BFH v. 29.9.2020 - VIII R 9/17

Verlust aus der Veräußerung von Aktien

Eine Veräußerung i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig. Die Veräußerung wertloser Aktien stellt grundsätzlich keinen Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO dar, selbst wenn sich der Verkäufer verpflichtet, vom Käufer wertlose Aktien zu kaufen.

Der Sachverhalt:
Der Kläger erwarb im Jahr 2011 1.000 Aktien der X-Corp. zu einem Preis i.H.v. insgesamt 4.685 €. In der Folgezeit verloren die Aktien der X-Corp. aufgrund von Betrugsvorwürfen gegen die Gesellschaft erheblich an Wert, so dass die Aktie von der Börsenaufsicht vom Handel ausgeschlossen wurde. Im Februar 2013 veräußerte der Kläger alle Aktien der X-Corp. zu einem Preis von insgesamt 10 € (0,01 € pro Stück) an Frau Y (Käuferin). Im Gegenzug erwarb er von der Käuferin wertlose Aktien.

Im März 2013 wurden die Aktien der X-Corp. aus dem Depot des Klägers ausgebucht und in das Depot der Käuferin übertragen. Kosten hierfür fielen nicht an. Die Bank behandelte diesen Übertrag wie eine Veräußerung und setzte zur Ermittlung der Abzugsteuern eine Steuerbemessungsgrundlage i.H.v. rd. 1.400 € an. Der Kläger beantragte in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2013 die steuerliche Berücksichtigung des Verlusts aus dem Aktienverkauf i.H.v. 4.675 € und den Abzug der laut Steuerbescheinigung von der C-AG für den Aktienverkauf angesetzten Steuerbemessungsgrundlage i.H.v. 1.400 €.

Bei der Einkommensteuerfestsetzung im Einkommensteuerbescheid für 2013 wurde der Verlust des Klägers aus der Veräußerung der X-Corp. Aktien i.H.v. 4.675 € nicht berücksichtigt. Das Finanzamt kürzte jedoch den vom Kläger im Streitjahr erzielten Gewinn aus der Veräußerung von Aktien i.H.v.rd. 26.000 € um 1.400 €. Es ging dabei von einer teilentgeltlichen Übertragung der Aktien aus. Es bestimmte den Anteil der entgeltlichen Übertragung mit 0,17 Prozent und ermittelte einen Veräußerungserlös von 2 €.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision des Finanzamts hatte vor dem BFH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Verlust des Klägers aus der Veräußerung der X-Corp. Aktien i.H.v. 4.675 € gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 EStG steuerlich zu berücksichtigen ist und aufgrund des Antrags nach § 32d Abs. 4 EStG im Rahmen der (Antrags-)Veranlagung mit Aktiengewinnen zu verrechnen ist (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG). Ein Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 AO liegt bei dem Verkauf der Aktien nicht vor.

Gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Gewinne aus der Veräußerung von Aktien. Dabei bedeutet "Veräußerung" die entgeltliche Übertragung des - zumindest wirtschaftlichen - Eigentums auf einen Dritten. Im Streitfall ging das Eigentum der Aktien des Klägers auf die Käuferin über, da sie aus dessen Depot aus- und in das Depot der Käuferin eingebucht wurden. Dieser Rechtsträgerwechsel war auch entgeltlich, da die Käuferin an den Kläger einen Kaufpreis von 10 € gezahlt hatte. Weitere Tatbestandsmerkmale stellt das Gesetz nicht auf. Die Erfüllung des Tatbestands der Veräußerung gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist daher weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig. Auch erfolgte vorliegend die Übertragung der Aktien nicht zum Schein (§ 41 Abs. 2 AO). Es bestand zwischen dem Kläger und der Käuferin auch kein Näheverhältnis, so dass die Vereinbarung über den Verkauf der Aktien als entgeltliche Veräußerung zwischen fremden Dritten zu behandeln war.

Aus dem Umstand, dass die Aktien bereits Ende 2012 wertlos waren, ergibt sich keine andere steuerliche Beurteilung. Allein der Kursverfall der Aktien und deren Ausschluss vom Handel an der Börse (Delisting) im Jahr 2012 ohne Ausbuchung aus dem Depot des Steuerpflichtigen führten noch nicht zu einer Realisierung des Aktienverlusts. Dieser ist erst dann steuerlich zu berücksichtigen, wenn die Aktien veräußert werden (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) oder ein Ersatztatbestand für die Veräußerung i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG vorliegt. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen eines dieser Tatbestände bereits vor dem Streitjahr erfüllt waren, lagen nicht vor. 

Im Streitfall stellte die Veräußerung der (wertlosen) Aktien auch keinen Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO dar. Denn der Kläger hatte lediglich von gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht, diese aber nicht missbraucht. Er verfolgte das Ziel, sich von den nahezu wertlosen Wertpapieren durch Übertragung auf einen Dritten zu trennen. Dieses Ziel war (sinnvoll) nicht anders als durch eine Veräußerung zu erreichen. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG sieht die Veräußerung von Aktien ausdrücklich vor und unterwirft sie der Besteuerung. Der Kläger hat daher nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. 

Daran ändert sich nichts dadurch, dass ein Verlustgeschäft vorliegt, denn auch Veräußerungsverluste werden vom Anwendungsbereich des § 20 EStG erfasst. Dabei steht es dem Steuerpflichtigen frei, ob, wann und an wen er seine Gesellschaftsanteile veräußert. Auch der Umstand, dass die Übertragung der (wertlosen) Aktien des Klägers mit der Verpflichtung des Erwerbs wertloser Aktien verknüpft wurde, führt nicht zu einem Gestaltungsmissbrauch. Denn die gewählte Art der Veräußerung stellt eine durch das Gesetz eingeräumte Möglichkeit dar, die nicht gegen vom Gesetzgeber vorgegebene Wertungen verstößt, zumal mögliche Kurssteigerungen der vom Kläger erworbenen Aktien steuerverstrickt sind.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.03.2021 14:06
Quelle: BFH online

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