EuGH, C-719/18: Schlussanträge des Generalanwalts vom 18.12.2019

Überprüfung der Beteiligung von Vivendi an Mediaset: Italienische Regelung mit Unionsrecht unvereinbar

Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona schlägt dem EuGH vor, die italienische Regelung, durch die Vivendi am Erwerb von 28 % des Kapitals von Mediaset gehindert wird, für mit dem Unionsrecht unvereinbar zu erklären. Die Regelung beeinträchtige die Niederlassungsfreiheit im Hinblick auf das Ziel, die Informationspluralität zu schützen, unverhältnismäßig.

Der Sachverhalt:
2016 begann die französische Gesellschaft Vivendi SA, die an der Spitze eines im Bereich der Medien sowie der Schaffung und Verbreitung audiovisueller Inhalte tätigen Konzerns steht, eine Kampagne zum feindlichen Erwerb von Aktien der Mediaset Italia Spa, einer italienischen Gesellschaft im gleichen Bereich, die von der Fininvest-Gruppe beherrscht wurde. Vivendi erlangte dabei 28,8 % des Gesellschaftskapitals der Mediaset, was 29,94 % ihrer Stimmrechte entsprach.

Mediaset wandte sich daraufhin an die Aufsichtsbehörde für das Kommunikationswesen in Italien (AGCom) und machte geltend, dass Vivendi gegen die italienische Regelung verstoßen habe, die es zum Zweck der Gewährleistung des Informationspluralismus verbiete, dass ein Unternehmen direkt oder indirekt über abhängige oder verbundene Gesellschaften Einnahmen erzielt, die mehr als 20 % der Gesamteinkünfte des sog. "Integrierten Kommunikationssystems" (IC-Kommunikationssystem) erreichen. Dieser Prozentsatz verringert sich auf 10 %, wenn das Unternehmen gleichzeitig einen Anteil von mehr als 40 % der Gesamteinkünfte des elektronischen Kommunikationssektors in Italien erzielt. Dies war bei Vivendi der Fall, die aufgrund ihrer Kontrolle über die Telecom Italia SpA (TIM) auf diesem Sektor eine bedeutende Stellung innehatte.

2017 stellte die AGCom fest, dass Vivendi aufgrund des Erwerbs der streitigen Beteiligung an Mediaset gegen die in Rede stehende italienische Regelung verstoßen habe, und erlegte ihr auf, diesen Verstoß zu beheben. Vivendi kam der Anordnung der AGCom nach, indem sie 19,19 % der Mediaset-Aktien auf eine unabhängige Gesellschaft übertrug. Zugleich erhob sie beim zuständigen Verwaltungsgericht in Italien Klage auf Aufhebung des Beschlusses der AGCom. In diesem Kontext möchte das Verwaltungsgericht vom EuGH im Wesentlichen wissen, ob die italienische Regelung, die den Zugang der auf dem elektronischen Kommunikationssektor tätigen Unternehmen zum IC-Kommunikationssystem beschränkt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Die Gründe:
Die italienische Regelung muss anhand der Niederlassungsfreiheit geprüft werden (Art. 49 AEUV). Denn Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Vivendi und Mediaset ist die Absicht des französischen Konzerns, auf die Verwaltung von Mediaset Einfluss zu nehmen und einen erheblichen Anteil am italienischen Mediensektor zu erlangen, und nicht nur, eine einfache Geldanlage vorzunehmen. Mehrere Bestimmungen der italienischen Regelung beschränken die Möglichkeit für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten, sich auf dem italienischen Mediensektor zu etablieren, wodurch die Niederlassungsfreiheit betroffen ist.

Der Schutz der Informationspluralität (Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) stellt zwar einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, dessen Schutz abstrakt betrachtet den Erlass nationaler Maßnahmen, die die Niederlassungsfreiheit beschränken, rechtfertigen kann. Die italienische Regelung ist auch grundsätzlich geeignet, dieses Ziel zumindest im Idealfall zu erreichen, da sie verhindert, dass ein einzelnes Unternehmen selbst oder über seine Tochtergesellschaften einen relevanten Anteil (von über 20 %) am Mediensektor erlangen kann, und dass die Unternehmen, die bereits eine beherrschende Stellung auf dem Sektor der elektronischen Kommunikation innehaben (TIM zum Beispiel, die auf diesem Sektor führend ist), diesen Umstand nutzen, um ihre Stellung auf dem Mediensektor zu stärken.

Die nationale Regelung muss allerdings nicht nur geeignet sein, dies zu erreichen, sondern auch in Bezug auf das Ziel des Schutzes der Informationspluralität verhältnismäßig sein, d.h. sie darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels unbedingt notwendig ist. Obwohl es Sache der nationalen Gerichte ist, die Verhältnismäßigkeit der geprüften nationalen Regelung in Bezug auf die mit ihr verfolgten Zwecke zu beurteilen, sollte der EuGH hierzu nützliche Hinweise geben. Die italienische Regelung definiert den Bereich des elektronischen Kommunikationssektors zu eng, indem sie neue Märkte ausschließt, die zum Hauptzugangsweg zu Kommunikationsmedien (Dienstleistungen für Mobilfunkendkunden, mit dem Internet verbundene elektronische Kommunikationsdienste und Satellitenrundfunkdienste) geworden sind.

Zudem könnte sich der sehr geringe Prozentsatz an Einkünften (etwa 10 %) des IC-Kommunikationssystems, der als Obergrenze für die Unternehmen festgelegt ist, deren Einkünfte auf dem elektronischen Kommunikationssektor 40 % der Gesamteinkünfte dieses Sektors übersteigen, als unverhältnismäßig erweisen. Schließlich es ist auch unverhältnismäßig, die Einkünfte "verbundener" Unternehmen in gleicher Weise wie die "beherrschter" Unternehmen zu berechnen, wenn, wie es hier der Fall zu sein scheint, die Gesellschaft (Vivendi), die einen höheren Anteil von Stimmrechten an einer anderen Gesellschaft (Mediaset) hält, tatsächlich keinen nennenswerten Einfluss auf Letztere ausüben kann.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.12.2019 15:44
Quelle: EuGH PM Nr. 158 vom 18.12.2019

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