Aktuell in der AG

Gestaltung von „Volumenkapitalerhöhungen“ - Beschlussinhalt, Festlegung des Bezugsverhältnisses, Vermeidung eines Bezugsrechtsausschlusses wegen „Spitzen“ (Herfs/Goj, AG 2021, 289)

Große Barkapitalerhöhungen bei börsennotierten Gesellschaften werden in der Praxis in der Regel im Wege der sog. „Volumenkapitalerhöhung“ durchgeführt. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die praktische Gestaltung solcher „Volumenkapitalerhöhungen“ und befasst sich dabei insbesondere mit den praxisrelevanten Fragen der Vermeidung von „Spitzenbeträgen“ und der Notwendigkeit eines Bezugsrechtsauschlusses bei Entstehen eines minimalen, rechnerisch nicht vermeidbaren „Spitzenbetrags“.

I. Einleitung
II. Rechtliche Rahmenbedingungen von „Volumenkapitalerhöhungen“
III. Mehrheitserfordernis und Bezugsrechtsausschluss, insbesondere Umgang im Kapitalerhöhungsbeschluss mit „Spitzenbeträgen“

1. Kein Bezugsrechtsausschluss bei Entstehen von „Teilrechten“ erforderlich
2. Bezugsrechtsauschluss bei Entstehen von „Spitzenbeträgen“
3. Vermeidung von „Spitzenbeträgen“
4. Umgang mit minimalem, rechnerisch nicht vermeidbarem „Spitzenbetrag“
a) Zuteilung eines Teilrechts?
b) Abrundung
c) Aufrundung
d) Stellungnahme
IV. Alternative Lösungen
1. Kapitalherabsetzung/-erhöhung
2. Unentgeltliche Übertragung von Aktien an die Gesellschaft
3. Verzicht eines Aktionärs auf Bezugsrecht
4. Bezugsrechtsausschluss über verfügbares genehmigtes Kapital
V. Zusammenfassung


I. Einleitung

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Wegen der Begrenzung des Volumens des genehmigten Kapital auf 50 % des bisherigen Grundkapitals (§ 202 Abs. 3 S. 1 AktG) werden große Kapitalerhöhungen bei börsennotierten Gesellschaften oft im Wege des Direktbeschlusses durchgeführt. Zum Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses steht das Volumen der Kapitalerhöhung, also der zu erzielende Emissionserlös, regelmäßig fest, z.B. der Betrag der erforderlich ist, um nach einer M&A Transaktion eine Brückenfinanzierung zurückzuzahlen. Nicht fest steht hingegen in der Regel der Bezugspreis der auszugebenden Aktien, da dieser erst kurz vor Ausgabe der Aktien marktnah festgelegt werden soll. Dies führt dazu, dass auch die Zahl der auszugebenden Aktien und das Bezugsverhältnis noch nicht konkret feststehen. Dennoch müssen die Mechanismen zur Durchführung der Kapitalerhöhung im Kapitalerhöhungsbeschluss bereits hinreichend festgelegt werden, insbesondere wie die Zahl der auszugebenden Aktien und das Bezugsverhältnis ermittelt werden. Aus dem angestrebten Volumen der Kapitalerhöhung und dem später festgelegten Bezugspreis wird sich oft kein glattes Bezugsverhältnis ergeben. Es bleibt ein Rest an neuen Aktien, der nicht zugeteilt werden kann, eine sog. „Spitze“. Er stellt sich daher die Frage, wie im Kapitalerhöhungsbeschluss mit solchen „Spitzen“ umgegangen werden muss, insbesondere ob ein Ausschluss des Bezugsrechts auf diese „Spitzen“ erforderlich ist.

II. Rechtliche Rahmenbedingungen von „Volumenkapitalerhöhungen“
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Volumenkapitalerhöhungen“ werden als „Bis zu“-Kapitalerhöhungen ausgestaltet, für die die Begrenzung des genehmigten Kapitals auf 50 % des bisherigen Grundkapitals nicht gilt. Eine „Bis zu“-Kapitalerhöhung ist erforderlich, weil noch nicht feststeht, wie viele Aktionäre tatsächlich teilnehmen. Ansonsten wäre eine Garantie des Kapitalerhöhungsbetrags durch einen Aktionär („Backstop“) oder durch die Banken, die die Kapitalerhöhung durchführen, erforderlich („Hard Underwriting“). Die Garanten zeichnen dann alle von den Aktionären nicht bezogenen Aktien. Das wird aber nicht immer möglich sein. Anzugeben sind im „Bis zu“-Kapitalerhöhungsbeschluss der Höchstbetrag der Erhöhung des Grundkapitals sowie die Höchstzahl der auszugebenden Aktien.  In Abgrenzung zum genehmigten Kapital ist weiterhin die Festlegung eines Durchführungszeitraums erforderlich (allgemein für zulässig erachtet wird ein Zeitraum von bis zu sechs Monaten ggf. mit Verlängerung im Fall der Anfechtung);  außerdem kann die Festlegung des konkreten Kapitalerhöhungsbetrags nicht allein ins Ermessen des Vorstands gestellt werden.  Es wird hierbei als zulässig erachtet, die konkrete Zahl der auszugebenden Aktien von dem erst nach Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses festzulegenden Bezugspreises abhängig zu machen;  sie ergibt sich dann rechnerisch durch Division des angestrebten Emissionserlöses durch den festgelegten Bezugspreis.  Mithin ist in diesen Fällen auch  der angestrebte Emissionserlös anzugeben.  Das Bezugsverhältnis kann ebenfalls als Rechenformel angeben werden;  es ergibt sich durch Division der Zahl der bisherigen Aktien durch die (auf Basis des Bezugspreises bestimmte) Zahl der neu auszugebenden Aktien.  Der Bezugspreis ist vom Vorstand (gegebenenfalls mit Zustimmung des Aufsichtsrats) vor der Emission im Gesellschaftsinteresse festzulegen, insbesondere unter Beachtung des Börsenkurses zum Zeitpunkt der Festlegung;  ein üblicher Abschlag ist möglich. Der Kapitalerhöhungsbeschluss kann und wird in der Regel weitere Vorgaben zur Festlegung des Bezugspreises treffen. Im Regelfall erfolgt die „Bis zu“-Kapitalerhöhung im Wege des mittelbaren Bezugsrechts nach § 186 Abs. 5 S. 1 AktG.

III. Mehrheitserfordernis und Bezugsrechtsausschluss, insbesondere Umgang im Kapitalerhöhungsbeschluss mit „Spitzenbeträgen“
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Der Kapitalerhöhungsbeschluss bedarf nach § 182 Abs. 1 S. 1 AktG grundsätzlich der Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertreten Grundkapitals (sowie der einfachen Stimmmehrheit, § 133 Abs. 1 AktG). Die Kapitalmehrheit kann nach § 182 Abs. 1 S. 2 AktG auf einfache Mehrheit abgesenkt werden, was in der Praxis auch in vielen Satzungen vorgesehen ist. Eine Absenkung ist allerdings nach § 186 Abs. 3 S. 3 AktG nicht möglich, und es verbleibt somit bei der Dreiviertelmehrheit, wenn der Kapitalerhöhungsbeschluss einen Bezugsrechtsausschluss vorsieht.

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Insofern ist für das Mehrheitserfordernis entscheidend, ob der Kapitalerhöhungsbeschluss einen Bezugsrechtsausschluss vorsieht bzw. vorsehen muss. Ein Bezugsrechtsausschluss kann insbesondere mit Blick auf entstehende „Spitzenbeträge“ erforderlich sein. Dabei stellt sich bei der „Volumenkapitalerhöhung“ die Besonderheit, dass – wie gesehen – der Bezugspreis und daher auch die Anzahl der auszugebenden Aktien und folglich das Bezugsverhältnis zum Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses noch nicht konkret feststehen. Der Kapitalerhöhungsbeschluss muss also einen Mechanismus zum Umgang mit etwaigen „Spitzenbeträgen“ und insbesondere deren Vermeidung – wenn ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis vermieden werden soll – vorausschauend regeln.

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Es kann bei dieser Gestaltung rechnerisch nicht ausgeschlossen werden, dass sich minimale „Spitzenbeträge“ ergeben. Dies wirft die Frage auf, ob ein Bezugsrechtsauschluss auch dann tatsächlich vorliegt bzw. die rechtlichen Anforderungen für einen Bezugsrechtsausschluss zu beachten sind, wenn die Ermittlung des Kapitalerhöhungsbetrags und des Bezugsverhältnisses schon so gewählt sind, dass ...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.04.2021 18:35
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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