Aktuell in der AG

Ein eigenes Budget für den Aufsichtsrat – Taugliches Instru-ment zur Verfeinerung des Corporate Governance-Gefüges in der Aktiengesellschaft? (Bulgrin, AG 2019, 101)

Im Lichte der Entwicklung des Aufsichtsrats zum Co-Entscheidungsgremium der AG gewinnt der im AktG angelegte „Konstruktionsfehler“ – die fehlende Möglichkeit des Aufsichtsrats die ihm entstehenden Auslagen ohne Einbindung des Vorstands zu begleichen – zunehmend an Relevanz. Eine umfassende Lösung des Problems ist in der Praxis derzeit noch nicht gefunden. Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob dem Aufsichtsrat zur Wahrung seiner Unabhängigkeit gegenüber dem Vorstand ein eigenes Budget eingeräumt werden kann. Der Verfasser vertritt hierzu die Ansicht, dass die Hauptversammlung kraft Gesamtanalogie (§ 104 Abs. 7 i.V.m. § 113 AktG) als zuständiges Organ für die Einräumung eines Aufsichtsratsbudgets anzusehen ist. Bei entsprechender inhaltlicher Ausgestaltung kann ein eigenes Budget des Aufsichtsrats demnach bereits de lege lata zur Verbesserung der Corporate Governance in der AG fruchtbar gemacht werden.

I. Einführung

II. Aktuelle Beispielsfälle aus der Praxis

III. Gesetzliche Grundlagen des Auslagenersatzes für den Aufsichtsrat

1. Auslagen aus Organtätigkeit kraft eigener Abschlusskompetenz im Namen der Gesellschaft

a) Eigene Vertretungskompetenz des Aufsichtsrats

b) Fortbestehender Kompetenzkonflikt mit dem Vorstand

2. Auslagen eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds im eigenen Namen

a) Differenzierung zwischen Vergütung und Auslagen des Aufsichtsrats

b) Erstattungsanspruch in analoger Anwendung von §§ 670, 675 BGB

3. Abwicklung der vom Aufsichtsrat und einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern getätigten Auslagen

a) Zuständiges Organ für die Prüfung und Entscheidung über die interne Freigabe

aa) Aktueller Meinungsstand in der Literatur

bb) Stellungnahme: Umfassende Freigabekompetenz des Vorstands

b) Zuständiges Organ für die Anweisung der Zahlung

IV. Einführung eines eigenen Budgets zugunsten des Aufsichtsrats

1. Zuständigkeit für die Einräumung eines Aufsichtsratsbudgets

a) Einvernehmliche Einräumung durch Vorstand und Aufsichtsrat

b) Einräumung durch den Aufsichtsrat

c) Einräumung durch die Hauptversammlung

aa) Kompetenz der Hauptversammlung gem. § 113 AktG (analog)

bb) Kompetenz der Hauptversammlung kraft Gesamtanalogie (§ 104 Abs. 7 i.V.m. § 113 AktG)

2. Rechtliche und inhaltliche Ausgestaltung des Aufsichtsratsbudgets

a) Eigene Freigabekompetenz des Aufsichtsrats

b) Organschaftliche Verfügungsmacht zur Anweisung von Zahlungen

3. Potentielle Argumente gegen die Einräumung eines Aufsichtsratsbudgets durch die Hauptversammlung

a) Unvereinbarkeit mit dem aktienrechtlichen Corporate Governance-Gefüge?

b) Fehlendes Bedürfnis für ein eigenes Budget des Aufsichtsrats?

c) Mangelnde Steuerungsfunktion eines Budgets?

d) Untauglichkeit eines Budgets mangels ausreichender Flexibilität?

e) Unfähigkeit der Hauptversammlung zur Entscheidung?

V. Zusammenfassung der wesentlichen Thesen


I. Einführung

Mit der Tätigkeit des Aufsichtsrats sind vielfältige Kosten und Aufwendungen (gemeinsam: Auslagen) verbunden, für deren Tragung das AktG keine ausdrückliche Regelung bereitstellt. Dies führte dazu, dass das Thema Auslagenersatz von Aufsichtsratsmitgliedern sowohl in Rechtsprechung als auch Literatur lange Zeit ein Schattendasein fristete. Für die Praxis ist es jedoch von hoher Bedeutung, wie die Auslagenerstattung und Abwicklung im Einzelnen ausgestaltet ist. Zwar waren Klagen über unangemessene Erstattungswünsche des Aufsichtsrats in der Vergangenheit die absolute Ausnahme. Der Vorstand konnte nämlich angesichts der wirtschaftlich relativ geringen Bedeutung regelmäßig zur Großzügigkeit neigen, ohne eine genaue Prüfung der Erstattungsfähigkeit vorzunehmen. Die Bedeutung der Fragestellung hat allerdings in den letzten Jahren weiter zugenommen, da dem Aufsichtsrat im Rahmen der „Aktienrechtsreform in Permanenz“ durch den Gesetzgeber sowie die Rechtsprechung immer wieder neue Aufgaben zugewiesen wurden oder bestehende Pflichten stärker ins Bewusstsein gerückt sind. Der Aufsichtsrat hat sich daher in der Unternehmenspraxis in den zurückliegenden 20 Jahren zu einem unternehmerischen Co-Entscheidungsgremium fortentwickelt.

Mit diesen gestiegenen Anforderungen gehen regelmäßig auch höhere Auslagen des Aufsichtsrats einher. Entsprechend werden Aufsichtsräte ihr Kompetenzprofil durch die Inanspruchnahme von umfassenden Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zu schärfen haben. In bestimmten Konstellationen wird der Aufsichtsrat zudem nicht umhin kommen, auf die Unterstützung von externen Beratern zurückzugreifen. Werden etwa bei anspruchsvollen M&A-Transaktionen durch den Aufsichtsrat Finanzberater eingeschaltet, lässt sich nicht mehr davon sprechen, dass die damit verbundenen Auslagen lediglich „Peanuts“ darstellen. Umso höher die Auslagen des Aufsichtsrats, umso virulenter wird jedoch gleichzeitig der im AktG angelegte Konflikt, dass der Aufsichtsrat den Vorstand als „Kassenwächter“ der Gesellschaft um die Freigabe und Anweisung der Zahlungen bitten muss.

Ob diesem im AktG angelegten „Konstruktionsfehler“ durch die Einführung eines eigenen Aufsichtsratsbudgets begegnet werden kann, soll im Folgenden untersucht werden. Anhand einiger Beispielsfälle (sub II.) werden dazu zunächst die gesetzlichen Grundlagen des Auslagenersatzes dargestellt (sub III.). Anschließend wird dazu Stellung genommen, ob und durch welches Gesellschaftsorgan bereits de lege lata ein eigenes Budget des Aufsichtsrats samt Verfügungsmacht über die Gesellschaftskonten eingeführt werden kann (sub IV.). Abschließend werden die wesentlichen Thesen des Beitrags zusammengefasst (sub V.).

II. Aktuelle Beispielsfälle aus der Praxis
(1) Aufgrund der anhaltenden Diskussion in der Öffentlichkeit über „Compliance-Themen“ möchte das Aufsichtsratsmitglied A eine Fortbildung zu den Compliance-Pflichten des Aufsichtsrats besuchen. Nachdem er an der Fortbildung teilgenommen und ...

 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.02.2019 15:32
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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