EuGH v. 16.1.2019 - C-265/17 P

Fusionskontrolle: Kommission hat bei Untersagung der Übernahme von TNT Express durch UPS die Verteidigungsrechte von UPS verletzt

Der EuGH hat die Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission zur Untersagung der Übernahme von TNT Express durch UPS wegen Verfahrensmangels bestätigt. Das EuG hat zu Recht die Verletzung der Verteidigungsrechte von UPS durch die Kommission festgestellt.

Der Sachverhalt:

Im Januar 2013 untersagte die EU-Kommission die Übernahme von TNT Express durch UPS, da dieser Erwerb in 15 Mitgliedstaaten zu einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs auf den Märkten für internationale Expressbeförderung von Kleinpaketen im EWR geführt hätte. Diese Untersagung beruhte maßgebend auf einer ökonometrischen Analyse, mittels deren die Kommission auf eine Gefahr von Preissteigerungen auf dem Großteil der betroffenen Märkte geschlossen hatte. Die UPS erhob beim EuG Klage gegen diesen Untersagungsbeschluss.

Das EuG gab der Klage statt und erklärte den Beschluss der Kommission wegen Verletzung der Verfahrensrechte von UPS für nichtig. Das von der Kommission letztlich verwendete ökonometrische Modell der Preiskonzentration unterscheide sich deutlich von jenem, das UPS im Zuge des Verwaltungsverfahrens übermittelt worden sei, ohne dass die Kommission UPS die Möglichkeit zur Stellungnahme zu diesen Änderungen eingeräumt hätte. Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel der Kommission hatte vor dem EuGH keinen Erfolg.

Die Gründe:

Das EuG hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass die Verteidigungsrechte von UPS missachtet worden sind, so dass der Beschluss für nichtig zu erklären war, sofern UPS hinreichend nachgewiesen hat, dass sie ohne diesen Verfahrensmangel eine Chance gehabt hätte, sich sachdienlicher zu verteidigen.

Vor dem Erlass einer Entscheidung im Fusionskontrollbereich muss Anmelder ermöglicht werden, ihren Standpunkt zur Richtigkeit und Relevanz sämtlicher Umstände, auf die die Kommission ihren Beschluss zu stützen beabsichtigt, sachdienlich vorzutragen. Dies gebietet die Wahrung der Verteidigungsrechte. Die Anmelder müssen demnach in die Lage versetzt werden, zu von der Kommission verwendeten ökonometrischen Modellen Stellung nehmen zu können. Diese Modelle stellen ihrer Natur und Funktion nach quantitative Behelfe zur Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung dar, die die Kommission im Rahmen der Fusionskontrollverfahren vornimmt. Die methodologischen Grundlagen dieser Modelle müssen möglichst objektiv sein, um das Ergebnis dieser Untersuchung nicht in die eine oder die andere Richtung zu verzerren. Diese Faktoren tragen so zur Unparteilichkeit und Qualität der Entscheidungen der Kommission bei.

Die Übermittlung dieser Modelle sowie der ihrer Entwicklung zugrunde liegenden Methodenauswahl ist umso notwendiger, als sie zur Sicherstellung der Verfahrensgerechtigkeit gem. dem Grundsatz der guten Verwaltung nach Art. 41 der Charta der Grundrechte der EU beiträgt. Die Kommission ist verpflichtet, das Beschleunigungsgebot, das die allgemeine Systematik der Fusionskontrollverordnung kennzeichnet, mit der Einhaltung der Verteidigungsrechte in Einklang zu bringen. Diese Verordnung erlaubt es der Kommission nicht, nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte das Wesen eines ökonometrischen Modells zu ändern, auf das sie ihre Einwände stützen möchte, ohne diese Änderung den beteiligten Unternehmen zur Kenntnis zu bringen und es ihnen zu ermöglichen, dazu Stellung zu nehmen. Insoweit hat das EuG rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Kommission nicht geltend machen konnte, sie sei nicht verpflichtet gewesen, der Klägerin das endgültige Modell der ökonometrischen Analyse vor dem Erlass des streitigen Beschlusses zu übermitteln.

Das EuG hat weiterhin zu Recht entschieden, dass die fehlende Übermittlung eines ökonometrischen Modells an die Zusammenschlussbeteiligten zur Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission führen kann, sofern nachgewiesen wird, dass dieser Mangel ihnen zumindest eine geringe Chance genommen hat, sich sachdienlicher zu verteidigen. Es kann nicht der Beweis verlangt werden, dass ohne diesen Verfahrensmangel der streitige Beschluss anders ausgefallen wäre. Eine Erhöhung der Beweisschwelle, die für die Nichtigerklärung einer Entscheidung aufgrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte durch mangelnde Übermittlung der diesen Modellen innewohnenden methodologischen Grundlagen erforderlich ist, würde dem Ziel zuwiderlaufen, die Kommission zu Transparenz bei der Erarbeitung dieser Modelle anzuhalten, und die Effektivität der nachfolgenden gerichtlichen Kontrolle ihrer Entscheidungen mindern.

Linkhinweis:


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.01.2019 15:39
Quelle: EuGH PM Nr. 3 vom 16.1.2019

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