Aktuell in der AG

Corporate Technologies - Zur Digitalisierung im Aktienrecht (Zetzsche, AG 2019, 1)

Innovative Technologien beeinflussen die Ausübung der Pflichten und Rechte von Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung und rufen Rechtsfragen zur Anwendung des Aktiengesetzes hervor. Der Beitrag stellt diese Technologien vor, bezeichnet diese Technologien bei der unternehmensinternen Verwendung kollektiv als Corporate Technologies (CorpTech) und untersucht deren Auswirkungen auf die Organfunktionen, mit dem Fokus auf der Frage, in welchem Umfang Organe Aufgaben an CorpTech delegieren können oder CorpTech Aufgaben der Organe ganz oder teilweise übernehmen kann.

I. Einleitung

II. Corporate Technologies – eine Einführung

1. Technischer Überblick

a) Big Data & Data Analytics

b) Distributed Ledger Technology (DLT)

c) Smart Contracts

d) Algorithmen, Künstliche Intelligenz und Machine Learning

e) Kombination der Technologien

2. Chancen

3. Herausforderungen

III. Vorstand

1. Motive

2. Recht zum Technikeinsatz

a) Beratende Technikfunktion

b) Delegation von Entscheidungskompetenzen?

3. Pflicht zum Technikeinsatz

a) Organisationspflicht zum Algo-Einsatz?

b) Informationstechnik als Third Party Opinion:  Mindestprüfung typischer Entscheidungsfehler

c) Pflicht zur Konsultation des Algo-Beraters als  Voraussetzung der Business Judgement Rule?

4. Substitution des Vorstands

a) Teilsubstitution

b) Vollsubstitution

c) Insbesondere Investment-AG unter dem KAGB

IV. Aufsichtsrat

1. Monitoring

a) Intensivierter Technikeinsatz (Teilsubstitution)

b) Keine Vollsubstitution

c) Intensivierte Überwachung des IT-Einsatzes

d) Haftungsprivileg?

2. Beratung

a) Konsultation, keine Entscheidungsdelegation

b) Haftungsprivileg?

3. Vorstandsbestellung und Vergütung

4. Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder

V. Aktionäre und Hauptversammlung

1. Digitalisierung des Anteilsbesitzes

a) Von Papier- zu den Bucheffekten

b) Aktie als Token

c) Aktienregister der Zukunft?

2. Digitalisierung der Teilhabe

a) Von der Präsenz- zur virtuellen HV

b) Förderung durch Aktionärsidentifikation

c) Datenschutz

3. Auswirkungen auf die Hauptversammlung

a) Von der Versammlungsbindung zum Perma-Vote

b) Substitution der Hauptversammlung

4. Digitalisierung des Aktionariats

VI. Fazit und Thesen
 

I. Einleitung
Trendbegriffe wie FinTech und Industrie 4.0 sind Indikatoren für die rapide technische Entwicklung in den letzten Jahren. Diese kann das Unternehmensrecht nicht unberührt lassen. Erste zaghafte Ansätze zu Corporate Technologies (CorpTech) haben es mit dem Richtlinienentwurf der EU-Kommission zur Digitalisierung im Gesellschaftsrecht und der im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie vom 11.10.2018 (im Folgenden RefE ARUG II) betonten Offenheit für technische Entwicklungen im Bereich der Aktionärsidentifikation auf die legislative Agenda geschafft. Motor der Entwicklung ist derzeit jedoch die deutsche und internationale Forschung. Damit wiederholt sich die Entwicklung, wie vor 20 Jahren während des Internetbooms: Auch damals lotete zunächst die Forschung im Zusammenwirken mit einem auf Fortschritt bedachten Gesetzgeber die Konturen der internetgestützten Aufsichtsratssitzungen und Hauptversammlungen aus, bevor sich die Praxis mit einiger Verzögerung an die Umsetzung wagte. Heute gehören Internetübertragungen und internetgestützte Vertretungssysteme zum Standardrepertoire der Hauptversammlung börsennotierter Aktiengesellschaften.

In dem Bestreben nach einer vollständig digitalen Korporation erweisen sich die Digitalisierungsvorschläge der EU-Kommission indes als potemkinsches Dorf. Als Teil der „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa“, die den Binnenmarkt für das digitale Zeitalter fit machen soll und durch zwei fundierte Studien im Gesellschaftsrecht ausgearbeitet wurde, galt es mittels Erleichterung der grenzüberschreitenden Inkorporationstätigkeit das Wirtschaftswachstum zu fördern. Demgegenüber nehmen sich die Vorschläge, die nur die Digitalisierung des Registerverfahrens vervollständigen sollen, bescheiden aus.

Seit der Reform der 1. Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, die hierzulande mit dem EHUG umgesetzt wurde, ist der e-Zugang, die e-Einreichung und e-Bekanntmachung zum Unternehmensregister europaweit gewährleistet. Nunmehr folgen die e-Ein- und Austragung der Unternehmen und Zweigniederlassungen. Mehrfacheinreichungen sollen entbehrlich, das Eintragungsverfahren (im moderaten Umfang) beschleunigt, die kostenlos zugänglichen Datensätze erweitert und die nationalen directors‘ disqualification einbezogen sowie Missbräuche bei der An- und Umsiedlung bekämpft werden. Die Digitalisierung bei grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen beschränkt sich auf die digitale Publikation und Kommunikation transaktionsspezifischer Informationen zwischen Unternehmensregistern im Europäischen System zur Verknüpfung von Unternehmensregistern (BRIS). Identitätsprüfungen durch Notare werden durch Identifikationsnachweise mittels des eIDAS-Verfahrens ersetzt. Physische Anwesenheit ist nur bei konkretem Verdacht erforderlich. Die durch Rückgriff auf das eIDAS-Verfahren und die intensivere Registerverknüpfung erreichte Beschleunigung wird durch die zeitgleich erhöhte (manuelle) Prüfungsintensität zugunsten von Arbeitnehmerrechten und der Eindämmung von Steuermissbrauch wieder beseitigt. Demgegenüber schwerer wiegt, dass ...

 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.01.2019 10:07
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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