Aktuell in der AG

Konzerndimensionale Auskunfts- und Überwachungspflichten der Obergesellschaft bei Rechtsverstößen der Tochtergesellschaft (Mayer/Richter, AG 2018, 220)

Compliance-Verstöße der Tochtergesellschaft betreffen vielfältig auch den Pflichtenkreis der Organe der Obergesellschaft. Neben den schwierigen Fragen zur ordnungsgemäßen Überwachung der Tochtergesellschaft stellt sich den Organen der Obergesellschaft die Frage, ob und in welchem Umfang ihren Aktionären darüber auf der Hauptversammlung Auskunft zu erteilen ist. Das LG Stuttgart kommt in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass die Auskunftsrechte der Aktionäre der Porsche SE nach § 131 AktG verletzt worden sind, weil Fragen zur "Dieselthematik" der Volkswagen AG auf der Hauptversammlung der Porsche SE nicht bzw. unzureichend beantwortet wurden. Daneben nahm die Kammer eine erkennbar schwerwiegende Pflichtverletzung von Vorstand und Aufsichtsrat der Porsche SE an, weil diese mit Blick auf die Volkswagen AG kein funktionierendes Überwachungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG eingerichtet hatten. Der Beitrag setzt sich kritisch mit den Ausführungen des LG Stuttgart auseinander. Zugleich zeigt er die hieraus resultierenden Schwierigkeiten für die Praxis auf und weist den Weg für Lösungsansätze.

I. Einführung
II. Bewertung der Argumentation des LG Stuttgart

1. Feststellung einer mittelbaren (Eigen-)Angelegenheit der Obergesellschaft
a) „Befassungspflicht“ von Vorstand und Aufsichtsrat
b) Tatsächliche Befassung des Vorstands oder Aufsichtsrats
c) Kapitalmarktrelevanz
2. Ablehnung eines Auskunftsverweigerungsrechts der Obergesellschaft
a) Plausibilisierung eines nicht unerheblichen Nachteils
aa) Interne Ermittlungen und Gefährdung der Aufarbeitung
bb) Gefährdung der Vergleichsverhandlungen mit den U.S.-Behörden
b) Überwiegendes Aufklärungsinteresse
3. Feststellung einer eindeutigen und schwerwiegenden Pflichtverletzung
III. Zusammenfassung

I. Einführung

Das LG Stuttgart hat mit Urteil vom 19.12.2017  in einer medienwirksamen Entscheidung  die in der ordentlichen Hauptversammlung der Porsche SE am 29.6.2016 gefassten Beschlüsse zur Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2015 für nichtig erklärt. Das Urteil wirft dabei verschiedene, auch brisante Rechtsfragen zu den konzerndimensionalen Pflichten einer Obergesellschaft bei Rechtsverstößen in abhängigen Unternehmen auf. Der vorliegende Beitrag befasst sich zunächst mit den Ausführungen des LG Stuttgart zum Gegenstand der Auskunftspflicht (unter II. 1.) und zu den Auskunftsverweigerungsgründen der Obergesellschaft (unter II. 2.) bei Compliance-Verstößen der Tochtergesellschaft. Sodann wird auf die Ausführungen der Kammer zu den Anforderungen an ein konzerndimensionales Überwachungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG eingegangen (unter II. 3.).

II. Bewertung der Argumentation des LG Stuttgart
1. Feststellung einer mittelbaren (Eigen-)Angelegenheit der Obergesellschaft

Das LG Stuttgart kommt zu dem Ergebnis, dass die Informationsrechte der Aktionäre aus § 131 AktG verletzt wurden. Die Kammer untersucht insbesondere, unter welchen Voraussetzungen die einem verbundenen Unternehmen zuzuordnenden Angelegenheiten – hier Compliance-Verstöße – als (Eigen-)Angelegenheiten der Obergesellschaft i.S.d. § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG zu qualifizieren sind. Das Gericht ergreift nach eigenem Bekunden die Gelegenheit, „präzisere Kriterien“  zur Feststellung einer eigenen Angelegenheit aufzustellen. Demnach sei eine eigene Angelegenheit der Obergesellschaft zu bejahen, wenn (1) Vorstand oder Aufsichtsrat der Gesellschaft sich in der Vergangenheit mit der Angelegenheit des verbundenen Unternehmens tatsächlich befasst haben; (2) die Angelegenheit als kurserhebliche Insiderinformation der Obergesellschaft zu qualifizieren sei; oder (3) Vorstand und Aufsichtsrat der Obergesellschaft sich mit der Angelegenheit des verbundenen Unternehmens befassen hätten müssen, um ihren objektiven Sorgfaltspflichten nach §§ 93 Abs. 1, 111 Abs. 1 AktG nachzukommen.

Das Aktienrecht gewährt dem Aktionär in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG einen durchsetzbaren Anspruch auf Auskunft hinsichtlich „Angelegenheiten der Gesellschaft“. Der Begriff ist nach allgemeiner Auffassung weit auszulegen und umfasst alles, was sich auf die Gesellschaft und ihre Tätigkeit bezieht.  § 131 Abs. 1 Satz 2 AktG stellt insoweit klar, dass hierzu auch die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen zu einem verbundenen Unternehmen zählen.  Diese stehen der auskunftspflichtigen Gesellschaft so nahe, dass die Kenntnis der Beziehungen zu ihnen für die Beurteilung der Lage der Gesellschaft wesentlich ist.  Daraus folgt zugleich, dass sich das Auskunftsrecht des Aktionärs grundsätzlich nicht auf die Lage in Beteiligungsunternehmen erstreckt.  Hierbei handelt es sich um eigene Angelegenheiten dieser Gesellschaften.  Ein „allgemeiner Informationsdurchgriff“ im Unternehmensverbund ist im deutschen Aktienkonzernrecht nicht vorgesehen.  Fremde Angelegenheiten eines abhängigen Unternehmens können aber im Einzelfall bei Bestehen eines hinreichenden rechtlichen oder tatsächlichen Bezugs zu Angelegenheiten der Obergesellschaft i.S.d. § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG erwachsen.  Dies ist nach der Regierungsbegründung denkbar, wenn ...

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.04.2018 13:40
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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