Aktuell in der AG

Rechtspflichten bei der Übernahme von Geldsanktionen gegen Vorstandsmitglieder (Ried, AG 2019, 441)

Nach einiger Diskussion in der Literatur und einer klärenden Entscheidung des BGH kann es für die Praxis inzwischen als gesichert gelten, dass eine Aktiengesellschaft nur dann gegen Vorstandsmitglieder staatlich verhängte Geldsanktionen übernehmen darf, wenn die Hauptversammlung dem zustimmt und weitere Voraussetzungen aus § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG eingehalten werden. Für den Aufsichtsrat ist dadurch klargestellt, dass er die Übernahmeentscheidung weder allein tragen darf noch muss. Damit ist freilich noch nicht gesagt, was Aufsichtsratsmitglieder im Umfeld einer möglichen Erstattung von Geldsanktionen dennoch zu beachten haben, um sich nicht dem Vorwurf einer Verletzung ihrer Pflichten auszusetzen. Diese Folgefrage wurde bislang kaum aufgegriffen und wird in diesem Beitrag untersucht.

I. Einleitung

II. Rechtsgrundlage einer Übernahme von Geldsanktionen

1. Aufwendungsersatzanspruch nach § 670 BGB

2. Freiwillige Erstattungsentscheidung

a) Grundlage: § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG analog

b) Anforderungen aus § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG

aa) Hauptversammlungsbeschluss

bb) Dreijahresfrist

3. Vorabregelung im Anstellungsvertrag?

III. Rechtspflichten des Aufsichtsrats

1. Erstattungsentscheidung und Vorlage an die Hauptversammlung

a) Verhaltensanforderungen an den Aufsichtsrat

aa) Anforderungen beim Verzicht auf Ersatzansprüche

bb) Rückschlüsse für Erstattungsfälle

b) Abwägung von Unternehmensinteressen

c) Schaffen einer Informationsgrundlage

2. Compliance-Pflichten

a) Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats

b) Maßnahmen bei mutmaßlichen Rechtsverstößen

aa) Aufklärungspflicht

bb) Abstellen rechtswidrigen Verhaltens

cc) Sanktionierung

3. Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 Abs. 1 AktG)

IV. Rechtspflichten auf Aktionärsebene

V. Zusammenfassung


I. Einleitung

Staatliche Sanktionen gegen Vorstandsmitglieder wegen rechtswidrigen Verhaltens können etwa in Form von Geldstrafen oder -bußen verhängt werden, oder sie können als Mittel zu einem Verfahrensabschluss herangezogen werden: Wird wegen des Verdachts eines Vergehens ein Strafverfahren betrieben, dann eröffnet § 153a StPO die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung gegen (Geld-)Auflage. Wird eine dieser Geldsanktionen gegen ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft im Zusammenhang mit dessen Vorstandstätigkeit verhängt oder droht eine solche verhängt zu werden, dann zeigt sich die Gesellschaft in der Praxis in vielen Fällen bestrebt, die Angelegenheit schnellstmöglich und mit einem Mindestmaß an negativer Aufmerksamkeit abzuhandeln. Da sich die zugrundeliegenden Verfahren jedoch gegen das Vorstandsmitglied persönlich und nicht gegen die Gesellschaft richten, verbleiben in der Regel nur mittelbare Möglichkeiten der Einflussnahme. Eine solche stellt die Erstattung oder das Inaussichtstellen der Erstattung der Sanktion durch die Gesellschaft dar, beispielsweise um das betroffene Vorstandsmitglied zu einem bestimmten Verhalten wie der Zustimmung zur Verfahrenseinstellung gegen Auflage zu bewegen. Der Aufsichtsrat hat in einem solchen Fall die Fäden in der Hand, da ihm die Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern obliegt. Ihn treffen dabei Organpflichten, die im Folgenden schwerpunktmäßig behandelt werden sollen.

Für die Zwecke dieser Betrachtung stellt sich zunächst die Frage, ob und unter welchen Umständen die Gesellschaft die betreffende Geldsanktion überhaupt übernehmen darf oder sogar muss (dazu II.). Führt der Entscheidungsprozess innerhalb der Gesellschaft dazu, dass tatsächlich eine Übernahme durch die Gesellschaft herbeigeführt werden soll, dann sind dabei diverse Verhaltensanforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder zu beachten (dazu III.). Abschließend sollen kurz mögliche Quellen für Pflichten auch auf Aktionärsebene aufgezeigt werden (dazu IV.).

II. Rechtsgrundlage einer Übernahme von Geldsanktionen
1. Aufwendungsersatzanspruch nach § 670 BGB

In einem ersten Schritt kommt es in seltenen Fällen in Betracht, dass Vorstandsmitglieder bereits einen Rechtsanspruch auf Erstattung einer gegen sie verhängten Geldsanktion haben, wenn die straf- oder bußgeldbewehrte Handlung zu ihrer Vorstandstätigkeit gehörte. Vorstandsmitgliedern können nämlich auf Grundlage ihres Anstellungsvertrages Erstattungsansprüche nach § 670 BGB zustehen. Solche Ansprüche umfassen auch Geldsanktionen, wenn diese einen inneren Zusammenhang zu der Stellung als Unternehmensorgan haben, etwa wenn das Verhalten des Vorstandsmitglieds den Zweck verfolgte, für das Unternehmen Marktchancen zu schaffen und zu realisieren. Dennoch scheidet ein solcher Anspruch aber regelmäßig aus, da § 670 BGB nach heute herrschender Auffassung

 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.06.2019 16:42
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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