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Die Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen - Kritische Anmerkungen zum StaRUG-RegE (Müller, ZIP 2020, 2253)

Die EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen verlangt von den Mitgliedstaaten, den Unternehmen im gemeinsamen Binnenmarkt den Zugang zu einem insolvenzabwendenden Sanierungsverfahren nach einheitlichen Mindeststandards zu ermöglichen. Zur Umsetzung dieser Vorgaben in Deutschland hat die Bundesregierung am 14. 10. 2020 einen Entwurf verabschiedet. Das geplante Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) soll zusammen mit anderen Maßnahmen zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts bereits Anfang des kommenden Jahres in Kraft treten. Der Verf. sieht das Vorhaben kritisch und mahnt eine gründliche Diskussion im weiteren Gesetzgebungsverfahren an.

I. Einleitung

II. Auslösezeitpunkt

1. Regelung im Entwurf

2. Kritik

III. Restrukturierungsplan

1. Inhalt und Verfahren

2. Mehrheitserfordernisse und Ersetzungsbefugnis

IV. Beendigung von Verträgen

V. Anfechtungsschutz

VI. Stabilisierung

VII. Ruhen der Insolvenzantragspflicht

VIII. Fazit


I. Einleitung

Schon seit einiger Zeit wird über die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens in Deutschland nach dem Vorbild etwa des englischen scheme of arrangement oder der französischen procedure de sauvegarde diskutiert. Die EU-Richtlinie über einen präventiven Restrukturierungsrahmen vom 19.6.2019 (fortan RiL) verpflichtet den deutschen Gesetzgeber, seine Zurückhaltung aufzugeben und entsprechenden rechtspolitischen Forderungen bis Juli 2021 nachzukommen. Sie zielt darauf ab, bestandsfähigen Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten den Zugang zu effektiven nationalen Mechanismen zu ermöglichen, damit sie sich schon vor dem Eintritt einer Insolvenz restrukturieren können. Unnötige Kosten sollen vermieden und dem Schuldner ein Anreiz gegeben werden, frühzeitig die präventive Restrukturierung zu beantragen. Davon sollen insbesondere auch kleine und mittlere Unternehmen profitieren. Zentrale Bausteine des präventiven Restrukturierungsrahmens sind die Eigenverwaltung des Schuldners, die Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen sowie ein Restrukturierungsplan, mit dessen Hilfe eine mehrheitlich getragene Sanierungslösung gegen den Willen einzelner Akkordstörer durchgesetzt werden kann. Die Mitwirkung von Justiz- und Verwaltungsbehörden sowie eines amtlichen Restrukturierungsverwalters soll auf ein Minimum beschränkt bleiben und nur insoweit bestehen, als dies zur Wahrung der Rechte der Beteiligten unbedingt notwendig ist.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat Mitte September 2020 einen Referentenentwurf zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vorgelegt. Dessen Art. 1 enthält einen Vorschlag für ein Gesetz über den Stabilisierungs- – und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz – StaRUG). Schon knapp einen Monat später hat das Bundeskabinett den Entwurf mit einigen inhaltlichen Änderungen im Detail verabschiedet. Das Gesetzgebungsverfahren wird offenkundig mit großer Eile betrieben, das Inkrafttreten des Reformvorhabens ist nach Art. 27 SanInsFoG-RegE bereits zum 1.1.2021 geplant. Die neuen Sanierungsoptionen sollen insbesondere den Unternehmen zeitnah zugute kommen, die durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie unverschuldet in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind. In ersten Stellungnahmen war fast euphorisch von einem „großen Wurf“, sogar von einem „Vorbild für Europa“ die Rede. Bei näherem Hinsehen ergeben sich aber doch erhebliche Zweifel nicht nur in Detailfragen, sondern durchaus auch an der konzeptionellen Grundausrichtung des vorliegenden Gesetzesentwurfs.

II. Auslösezeitpunkt

1. Regelung im Entwurf

Als Ziel des neuen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens postuliert § 31 Abs. 1 StaRUG-RegE die nachhaltige Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. v. § 18 Abs. 2 InsO. An deren Vorliegen wird der Zugang zu den in § 31 Abs. 2 Nr. 1-5 StaRUG-RegE näher bezeichneten Instrumenten geknüpft. Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist insbesondere Voraussetzung für die Beendigung beiderseits unerfüllter Verträge des Schuldners (§ 51 Abs. 1 StaRUG-RegE), die euphemistisch als „Stabilisierung“ bezeichnete Aussetzung von Vollstreckungs- und Verwertungsmaßnahmen einzelner Gläubiger (§ 58 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG-RegE) und auch für die Bestätigung des Restrukturierungsplans (§ 70 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG-RegE). Demgegenüber kann eine Sanierungsmoderation schon bei bloßen wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten eingeleitet werden (§ 100 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG-RegE). Doch können so nur rein konsensuale Lösungen erreicht werden. Eingriffe in die Rechte der Beteiligten sind auf diesem Weg nicht möglich. Eine Ausnahme bildet lediglich die durch § 103 Abs. 3 i.V.m. § 97 StaRUG-RegE vermittelte, fragwürdige Insolvenzfestigkeit der Regelungen eines gerichtlich bestätigten Vergleichs, durch den die Anfechtung von Insolvenzgläubigern in einem etwaigen künftigen Insolvenzverfahren beschränkt wird.

2. Kritik
Nach dem Entwurf kann das Restrukturierungsverfahren erst eingeleitet werden, wenn eine Liquiditätsprognose ergibt, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 17 InsO bereits überwiegend wahrscheinlich ist. Damit wird eine sehr hohe Einstiegshürde gewählt. Drohende Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 InsO und Überschuldung gem. § 19 InsO unterscheiden sich nach geltendem Recht kaum. Das soll zwar korrigiert werden, in dem bei der nach § 18 InsO anzustellende Liquiditätsprognose wie bisher in der Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen sein soll, bei der für die Prüfung der Überschuldung gem. § 19 InsO vorzunehmenden Fortbestehensprognose aber eine Zeitspanne von nur 12 Monaten. Das ändert aber nichts daran, dass es bei Eintritt drohender Zahlungsunfähigkeit für ein Umsteuern häufig schon zu spät ist. Ein Zuwarten bis zu diesem Zeitpunkt ist mit der Intention der Richtlinie, Sanierungen möglichst frühzeitig einzuleiten, kaum zu vereinbaren. Zwar haben die Mitgliedstaaten einen großen Spielraum bei der Festlegung der Zugangsvoraussetzungen. In Art. 4 Abs. 1 RiL wird diesbezüglich eher vage auf die wahrscheinliche Insolvenz („likelihood of insolvency“) als Eintrittsgrund abgestellt, wobei die Begriffe Insolvenz und wahrscheinliche Insolvenz nicht autonom, sondern im Sinne des nationalen Rechts zu verstehen sind (Art. 2 Abs. 2 lit. a, b RiL). Jedoch wird in Erwägungsgrund 24 RiL ausdrücklich gesagt, dass der Restrukturierungsrahmen zur Verfügung stehen sollte, „bevor ein Schuldner ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.11.2020 10:56
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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