Aus der AG

Konzernrecht für die Konzernwirklichkeit - Haftungsvermeidende Unternehmensorganisation innerhalb und außerhalb des Gesellschaftsrechts (Beck, AG 2017, 726)

Früher wurde über Konzerne vor allem auf der Bühne des Gesellschaftsrechts diskutiert. Nach wie vor besteht hieran Bedarf. Hinzugekommen ist in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit anderer Rechtsgebiete. Sie versuchen Antworten darauf zu finden, wie Konzerne anstelle von Einzelunternehmen sich in dem von diesen Rechtsgebieten geregelten Lebensbereichen verhalten. Anforderungen an Konzerne werden verstärkt dadurch bestimmt, dass haftungsträchtige Szenarien aufgezeigt werden. Das betrifft das Kartellrecht, insbesondere nach jüngsten Änderungen im Zuge der 9. GWB-Novelle und sonstiges Straf- und öffentliches Recht, durch welches verhindert werden soll, dass Rechtsverstöße begangen werden. Erkannt werden muss auch, dass fehlerhafte Abläufe in der Unternehmensorganisation - wie etwa aktuell der sog. "VW-Abgasskandal" - sich nicht ohne eine Berücksichtigung ihrer Konzerndimensionalität rechtlich zutreffend behandeln lassen. Der Beitrag verschafft hierüber einen Überblick.

  1. Das Verständnis des Konzerns im Gesellschaftsrecht
  2. Konzernrechtswirklichkeiten und ihre rechtliche Behandlung
    1. Der qualifiziert faktische Konzern
    2. Haftung für Aufsichtsverletzungen gem. § 130 OWiG
      1. Aufsichtsverletzung des Inhabers
      2. Fehlende Inhaberpflicht
      3. Eigenständige Beteiligtenverantwortlichkeit
    3. Europäische Kartellhaftung
      1. Haftung der Obergesellschaft
      2. Vermutung der abstrakten Einflussnahme
      3. Widerlegung der Vermutung
      4. Verhaltenshaftung
      5. Fazit
    4. Haftung der Obergesellschaft nach der 9. GWB- Novelle
      1. Kartellhaftung gem. § 81 GWB
      2. Lückenschluss in Bezug auf das bisherige System
      3. Bestimmender Einfluss und einheitliche Leitung
      4. Was ist bestimmender Einfluss?
      5. Gesetzgeberische Ungenauigkeit
      6. Maßgeblich: Leitungskonzept der Rechtsprechung des EuGH zum Kartellrecht
      7. Fazit
    5. Zivilrechtliche Haftung der Obergesellschaft  gem. § 33a GWB
      1. Schadensersatzhaftung bei Kartellverstoß
      2. Konzern ist keine GbR
      3. Kartell ist keine GbR
      4. Das Unternehmen an sich
      5. Umsetzung der europäischen Kartellschadensersatzrichtlinie
    6. Innenhaftung des Konzernvorstands bei Gesetzesverstößen
      1. Compliance-Verantwortung des AG-Vorstands
      2. Folgerungen aus der Legalitätspflicht
      3. Konzerndimensionale Compliance-Pflicht zur  Bestandssicherung der Obergesellschaft
      4. Konzerndimensionale Compliance-Pflicht zur  Bestandssicherung im Hinblick auf die Tochtergesellschaften
    7. Innenregress bei Ausführung des Kartellverstoßes auf Tochterebene
      1. Inanspruchnahme der Geschäftsleiter
      2. Maßgebliche Pflichtverletzung
      3. Haftungsausschluss wegen der Wertungen des Kartellrechts
      4. Bedeutung der arbeitsrechtlichen Haftungsmilderung
    8. Deliktische Verantwortung im Konzern
      1. Direktansprüche gegen die Obergesellschaft
      2. Verhaltens- und Wissenszurechnung
      3. Verletzung von Schutzgesetzen (§ 823 Abs. 2 BGB)
      4. Darlegungs- und Beweispflichten der Obergesellschaft im Hinblick auf den Produktionsablauf
      5. Beweis fehlerhafter Organisation?
      6. Wissenszurechnung
      7. Konzerndimensionale Zurechnung
      8. Eigene Täterschaft nach § 823 Abs. 2 BGB  i.V.m. Strafgesetzen
    9. Delegations-Compliance als Teil des Deliktsrechts
      1. Haftung der Obergesellschaft gem. § 831 BGB
      2. Darlegungs- und Beweislast nach dem  Beibringungsgrundsatz
      3. Verschleierungspotential auf Anspruchsgegnerseite
      4. Entlastungsbeweis des Unternehmers
      5. Entlastungsbeweis richtig verstanden und sekundäre Darlegungs- und Beweislast beim Unternehmer
      6. Würdigung: Unternehmer muss handelnden  Mitarbeiter identifizieren
      7. Konzerndimensionale Betrachtung
      8. Führung des Entlastungsbeweises
    10. Verkehrssicherungspflichten des Unternehmers
  3. Was nutzt Konzern-Compliance?
    1. Deutsches Kartellrecht
    2. Haftung der Konzernmutter
    3. Europäisches Kartellrecht
  4. Resümee

I. Das Verständnis des Konzerns im Gesellschaftsrecht
Wiedemann resümierte im Jahr 2011 in einem Beitrag zum Aufstieg und zur Krise des GmbH-Konzernrechts: "Die Schwerpunkte des GmbH-Konzernrechts haben sich geändert."  Grundlage dieser Folgerung bildet seine Analyse der Entwicklungen des Rechts der konzernverbundenen Gesellschaft. Die Vorgehensweise entspricht der allgemeinen gebräuchlichen Betrachtung des GmbH-Konzerns: Erörtert wird, welche Befugnisse das herrschende Unternehmen hat und welche Schutzinstrumente den außenstehenden Gesellschaftern und den Gläubigern der konzernabhängigen Gesellschaft zukommen. Diese Fragen werden vom Gesellschaftsrecht beantwortet. Aufgabe des gesellschaftsrechtlichen Konzernrechts ist es, die Interessen des Gesamtkonzerns mit denen der übrigen Stakeholder in Einklang zu bringen.  Klassisch, bekannt und richtungsweisend hierfür ist die grundlegende Einordnung: Das Konzernrecht ist nicht nur Schutzrecht, sondern auch Organisationsrecht.

II. Konzernrechtswirklichkeiten und ihre rechtliche Behandlung
Ein allgemeines Konzernrecht gibt es trotzdem nicht. Alle Gesellschaften außer der AG werden in konzernspezifischen Szenarien durch das einfache Gesellschaftsrecht der unverbundenen Gesellschaft behandelt; zuweilen erfolgt ein Rückgriff auf das Aktienkonzernrecht.  Alle Gesellschaftsformen sehen sich heute neuen Herausforderungen gegenüber, die nicht durch das Gesellschaftsrecht bestimmt werden. Das erfordert es, den Konzern nicht mehr nur aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive zu betrachten. Nachfolgend soll gezeigt werden, welche die Realitäten sind, denen sich Konzerne akut ausgesetzt sehen müssen.

1. Der qualifiziert faktische Konzern
Nun mag es verwundern, dass zuerst der qualifiziert faktische Konzern aufgegriffen wird. Diese Haftungsfigur ist ein Teil der Rechtsgeschichte und wurde vom BGH mit der Entscheidung in Sachen Bremer Vulkan aufgegeben.  Zum Teil wird ein verbleibender Bedarf zur Anwendung dort gesehen, wo qualifiziert Nachteile zugefügt werden, also der einzelne Nachteil nicht identifizierbar ist.  Dagegen lässt sich vorbringen, dass der Schaden in diesen Fällen geschätzt werden kann (§ 287 ZPO), wenn die Tatsachen erkennbar sind.  Die Grundlage der Haftungsfigur - und das ist auch der Grund, warum das Thema hier aufgegriffen wird - zeigt sich aber deutlich, wenn man z.B. den Sachverhalt der TBB-Entscheidung des BGH liest.  Die Probleme bestanden nämlich an sich nicht darin, den Nachteil oder Schaden zu identifizieren oder zu beziffern. Das Problem lag darin, überhaupt den von den Parteien zum Streit vorgetragenen Sachverhalt so zu ordnen, dass sich klar herausstellt, wer überhaupt welchen Vertrag geschlossen und somit, wer welche Verantwortung übernommen hat. Das ist nach wie vor in der Praxis problematisch. Diese Fälle sind also solche, in denen die Konstrukte nicht mehr oder nur schwierig ...

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.12.2017 11:06
Quelle: Verlag Dr. otto Schmidt

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