Aktuell in der AG

Zivilrechtliche Gewinnabschöpfung bei Verstößen gegen das Handelsverbot des Art. 19 Abs. 11 MAR? (Hellgardt, AG 2018, 602)

Die Marktmissbrauchsverordnung hat ein periodisches Handelsverbot für Führungskräfte vor der Veröffentlichung wichtiger Finanzberichte eingeführt. Der folgende Beitrag geht der Frage nach, ob bei Verstößen gegen das Handelsverbot dem Emittenten ein zivilrechtlicher Gewinnherausgabeanspruch zusteht, wie dies insbesondere das US-amerikanische Recht vorsieht. Obwohl nach deutschem Bereicherungsrecht an sich kein Anspruch bestünde, erfordert das vorrangige Unionsrecht eine erweiternde Auslegung der Eingriffskondiktion, die dem Emittenten eine Gewinnabschöpfung zur Durchsetzung eines durch die Marktmissbrauchsverordnung verliehenen individuellen Rechts ermöglicht.


I. Problemaufriss

II. Regelungsvorbilder

1. USA

2. Europäische Regelungsvorbilder

a) England

b) Österreich

3. Freiwillige Unternehmenspraxis

III. Gewinnabschöpfung durch Nichtleistungskondiktion?

1. Keine dem Emittenten zugewiesene Rechtsposition

2. Keine Verwertungsmöglichkeit des Emittenten

3. Kein Anspruch auf Grundlage der Rechtswidrigkeitstheorie

IV. Unionsrechtliche Vorgaben

1. Keine explizite Vorgabe in der MAR

2. Pflicht zur Rechtsdurchsetzung als Ausfluss des Effektivitätsgrundsatzes

a) Dezentrale Rechtsdurchsetzung und individuelle Rechte

b) Privatrechtliche vs. öffentlich-rechtliche Durchsetzung individueller Rechte

3. Konsequenzen für die Auslegung von Art. 19 Abs. 11 MAR

a) Das Handelsverbot als individuelles Recht des Emittenten

b) Ausschluss einer öffentlich-rechtlichen Rechtsdurchsetzung in Deutschland

c) Korrektur aus Gründen der institutionellen Balance?

d) Ausgestaltung des erforderlichen Rechtsbehelfs

4. Zwischenfazit

V. Umsetzung im Rahmen des deutschen Bereicherungsrechts

1. Unionsrechtliche Ermächtigung als zugewiesene Rechtsposition

2. Verzicht auf eigene Verwertungsmöglichkeit

3. Umfang der herauszugebenen Bereicherung

VI. Ausblick


I. Problemaufriss

Eine wichtige Neuerung, die die Marktmissbrauchsverordnung (MAR) gebracht hat, ist das Handelsverbot in Art. 19 Abs. 11 MAR. Danach ist es den Führungskräften von Emittenten, deren Finanzinstrumente zum Handel an geregelten Märkten, multilateralen oder organisierten Handelssystemen zugelassen sind oder für die eine solche Zulassung an einem geregelten Markt oder multilateralen Handelssystem beantragt wurde, verboten, während einer Frist von 30 Tagen vor der Veröffentlichung von Jahresfinanzberichten oder unterjährigen Finanzberichten (sog. „closed period“) Geschäfte mit den Aktien oder Anleihen des Emittenten oder darauf bezogenen derivativen Finanzinstrumenten zu tätigen. Die Regelung ergänzt das Insiderhandelsverbot des Art. 14 MAR. Es handelt sich um die seltene Situation, in der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Führungskräfte des Emittenten über Insiderinformationen verfügen. Ein generelles Handelsverbot bietet bei der Überwachung und Durchsetzung erhebliche Vorteile gegenüber dem allgemeinen Insiderhandelsverbot, weil weder die Existenz noch die Kenntnis von einer Insiderinformation nachgewiesen werden müssen. Es reicht, dass die Führungskraft während des Verbotszeitraums auf eigene oder fremde Rechnung Geschäfte tätigt. Die Kehrseite dieser Vereinfachung ist aber, dass tatsächlich in vielen Fällen gar keine Insiderinformation vorliegt, so dass in concreto das Handelsverbot eigentlich nicht erforderlich wäre. Es ist vor allem diese überschießende Tendenz des Handelsverbots, die dazu Anlass gegeben hat, in Art. 19 Abs. 12 MAR eine Ausnahme vorzusehen. Unter eng begrenzten Voraussetzungen kann der Emittent selbst seiner Führungskraft gestatten, eine an sich verbotene Transaktion während einer closed period vorzunehmen. Konkret geht es dabei um zwei Fallgruppen, die näher in Art. 7 bis 9 Delegierte Verordnung geregelt werden: Zunächst ist gem. Art. 19 Abs. 12 lit. a MAR eine Ausnahme in Notsituationen möglich, in denen die Führungskraft unbedingt darauf angewiesen ist, Anteile zu verkaufen. Die zweite Fallgruppe betrifft gem. Art. 19 Abs. 12 lit. b MAR Aktienoptionsprogramme für Führungskräfte und ähnliche Gestaltungen. Hier sind Ausnahmen möglich, wenn ausgeschlossen ist, dass eine Insiderinformation die Transaktionsentscheidung beeinflusst haben kann. Wenn eine Führungskraft ohne Genehmigung des Emittenten während einer closed period Handel betreibt, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit gem. § 120 Abs. 15 Nr. 22 WpHG dar, die bei einer natürlichen Person mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 € geahndet werden kann; gem. § 120 Abs. 18 Satz 3 WpHG kann die Geldbuße im Einzelfall noch höher ausfallen und bis zum Dreifachen des aus dem Verstoß gezogenen wirtschaftlichen Vorteils betragen.

Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob alternativ bzw. zusätzlich zu diesen Sanktionen auch der Emittent, als derjenige, der unter den Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 12 MAR über die Geltung des Verbots disponieren kann, die Herausgabe eines unter Verstoß gegen das Handelsverbot von Art. 19 Abs. 11 MAR erzielten Vorteils verlangen kann. Vorbilder für eine solche Regelung finden sich vor allem im US-amerikanischen Kapitalmarktrecht (dazu II.). Da das europäische Kapitalmarktrecht keine explizite Anspruchsgrundlage für Emittenten vorsieht, soll anschließend geprüft werden, ob nicht bereits das geltende Bereicherungsrecht eine solche Abschöpfung zulässt. Dabei soll gezeigt werden, dass auf Grundlage der h.M. dogmatische Hindernisse für eine solche Gewinnabschöpfung bestehen (dazu III.). Da es sich bei Art. 19 Abs. 11 MAR aber um eine unionsrechtliche Regelung handelt, ist anschließend zu untersuchen, welche Vorgaben aus dem Unionsrecht selbst für eine Gewinnabschöpfung durch den Emittenten folgen. Dabei soll gezeigt werden, dass das Unionsrecht zwingend die Ergänzung der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung durch einen zivilrechtlichen Rechtsbehelf verlangt (dazu IV.). Aufgrund dieses Befunds soll anschließend untersucht werden, auf welche Weise sich ein solcher Gewinnabschöpfungsanspruch de lege lata im deutschen Privatrecht umsetzen lässt (dazu V.).

II. Regelungsvorbilder

1. USA

Das Handelsverbot wurde in Art. 19 MAR geregelt und damit in den Zusammenhang der Meldepflicht hinsichtlich „Managers’ Transactions“ gestellt. Bereits Art. 6 Abs. 4 Marktmissbrauchsrichtlinie, der in Deutschland in § 15a WpHG a.F. umgesetzt war, verpflichtete Führungskräfte und ihnen eng verbundene Personen, Transaktionen in den Wertpapieren ihres Emittenten zu melden. Diese Meldepflicht wurde durch die Neufassung in Art. 19 MAR erheblich ausgeweitet. (...)
 

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 05.09.2018 09:59
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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