des OLG Verfahrensgegenstand des Musterverfahrens geworden sind, (teilweise) zurücknehmen. Ein Musterentscheid ergeht nur dann nicht, wenn sämtliche Beteiligten übereinstimmend erklären, dass sie das Verfahren beenden wollen.

Linkhinweise:

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.11.2017 12:15
Quelle: BGH PM Nr. 179 vom 16.11.2017

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