Aktuell in der AG

Der European Model Company Act (EMCA) - Inspiration für Gesetzgeber und Wissenschaft im Kapitalgesellschaftsrecht (Baums/Teichmann, AG 2018, 562)

Im September 2017 erblickte der European Model Company Act (EMCA) nach einer langjährigen Vorbereitungsphase das Licht der Welt. Er stammt von einer internationalen Expertengruppe, die in politischer und finanzieller Unabhängigkeit tätig wurde und sich zum Ziel gesetzt hat, ein modernes und europaweit funktionsfähiges Modellgesetz für Kapitalgesellschaften zu entwickeln. Der EMCA ist damit auch eine Reaktion auf den Stillstand im Europäischen Gesellschaftsrecht, der seit vielen Jahren zu beklagen ist. Der EMCA bietet ein Modellgesetz, das aus dem Erfahrungsschatz der europäischen Rechtsordnungen schöpft und dabei alle Regelungen enthält, die für ein modernes und funktionsfähiges Gesellschaftsrecht nötig sind. Er kann auf freiwilliger Basis sowohl in die Gesetzgebung einzelner Staaten als auch in die europäische Gesetzgebung Eingang finden und darüber hinaus europaweit einen gemeinsamen Bezugspunkt für die universitäre Lehre bilden.

I. Entwicklung und Stand des Europäischen Gesellschaftsrechts

1. Frühe Versuche der Schaffung einer supranationalen Rechtsform

2. Rechtsangleichung durch Richtlinien

3. Societas Europaea (SE)

4. Wettbewerb der nationalen Gesellschaftsrechte

5. Zwischenergebnis

II. Der EMCA – ein europäisches Modellgesetz im  Kapitalgesellschaftsrecht

1. Grundidee und US-amerikanisches Vorbild

2. Der Weg des EMCA

III. Wesentliche Regelungsinhalte des EMCA

1. Überblick und Regelungstechnik

2. „General Provisions and Principles“

a) Einheitsmodell der Kapitalgesellschaft

b) Allgemeine Grundsätze des Kapitalgesellschaftsrechts

3. Gründung und Gesellschaftskapital

4. Organe der Gesellschaft

a) Gestaltungsfreiheit und ihre Grenzen

b) Kompetenzen der Gesellschafterversammlung

c) Unternehmerische Mitbestimmung

5. Konzernrecht

IV. Schluss


I. Entwicklung und Stand des Europäischen Gesellschaftsrechts
1. Frühe Versuche der Schaffung einer supra­nationalen Rechtsform

Im Jahre 1957 wurden in Rom die Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) unterzeichnet. Daraus hat sich die heutige Europäische Union (EU) entwickelt. Diese strebt einen einheitlichen Binnenmarkt an, in dem Unternehmen über alle Ländergrenzen hinweg ungehindert tätig werden können. Zu diesem Zweck wurde schon früh die Schaffung einer einheitlichen europäischen Rechtsform gefordert. Bis in das Jahr 1960 reichen Vorschläge zurück, die auf den Erlass einheitlicher europäischer Regeln im Gesellschaftsrecht gerichtet sind. Als einer der Ersten entwarf der niederländische Rechtsgelehrte Pieter Sanders die Vision einer „Europäischen Aktiengesellschaft“, mit der Unternehmen aus verschiedenen europäischen Ländern in einer einheitlichen Rechtsform tätig werden könnten. Die Europäische Kommission machte sich diesen Vorschlag zu eigen und bemühte sich von 1970 an mehrere Jahrzehnte lang um die Schaffung einer solchen Rechtsform. Doch die Verhandlungen gerieten ins Stocken, weil sich die Mitgliedstaaten in vielen Punkten nicht auf eine einheitliche Regelung einigen konnten.

2. Rechtsangleichung durch Richtlinien
Während die Arbeiten an der europäischen Rechtsform jahrzehntelang auf der Stelle traten, nahm die Rechtsangleichung durch Richtlinien Fahrt auf. Seit 1968 wurden zahlreiche Richtlinien erlassen, die jeweils punktuell bestimmte Aspekte des nationalen Gesellschaftsrechts einer europäischen Harmonisierung unterwerfen. Die ersten beiden Richtlinien sorgten bei den Regeln zur Publizität von Kapitalgesellschaften und zum Kapital von Aktiengesellschaften für eine europaweite Angleichung. Es folgten Rechtsakte zur Verschmelzung, zum Bilanzrecht, zur Spaltung, zu Zweigniederlassungen, zu Einpersonengesellschaften, zum Übernahmerecht und zu den Aktionärsrechten. Wesentliche Inhalte hiervon wurden mittlerweile in der Richtlinie 2017/1132 „über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts“ zusammengefasst. Einen ambitionierten neuen Anlauf zur Harmonisierung unternimmt das im März 2018 vorgelegte „Company Law Package“ mit Regelungsvorschlägen zur Digitalisierung im Gesellschaftsrecht sowie zu grenzüberschreitenden Strukturmaßnahmen (Formwechsel, Verschmelzung und Spaltung).

Trotz dieser Erfolge muss festgestellt werden: Die Rechtsangleichung ist auf halbem Wege steckengeblieben. Zentrale Fragen des Gesellschaftsrechts bleiben bis heute dem nationalen Recht überlassen und sind dort höchst unterschiedlich geregelt. Das gilt beispielsweise für die Leitungsstruktur von Aktiengesellschaften, wo bis heute das monistische Modell („Board-Modell“) und das dualistische Modell („Vorstand-Aufsichtsrats-Modell“) miteinander wetteifern. Vollkommen unterschiedlich in den einzelnen Mitgliedstaaten ist auch das nahezu gesamte Recht der kleinen, nicht börsennotierten Kapitalgesellschaften, in Deutschland also der GmbH. Europäische Unternehmen stehen daher bei jeder neuen Auslandsgründung vor der Schwierigkeit, dass die Gründungsverfahren für kleine Kapitalgesellschaften in jedem EU-Mitgliedstaat anders geregelt sind. Der Versuch, eine Europäische GmbH („Societas Privata Europaea – SPE“) einzuführen ist ebenso gescheitert wie der nachfolgende Vorschlag zur weiteren Harmonisierung der Einpersonengesellschaften („Societas Unius Personae – SUP“).

3. Societas Europaea (SE)
Nach jahrzehntelangen Verhandlungen konnte im Jahre 2001 zur allgemeinen Überraschung doch noch eine Verordnung über die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea) verabschiedet werden. Allerdings ist diese Verordnung derart lückenhaft, dass sie ...

 

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.08.2018 14:02
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite