Aktuell in der AG

Vergleich über die Rückforderung der Vorstandsvergütung (Aicher, AG 2021, 535)

Verlangt der Aufsichtsrat die bereits ausbezahlte Vorstandsvergütung zurück und schließt er mit dem betroffenen Vorstandsmitglied darüber einen Vergleich, stellt sich die Frage, ob der Vergleich den Vorgaben des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG unterliegt. Insbesondere bei einem sog. Compliance-Clawback – also wenn die variable Vorstandsvergütung bei pflichtwidrigem Verhalten von Vorstandsmitgliedern zurückgefordert wird – kommt es in Betracht, dass der Vergleich von der Zustimmung der Hauptversammlung abhängig und erst mit Ablauf der Sperrfrist von drei Jahren möglich ist. Der Beitrag arbeitet heraus, ob § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG bei Clawback-Vergleichen anwendbar ist.


I. Einleitung

II. Zulässigkeit und Grenzen von Vergleichen

III. Problemdarstellung

IV. Überblick zur Vorstandsvergütung und deren Rückforderung

1. Compliance-Clawback

2. Performance-Clawback

3. Zwischenergebnis und zu klärende Fragestellungen

V. Anwendbarkeit des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG bei Rückforderung der Vorstandsvergütung?

1. Wortlaut

2. Systematik des AktG

3. Zwischenergebnis: Keine direkte Anwendbarkeit, aber Analogie?

4. Sinn und Zweck

a) Zustimmung der Hauptversammlung

b) Ablauf der Dreijahresfrist

c) Zwischenergebnis

VI. Ergebnis


I. Einleitung

Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) steht der Hauptversammlung (börsennotierter Aktiengesellschaften) nach § 87 Abs. 4 AktG die Befugnis zu, die nach § 87a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG festgelegte Maximalvergütung von Vorstandsmitgliedern herabzusetzen. Die Hauptversammlung kann somit, wenn ein den formalen Anforderungen des § 122 Abs. 2 AktG genügender entsprechender Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung gestellt wird, mittels einfacher Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 1 AktG) auf die durch den Aufsichtsrat festgelegte Maximalvergütung der Vorstandsmitglieder einwirken. Der Gesetzgeber griff mit der Regelung des § 87 Abs. 4 AktG in das Kompetenzgefüge zwischen Aufsichtsrat und Hauptversammlung zu Lasten des Aufsichtsrats ein. Die gesellschaftsrechtlichen Kontrollbefugnisse der Hauptversammlung wurden um diesen punktuellen Aspekt der Vorstandsvergütung erweitert. Die Festsetzung der Gesamtvergütung der Vorstandsmitglieder verbleibt gleichwohl Aufgabe des Aufsichtsrats. § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG schreibt vor, dass die Gesamtvergütung in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen darf. Dass der Aufsichtsrat diese Vorgaben beachten muss, es sich dabei also um eine ihn treffende Pflicht handelt, folgt vor allem aus § 116 Satz 3 AktG. Nach dieser Regelung sind Aufsichtsratsmitglieder, die schuldhaft an der Festsetzung einer unangemessenen Vorstandsvergütung mitwirken, zum Ersatz des der Aktiengesellschaft daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Der Schaden beläuft sich in diesem Fall – abzgl. etwaiger mit der Pflichtverletzung korrespondierender und daher anzurechnender Vorteile der Gesellschaft – auf den Differenzbetrag zwischen der festgesetzten (unangemessenen) Vergütung und der tatsächlich angemessenen Vergütung. Diesen Schadensersatzanspruch, der sich dogmatisch aus § 116 Satz 1 und 3 AktG i.V.m. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ergibt, hat der amtierende Vorstand (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AktG), sofern nicht ein besonderer Vertreter bestellt ist (§ 147 Abs. 2 Satz 1 AktG), gegenüber den (ehemaligen) Aufsichtsratsmitgliedern nach den bekannten und zuletzt vom BGH im September 2018 bestätigten Grundsätzen aus der „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung im Regelfall – außergerichtlich bzw. gerichtlich – geltend zu machen. Nach dieser Rechtsprechung darf von der Geltendmachung (nur) bei Vorliegen gewichtiger Interessen und Belange der Aktiengesellschaft abgesehen werden.

II. Zulässigkeit und Grenzen von Vergleichen

Anstelle der (gerichtlichen) Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs kann das die Aktiengesellschaft vertretende Organ – Vorstand oder Aufsichtsrat – erwägen, mit dem in Anspruch genommenen Organmitglied einen Vergleich (§ 779 Abs. 1 BGB) zu schließen. Dies ist Ausdruck des im Aktienrecht geltenden Grundsatzes der Vergleichsfreiheit 18 , der gleichwohl – dazu sogleich – nicht grenzenlos gilt. Das die Aktiengesellschaft vertretende Organ darf folglich von einer gerichtlichen Inanspruchnahme (ehemaliger) Organmitglieder absehen und sich stattdessen für eine vergleichsweise Streitbeilegung entscheiden. Es muss den Anspruch also auch bei hinreichenden Erfolgsaussichten nicht zwingend in voller Höhe geltend machen, sondern kann einen Kompromiss eingehen. Da die Entscheidung über den Abschluss einer Vergleichsvereinbarung, wie von der herrschenden Auffassung in der Literatur zurecht postuliert, eine unternehmerische Entscheidung im Sinne der Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2, § 116 Satz 1 AktG) darstellt, steht dem vertretungsberechtigten Organ der Aktiengesellschaft insoweit ein breiter Ermessensspielraum zu, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Das vertretungsberechtigte Organ handelt demzufolge pflichtgemäß, wenn es erstens die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen ermitteln, das heißt eine angemessene Informationsgrundlage herstellt, zweitens die ermittelten Vor- und Nachteile im Interesse der Aktiengesellschaft gewichtet und gegeneinander abwägt und drittens in gutem Glauben und sachlich unbefangen, insbesondere frei von Sonderinteressen, entscheidet. Pflichtwidrig handelt das vertretungsberechtigte Organ erst bei schlechthin unvertretbarem Verhalten, das heißt, wenn es die aus dem Unternehmenswohl ableitbaren Grenzen deutlich überschreitet. Daraus folgt, dass die Konditionen des Vergleichs im Hinblick auf das Gesellschaftsinteresse durch nachvollziehbare und plausible Erwägungen gerechtfertigt sein müssen. Die im Vergleich vereinbarte Höhe der Leistungspflicht des in Anspruch genommenen (ehemaligen) Organmitglieds muss im Verhältnis zum Potential einer streitigen (gerichtlichen) Anspruchsverfolgung einen angemessenen Ausgleich für die Durchsetzungschance bilden.

Bei Vergleichen über Schadensersatzansprüche einer Aktiengesellschaft gegen (ehemalige) Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG sind darüber hinaus nach der Vorschrift des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG weitere Vorgaben zu beachten. Diese Vorschrift legt fest, dass die Aktiengesellschaft erst (...)



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.08.2021 12:42
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite