BGH v. 22.9.2020 - XI ZR 39/19

Mistrade: Zur Haftung des Kommissionärs im Falle der Aufhebung des Ausführungsgeschäfts im börslichen Freiverkehr

Der BGH hat sich vorliegend mit der Haftung des Kommissionärs im Falle der Aufhebung des Ausführungsgeschäfts im börslichen Freiverkehr wegen Mistrade befasst.

Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Haftung der beklagten Bank als Kommissionärin nach der Aufhebung eines börslichen Wertpapiergeschäfts wegen Mistrade. Die Parteien unterhielten Geschäftsbeziehungen, denen die Sonderbedingungen der Beklagten für Wertpapiergeschäfte zugrunde lagen (SB Wp). Der Kläger ist beruflich mit dem Handel von Wertpapieren und Derivaten befasst, so bei einer Bank mit "Aktienderivate Sales". Er tätigte nach eigenem Vortrag seit dem Jahr 2008 über die Beklagte jährlich 100 bis 150 Wertpapiertransaktionen mit einem jährlichen Volumen von rd. 15 Mio. €. Am 3.6.2011 vereinbarte er mit der Beklagten, sie solle auf eigenen Namen, aber für seine Rechnung 5.000 Stück Wertpapiere mit der Bezeichnung "RC" der M-GmbH (Emittentin) erwerben. Die Beklagte betraute die D-AG (künftig: D) mit der Ausführung, die die Wertpapiere noch am 3.6.2011 um 10:22 Uhr an der Frankfurter Wertpapierbörse (FWB) im Freiverkehr zum Preis von 40,14 € pro Stück erwarb.

Die Emittentin stellte nach Abschluss des Geschäfts einen Antrag auf Aufhebung von Geschäften (Mistrade-Antrag) nach § 24 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse (Stand: 23.5.2011; künftig: Bedingungen). Zur Begründung machte sie geltend, das Geschäft sei zu einem offensichtlich nicht marktgerechten Preis zustande gekommen. Marktgerecht sei ein Preis von 51,50 €. Die Geschäftsführung der FWB gab dem Antrag statt und hob das Geschäft am 3.6.2011 wegen offensichtlicher Preisabweichung auf. Die Beklagte unterrichtete den Kläger. Daraufhin wies der Kläger die Beklagte an, gegen diese Entscheidung vorzugehen, ohne konkrete Weisungen zu erteilen. Ein Mitarbeiter der Beklagten äußerte noch am 3.6.2011 telefonisch gegenüber einem Mitarbeiter der FWB, der Kläger sei mit der Aufhebung des Geschäfts nicht einverstanden. Er versandte an Bedienstete der FWB am 10.6.2011 nach einem neuerlichen Telefonat mit dem Kläger eine E-Mail mit einem vom Kläger konkret vorgegebenen Text, die wie folgt lautete: "Sehr geehrte Damen und Herren, wir weisen Sie rein vorsorglich darauf hin, dass unser Kunde, wie wir bereits am 3.6.11 telefonisch mitgeteilt [haben], mit der Aufhebung des Geschäftes nicht einverstanden ist. Freundliche Grüße"

Ein weiterer Mitarbeiter der Beklagten richtete vom Kläger aufgefordert am 23.11.2011 eine weitere E-Mail an Bedienstete der FWB, die folgenden Wortlaut hatte: "Sehr geehrte […], am 3.6.2011 um 10.22 Uhr erwarb unser Kunde 5000 Silberzertifikate des Emittenten M. zu je 40,14 € an der Frankfurter Börse Scoach. Dieser Geschäftsabschluss wurde nachträglich wieder aufgehoben, womit unser Kunde jedoch nicht einverstanden war, was wir Ihnen sowohl telefonisch am 3.6.2011 als auch schriftlich per email vom 10.6.2011 15.55 Uhr mitgeteilt haben. Bisher ist eine Reaktion Ihrerseits nicht erfolgt, weshalb unser Kunde Sie hiermit letztmalig auffordert, eine Verschaffung der 5.000 Stück zum damaligen Kaufpreis von je 40,14 € zu veranlassen. Gleichzeitig erteilt unser Kunde einen unlimitierten Verkaufsauftrag über diese 5.000 Stück zum heutigen Kassakurs an der Frankfurter Börse Scoach, bzw. zum aktuellen Geldkurs. Freundliche Grüße" Die FWB reagierte auf diese Äußerungen nicht.

LG und OLG wiesen die insbes. auf Zahlung der Differenz zwischen dem zuerst gültigen Kaufpreis von 40,14 € und einem vom Kläger unterstellten Verkaufspreis eines fiktiven Verkaufs am 23.11.2011 von 49,25 €, insgesamt auf Zahlung von 45.550 € gerichtete Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat insbes. einen Anspruch des Klägers auf Ersatz des Erfüllungsschadens wegen der Verletzung einer aus dem Kommissionsvertrag folgenden Vertragspflicht nach Aufhebung des Ausführungsgeschäfts gem. § 280 Abs. 1 BGB, § 384 Abs. 1, § 385 Abs. 1 HGB ohne Rechtsfehler verneint. Jedenfalls aus diesem Grund steht der Tatbestandswirkung des verfügenden Teils des Aufhebungsbescheids im Verhältnis zur Beklagten der Rechtsgedanke des § 162 Abs. 2 BGB nicht entgegen.

Die Beklagte hat zunächst ihre aus dem Kommissionsvertrag resultierende Pflicht erfüllt, den Kläger gem. § 384 Abs. 2 Halbsatz 1 HGB und § 675 Abs. 1, § 666 BGB über die Aufhebung des Ausführungsgeschäfts zu unterrichten. Eine von einer Weisung unabhängige Pflicht des Kommissionärs, der Aufhebung unverzüglich zu widersprechen, besteht nicht. Der Kommittent kann von Fall zu Fall ein Interesse daran haben, es ohne Rücksicht auf ihre Rechtmäßigkeit bei den Rechtsfolgen der Aufhebung durch eine staatliche Stelle zu belassen. Der Entscheidung des Kommittenten, die Aufhebung bestandskräftig werden zu lassen, darf der Kommissionär nicht vorgreifen. Nach den Feststellungen des OLG hat die Beklagte der Weisung nach § 384 Abs. 1 Halbsatz 2 HGB, die Aufhebung im Namen des Klägers telefonisch und per E-Mail zu beanstanden, entsprochen.

Eine Weisung, schriftlich für den Kläger, jedenfalls aber in Übereinstimmung mit § 42 Abs. 2 VwGO und in der Form des § 70 Abs. 1 VwGO in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung durch die D als Adressatin des privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakts Widerspruch einzulegen, hat der Kläger nicht erteilt, so dass die Beklagte nicht nach § 385 Abs. 1 HGB haftet. Der Inhalt einer Weisung, die auch konkludent erteilt werden kann, ist durch Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrs-sitte (§ 157 BGB) zu ermitteln. Die Auslegung des Inhalts der Weisung des Klägers obliegt als Individualerklärung dem Tatrichter. Sie kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentlichen Auslegungsstoff außer Acht gelassen hat.

Dies ist entgegen den Einwänden der Revision nicht der Fall. Die von der Revision in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensrügen sind nicht durchgreifend. Die vom OLG bei der Würdigung der Erklärungen des Klägers mit herangezogene und von ihm inhaltlich vorgegebene E-Mail vom 10.6.2011, die als Begleitumstand den Sinngehalt der Erklärung vom 3.6.2011 erhellen konnte, legt mehr als nahe, der Kläger habe wie aus der Bezugnahme auf das am 3.6.2011 geführte Telefonat in der von ihm vorformulierten E-Mail vom 10.6.2011 ersichtlich bereits am 3.6.2011 von der Beklagten nicht mehr und nichts anderes erwartet als eine fernmündliche Intervention in seinem Namen.

Im Übrigen ist eine Haftung der Beklagten auch nicht deshalb begründet, weil die Beklagte nicht nach § 385 Abs. 2 HGB und § 675 Abs. 1, § 665 Satz 2 BGB von einer Weisung des Klägers abgewichen ist und schriftlich unter Verweis auf § 14 Abs. 1 Satz 1 HessVwVfG durch die D als Adressatin form- und fristgerecht Widerspruch eingelegt oder die Äußerungen des Klägers nicht als Weisung verstanden hat, die Rechtslage zu prüfen und sodann aufgrund eigener rechtskundiger Entschließung durch die D gegen die Aufhebung vorzugehen. Ob sich aus § 385 Abs. 2 HGB, § 665 Satz 2 BGB nicht nur das Recht, sondern auch eine Pflicht zur Abweichung von einer Weisung hier: einer Weisung zur telefonischen Weitergabe und Weitergabe per E-Mail einer eigenen Beanstandung des Klägers ergeben kann, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Diese sprechen hier dagegen. Weder war mit dem Aufschub bis zur Entschließung des Auftraggebers bei der Frage, wer in welcher Form einen Rechtsbehelf oder ein Rechtsmittel einlegen solle, im Verhältnis zu dem für die Beklagte ohne weiteres erreichbaren Kläger Gefahr verbunden, noch musste sich der Beklagten aufdrängen, dass ein förmlicher Widerspruch durch die D vom Kläger gebilligt werde.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.10.2020 13:37
Quelle: BGH online

zurück zur vorherigen Seite