Aktuell in der AG

Die variable Gegenleistung bei öffentlichen Übernahmeangeboten (Hasselbach/Alles, AG 2021, 209)

Obwohl bei Übernahmeangeboten eine variable Gegenleistung für den Bieter und die Aktionäre der Zielgesellschaft sinnvoll sein kann, zeigt sich die BaFin sehr zurückhaltend bei der Genehmigung solcher Gestaltungen. Dementsprechend finden sich in der deutschen Übernahmepraxis bisher keine Präzedenzfälle einer variablen Gegenleistung oder sonstiger flexibler Ausformungen von Gegenleistungsmechanismen. Vor diesem Hintergrund untersucht der Beitrag praktisch relevante Möglichkeiten zur alternativen Gestaltung der Angebotsgegenleistung und plädiert für mehr Flexibilität im Übernahmerecht.

A. Einleitung
I. Die Angebotsgegenleistung in der deutschen  Übernahmepraxis
II. Bedürfnis nach höherer Gestaltungsflexibilität und variable Gegenleistung
B. Flexibilisierungsmechanismen und deren Grenzen
I. Wahlgegenleistung und sonstige Arten der Gegenleistung
II. Kombinierte Gegenleistung
III. Variable Gegenleistung
1. Zulässigkeit der variablen Gegenleistung im  Allgemeinen
a) Gesetzliche Regelung
b) Literatur
c) Position der BaFin
aa) Transparenzgebot
bb) Gesetzeszweck des WpÜG
2. Formen der variablen Gegenleistung
a) Preisanpassungsmechanismus bei reinen Tauschangeboten oder kombinierten Angeboten mit Aktienkomponente
aa) Anwendungsfälle
bb) Zulässigkeit
b) Variables Verhältnis von Aktien- und  Barkomponente bei kombinierten Angeboten
aa) Aktive vs. automatische Änderung des  Mischverhältnisses
bb) Objektiv wirtschaftliche Bewertung des Werts von Bar- und Aktienkomponente
C. Beispiele variabler Angebotsgegenleistung
I. Verhältnis von Bar- und Aktienkomponente in  Abhängigkeit von der Annahmequote
1. Grundstruktur der Gegenleistung
2. Zahlenbeispiel
a) Annahmequote: 100 %
b) Annahmequote: zwischen 95 % und unter 100 %
c) Annahmequote: geringer als 95 %
3. Übernahmerechtliche Zulässigkeit
a) Transparenzgebot
b) AGB-rechtliches Transparenzgebot
c) Schutz der Aktionäre der Zielgesellschaft
II. Zusätzliche Aktienkomponente in Abhängigkeit von der Annahmequote nach Wahl der Aktionäre der Zielgesellschaft
1. Grundstruktur der Gegenleistung
2. Zahlenbeispiel
3. Übernahmerechtliche Zulässigkeit
D. Zusammenfassung


A. Einleitung

I. Die Angebotsgegenleistung in der deutschen Übernahmepraxis

1
Für Übernahme- und Pflichtangebote ist gesetzlich vorgeschrieben, dass die Aktionäre der Zielgesellschaft einen angemessenen Ausgleich für ihre dem Bieter angedienten Aktien erhalten müssen (§ 31 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. AngebVO). In der deutschen Übernahmepraxis sind die allermeisten Übernahmeangebote als reine Barangebote ausgestaltet, bei denen der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft für den Erwerb ihrer Aktien eine feste Geldsumme anbietet. Nur ein Bruchteil aller Angebote sind als reine Tauschangebote  strukturiert oder sehen neben einer Bar- auch eine Aktienkomponente vor (sog. kombinierte Bar- und Tauschangebote).  Soweit ersichtlich handelt es sich bei sämtlichen bisher im deutschen Markt veröffentlichten Übernahmeangeboten um solche mit einer nicht variablen Bar- und Aktienkomponente.

II. Bedürfnis nach höherer Gestaltungsflexibilität und variable Gegenleistung
2
In einer Reihe von Fallgestaltungen kann es jedoch im Interesse sowohl des Bieters als auch der Aktionäre der Zielgesellschaft liegen, die Angebotsgegenleistung flexibel auszugestalten und ihren Wert durch Variablen (z.B. betreffend das Umtauschverhältnis), etwa im Wege einer Formel, auszudrücken, oder die Art und Höhe der Gegenleistung an das Erreichen bzw. Unterschreiten bestimmter Beteiligungsschwellen an der Zielgesellschaft durch den Bieter zu knüpfen.  Verändert sich beispielsweise bei Tauschangeboten während der Annahmefrist der Börsenkurs des Bieters oder der Zielgesellschaft, so ändert sich damit auch die den Aktionären der Zielgesellschaft effektiv zufließende Gegenleistung. Hierdurch kann sich für den Bieter das Angebot verteuern oder für die Aktionäre der Zielgesellschaft die Gegenleistung verringern. Eine variable Gegenleistung kann für alle Beteiligten die hiermit verbundenen Risiken reduzieren und die Attraktivität des Angebots für die Aktionäre der Zielgesellschaft jedenfalls stabilisieren, ggf. auch verbessern. 

3
Darüber hinaus kann ein Preisanpassungsmechanismus auch sinnvoll sein, um auf Seiten des Bieters die Finanzierung des Übernahmeangebots zu optimieren (was ggf. erforderlich sein kann, um das Angebot überhaupt zu ermöglichen). So kann ein Bieter z.B. bei einem kombinierten Bar- und Tauschangebot ein Interesse daran haben, sein genehmigtes Kapital möglichst vollständig auszunutzen. Dadurch muss er einerseits kein oder weniger Fremdkapital aufnehmen, andererseits aber auch keine Hauptversammlung abhalten, um sich über das vorhandene genehmigte Kapital hinaus weiteres Eigenkapital für die Finanzierung des Angebots zu beschaffen (was regelmäßig Anfechtungsrisiken mit sich bringt und häufig nicht in den Gesamtzeitplan der Übernahme passt). Nicht selten kann ein Bieter jedoch sein genehmigtes Kapital deswegen nicht vollständig ausnutzen, weil er bei der Festlegung des Verhältnisses von Bar- und Aktienkomponente bei einem kombinierten Bar- und Tauschangebot die Annahmequote noch nicht kennt und daher nicht weiß, wie viele eigene Aktien er für das Angebot benötigt. Eine variable Gegenleistung hingegen ermöglicht es dem Bieter, das Verhältnis beider Angebotskomponenten dynamisch auszugestalten und die Höhe der Aktienkomponente – bei gleichbleibendem Gesamtwert der Gegenleistung – abhängig von der Annahmequote festzulegen.

4
Anknüpfend an dieses praktische Bedürfnis nach mehr Flexibilität soll im Folgenden zunächst ein Überblick über die verschiedenen Mechanismen zur Flexibilisierung der Gegenleistung und deren Grenzen gegeben werden (Rz. 5 ff.). Anschließend werden zwei Strukturierungsbeispiele einer variablen Angebotsgegenleistung dargestellt, die die Verfasser für praxisrelevant halten (Rz. 38 ff.).

B. Flexibilisierungsmechanismen und deren Grenzen
5
Dem Bieter stehen bei der Gestaltung der Gegenleistung eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, die er – entweder einzeln oder in Kombination – einsetzen kann, um die Gegenleistung flexibler auszugestalten. Nachfolgend werden zunächst die Wahlgegenleistung (Rz. 6 ff.), die kombinierte Gegenleistung (Rz. 10 ff.) und die ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.03.2021 12:48
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite