Aktuell in der AG

Flexibilität wahrende Ausgestaltung der Vorstandsvergütung und Bindungswirkung des Vergütungssystems nach § 87a Abs. 2 AktG (Vetter/Lauterbach, AG 2021, 89)

Außergewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse – wie die COVID-19-Pandemie –  können bei einer Vielzahl von Unternehmen zu erheblichen Verwerfungen der Vorstandsvergütung führen. Es stellt sich dann die Frage, ob und in welchem Umfang nachträgliche Anpassungen insbesondere der variablen Vergütung aktienrechtlich zulässig und mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex konform sind. Nach ARUG II werden derartige Anpassungen nur noch zulässig sein, wenn sie in dem der Hauptversammlung vorgelegten Vergütungssystem vorgesehen sind. Der Beitrag befasst sich mit der Reichweite der zwingenden Bindungswirkung des Vergütungssystems für die Vorstandsvergütung nach § 87a Abs. 2 AktG und enthält Vorschläge für die Praxis, wie sich der Aufsichtsrat Flexibilität für Modifikationen der Vorstandsvergütung unter Beachtung der einschlägigen Empfehlungen im DCGK wahren kann.

I. Einleitung
II. Reichweite der Bindungswirkung des § 87a Abs. 2 Satz 1 AktG und Grenzen vorbehaltener Flexibilität
III. Typische vertragsimmanente Regelungen zur Wahrung von Flexibilität

1. Flexibilität für die für variable Vergütungsbestandteile maßgeblichen Leistungskriterien
a) Verzicht auf die vertragliche Festlegung konkreter Ziele und/oder Zielbeträge
b) Anpassungsvorbehalte
aa) Zukunftsgerichtete Prüfungs- und Anpassungsklausel
bb) Unterjährige Anpassung mit (unechter) Rückwirkung
cc) Regelungen zur Umsetzung von Empfehlung  G.11 DCGK
2. Ermessens- und Beurteilungsspielräume bezüglich der Höhe der Auszahlungsbeträge
a) Ermessenstantieme und Anpassungsvorbehalt
b) Beurteilungsspielräume
c) Mannesmann-Klauseln
3. Regelungsbedarf zu § 87 Abs. 4 AktG?
IV. Flexible Ausgestaltung des Vergütungssystems
1. Beschreibung aller vergütungsrelevanten Vertragsbestimmungen im Vergütungssystem
2. Über die anstellungsvertraglichen Regelungen  hinausgehende Bestimmungen des Vergütungssystems
3. Insbesondere: Flexibilität im Hinblick auf die Maximalvergütung
V. Abweichungen vom Vergütungssystem nach § 87a Abs. 2 Satz 2 AktG
VI. Zusammenfassung


I. Einleitung

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Im Zuge der Umsetzung der Zweiten Aktionärsrechterichtlinie  („2. ARRL“) durch das sog. ARUG II  wurde § 87a AktG eingeführt. In dessen Abs. 1 wurden die Anforderungen an das Vergütungssystem börsennotierter Gesellschaften geregelt. Von der zwingenden Angabe einer Maximalvergütung und den detaillierten inhaltlichen Angaben abgesehen entspricht das Vergütungssystem im Sinne des § 87a AktG inhaltlich im Wesentlichen dem bisherigen System zur Vergütung der Vorstandsmitglieder nach § 120 Abs. 4 AktG a.F.  Die für die Praxis wichtigste Neuerung ist neben dem zwingend mindestens alle vier Jahre erforderlichen Hauptversammlungsvotum nach § 120a AktG n.F. die strenge Bindungswirkung des der Hauptversammlung vorgelegten Vergütungssystems für die Vorstandsvergütung nach § 87a Abs. 2 AktG. Nach dessen Satz 1 hat der Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft die Vorstandsvergütung in Übereinstimmung mit einem Vergütungssystem festzusetzen, das zwar nicht unbedingt von der Hauptversammlung gebilligt, ihr aber zumindest vorgelegt worden sein muss. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass sich der Aufsichtsrat durch das von ihm beschlossene und der Hauptversammlung vorgelegte Vorstandsvergütungssystem selbst bindet; die Bindungswirkung folge nicht erst aus dem Billigungsbeschluss der Hauptversammlung.  Der zugrunde liegende Art. 9a Satz 2 2. ARRL bestimmt, dass die Mitglieder der Unternehmensleitung nur entsprechend der von der Hauptversammlung genehmigten Vergütungspolitik – der deutsche Begriff des Vergütungssystems wird synonym verwendet  – entlohnt werden. Nach § 87a Abs. 2 Satz 2 AktG sind Abweichungen von diesem System nur zulässig, wenn (i) sie vorübergehend sind, (ii) dies im Interesse des langfristigen Wohlergehens der Gesellschaft notwendig ist und (iii) das Vergütungssystem selbst das Verfahren des Abweichens sowie die Bestandteile des Vergütungssystems, von denen abgewichen werden kann, benennt. Die Bindung an das vorgelegte Vergütungssystem, insbesondere an die nach § 87a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG festzusetzende Maximalvergütung ist zwingend.

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Aufgrund dieser Bindungswirkung muss sich der Aufsichtsrat bei der Ausgestaltung des Vergütungssystems beispielsweise fragen, ob er bis zur nächsten Vorlage eines Vergütungssystems an die Hauptversammlung die Möglichkeit haben möchte,

  • die Gesamtvergütung oder einzelne Vergütungsbestandteile moderat zu erhöhen;
  • bei außergewöhnlichen Ereignissen wie der Covid-29-Pandemie einen nicht erwarteten Ausfall variabler Vergütungsbestandteile (teilweise) zu kompensieren;
  • in einer Sondersituation abweichend vom Vergütungssystem vorübergehend eine reine Fixvergütung zu zahlen, beispielsweise einem Übergangskandidaten oder einem Chief Restructuring Officer;
  • einem neu eintretenden Vorstandsmitglied zur Abgeltung entfallender Vergütungsansprüche bei seinem vorherigen Arbeitgeber zusätzlich einen Sign-on-Bonus zu zahlen oder Umzugskosten zu erstatten.

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Ohne Adressierung im Vergütungssystem dürften derartige Veränderungen und Leistungen – vorbehaltlich einer Herabsetzung der Vergütung unter den sehr engen Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 Satz 2 AktG  – nicht neu vereinbart werden. Dies zeigt zum einen, dass die Bindungswirkung des Vergütungssystems gründliche Vorüberlegungen dahingehend erfordert, wie viel Flexibilität sich der Aufsichtsrat (und der Vorstand) für die Laufzeit des Vergütungssystems wahren wolle, und zum anderen, dass eine sorgfältige Formulierung des Vergütungssystems erforderlich ist, um die eigenen Handlungsmöglichkeiten nicht ungewollt zu beschneiden. 

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Das Vergütungssystem beschreibt inhaltlich zumindest die Konzepte, die im Vorstandsanstellungsvertrag zur Vergütung der Vorstandsmitglieder umgesetzt werden sollen. Insoweit ist eine enge Abstimmung zwischen Anstellungsvertrag und Vergütungssystem unabdingbar. Daneben kann das Vergütungssystem aber auch Elemente enthalten, die nicht in den Anstellungsverträgen abgebildet werden und die gerade im Hinblick auf die Wahrung einer gewissen Flexibilität Bedeutung haben können.

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Die Regelungen zur Wahrung von Flexibilität bei der Vorstandsvergütung lassen sich konzeptionell in drei Gruppen teilen:

(1)    Regelungen, die bereits im Anstellungsvertrag selbst vorgesehen sind und vertragsimmanente Weiterentwicklungen, Abweichungen oder Anpassungen an Sondersituationen erlauben, soweit diese im Vergütungssystem zutreffend beschrieben sind.

(2)    Darüberhinausgehende Regelungen des Vergütungssystems, die Spielraum für systemimmanente Modifikationen der vertraglichen Regelungen zur Vorstandsvergütung lassen. Bedeutung hat dies insbesondere für ...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.02.2021 15:33
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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