Aktuell in der AG

Zum subjektiven Tatbestand der Unterlassungshaftung nach § 97 WpHG (Thomale, AG 2019, 189)

Wenn ein Emittent seine Ad-hoc-Publizitätspflichten dadurch verletzt, dass er eine gebotene Veröffentlichung verzögert oder ganz unterlässt, haftet er in Deutschland nach § 97 WpHG auf Schadenersatz. Die objektiven Tatbestandsmerkmale dieser Norm sind gut erforscht. Weitestgehend ungeklärt ist indes der subjektive Tatbestand des § 97 WpHG. Diese Lücke möchte der Beitrag schließen. Unter Anwendung der allgemein anerkannten Auslegungsmethoden kommt er zu dem Schluss, dass § 97 Abs. 1 WpHG die Kenntnis des Emittenten von der haftungsbegründenden Insiderinformation voraussetzt.

I. Einleitung

II. Gegenstand: § 97 WpHG als zivilrechtliche Sanktion für pflichtwidrig unterlassene Ad-hoc-Mitteilungen

III. Auslegung des § 97 WpHG

1. Grammatische Auslegung

a) Kommunikationspflicht impliziert keine Informationsbeschaffungspflicht

b) Selbständigkeit von Ad-hoc-Publizitätspflicht,  Unterlassungsdelikt und Begehungsdelikt

c) Summe: § 97 WpHG geht von Emittentenwissen aus

2. Systematische Auslegung

a) Kohärenzvergleich von § 97 Abs. 2 und 98 Abs. 2 WpHG

b) Privilegierung von Unterlassen gegenüber Tun

c) Rückschlüsse aus § 97 Abs. 3 WpHG

d) Deliktsrechtlicher Ausnahmecharakter des § 97 WpHG

3. Historische Auslegung

a) Kein feststellbarer Gesetzgeberwille zur kenntnisunabhängigen Unterlassungshaftung

b) Gesetzlich gewollte Beweislastverteilung steht Kenntniserfordernis nicht entgegen

c) Historische Orientierung an ausländischen Kapitalmarktrechten

4. Teleologische Auslegung

a) Wirtschaftlichkeitsziel

b) Schädliche Verhaltensanreize eines zu weitgehenden § 97 WpHG

IV. Gesamtbetrachtung

V. Thesen
 

I. Einleitung
Keine Rechtsordnung innerhalb oder außerhalb der EU hat ein so strenges ad-hoc-publizitätsbezogenes Kapitalmarktdeliktsrecht wie Deutschland: Nur hier ist in Gestalt des § 97 WpHG (= § 37b WpHG a.F.) eine Schadenersatzhaftung wegen unterlassener Ad-hoc-Mitteilungen anerkannt, die allein auf der unterlassenen Mitteilung als solcher beruht, also unabhängig von einer darüber hinausgehenden Marktmanipulation eintritt. Diese ohnehin bereits international einzigartige Belastung von in Deutschland börsennotierten Unternehmen soll nach vielfach vertretener Ansicht dadurch zusätzlich verschärft werden, dass ein Emittent auch für die Veröffentlichung solcher Informationen schadenersatzpflichtig sei, die er nicht positiv kennt. Dieser Rechtsansicht ist entgegenzutreten: Nach einer Präzisierung der vorliegenden Fragestellung (II.) wird § 97 WpHG einer eingehenden Gesetzesauslegung unterzogen (III.), was in der Gesamtwürdigung (IV.) ein einziges Ergebnis erlaubt: Die Haftung des Emittenten nach § 97 WpHG setzt seine Kenntnis der veröffentlichungspflichtigen Insidertatsache voraus. Die exegetischen Erträge der Untersuchung lassen sich in 8 Thesen zusammenfassen (V.).

II. Gegenstand: § 97 WpHG als zivilrechtliche Sanktion für pflichtwidrig unterlassene Ad-hoc-Mitteilungen
Zur Vermeidung von Missverständnissen erscheint es notwendig, die Fragestellung zu präzisieren: Der vorliegenden Untersuchung geht es nicht um die Frage, ob eine gegebene Insiderinformation nach Art. 17 Marktmissbrauchsverordnung (folgend: MAR) respektive § 15 WpHG a.F. objektiv mitteilungspflichtig ist. Gegenstand der folgenden Erörterungen ist vielmehr ausschließlich, ob und unter welchen Voraussetzungen die Verletzung dieser objektiven Pflicht zu einer Schadenersatzpflicht des Emittenten nach § 97 WpHG (= § 37b WpHG a.F.) führt.

Diese Unterscheidung ist in zweifacher Hinsicht bedeutsam: Erstens beruhen allein Art. 17 MAR und § 15 WpHG a.F. auf Unionsrecht, während es sich bei § 97 WpHG um eine autonome deutsche Setzung handelt. Der Unionsgesetzgeber hat nämlich den Mitgliedstaaten überlassen, ob und inwieweit sie die Mitteilungspflicht neben Verwaltungs- und Strafsanktionen auch mit zusätzlichem zivilrechtlichen Schadenersatz durchsetzen möchten. Damit verbindet sich der zweite Unterschied zwischen beiden Normkomplexen: Art. 17 MAR und § 15 WpHG a.F. statuieren eine Pflicht, die nach § 120 Abs. 15 Nr. 6–11 WpHG als Anknüpfungstatbestand von Ordnungswidrigkeiten herangezogen wird und gleichzeitig ...

 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.03.2019 20:57
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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