Aktuell in der AG

Die neue Umsatzbesteuerung von Aufsichtsratsmitgliedern und Mitgliedern anderer Geschäftsführungskontrollgremien (Nücken, AG 2021, 628)

Die deutsche Finanzverwaltung vertrat bislang die Auffassung, dass Aufsichtsratsmitglieder eine selbständige Tätigkeit ausüben und damit regelmäßig Unternehmer i.S.d. Umsatzsteuerrechts sind. Mit Schreiben vom 8.7.2021 ändert das BMF nun seine Rechtsauffassung. Zukünftig sind Aufsichtsratsmitglieder nur noch unter bestimmten Bedingungen selbständig tätig. Der nachfolgende Beitrag beleuchtet hierzu die bisherige Rechtslage, die Rechtsprechungsentwicklung sowie die neuen Regeln durch das BMF-Schreiben v. 8.7.2021 und arbeitet die aus dem Schreiben resultierenden Konsequenzen für die Praxis heraus.

I. Bisherige Rechtslage
II. Änderung der Rechtsprechung

1. EuGH-Urteil vom 13.6.2019 – IO
2. BFH-Urteil vom 27.11.2019
3. FG-Entscheidungen
III. BMF-Schreiben vom 8.7.2021
IV. Konsequenzen für die Praxis
V. Fazit



I. Bisherige Rechtslage
1
Unternehmer i.S.d. Umsatzsteuerrechts ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Die deutsche Rechtsprechung  und ihr folgend die deutsche Finanzverwaltung  ordneten die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied seit jeher als selbständig im Sinne dieser Norm ein. Grund hierfür war vor allem, dass das Aufsichtsratsmitglied für seine Tätigkeit Einnahmen erzielt und im Innenverhältnis zur Aktiengesellschaft nicht an Weisungen gebunden ist: Es fehle an einem Auftraggeber oder Dienstherrn, nach dessen Weisungen und Willen Aufsichtsratsmitglieder zu handeln hätten. Die zivilrechtlichen Verpflichtungen der Aufsichtsratsmitglieder ergäben sich (allein) aus dem Gesetz.

2
Aufsichtsratsmitglieder hatten demzufolge für ihre Aufsichtsratstätigkeiten grundsätzlich Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis auszustellen. Vielfach kam es auch zur Anwendung des Gutschriftverfahrens (§ 14 Abs. 2 Satz 2 UStG), so dass das leistungsempfangende Unternehmen die Rechnungen für das Aufsichtsratsmitglied ausstellte. Ausnahmen gelten, sofern die Kleinunternehmerregung greift: Hier muss das Aufsichtsratsmitglied keine Rechnung mit Umsatzsteuer ausstellen (§ 19 Abs. 1 UStG). Die Steuerbefreiung für ehrenamtliche Tätigkeiten (§ 4 Nr. 26 Buchst. a und b UStG) gilt nur in Ausnahmefällen. So kann die Tätigkeit eines Ratsmitglieds im Aufsichtsrat einer kommunalen Eigengesellschaft steuerbefreit sein.  Die Tätigkeit im Aufsichtsrat einer Volksbank hingegen ist üblicherweise keine ehrenamtliche Tätigkeit.

3
Als umsatzsteuerlicher Unternehmer hat das Aufsichtsratsmitglied seine Aufsichtsratsvergütungen grundsätzlich in monatlichen oder quartalsweisen Umsatzsteuer-Voranmeldungen zu erklären (§ 18 Abs. 2 Satz 1 bis 3 UStG). Allerdings kann das Finanzamt den Unternehmer von der Abgabe von Voranmeldungen befreien, wenn in bestimmten Voranmeldungszeiträumen regelmäßig keine Umsatzsteuer entsteht.  Erhält ein Aufsichtsratsmitglied beispielsweise nur im Mai eines jeden Jahres vertragsgemäß eine Vergütung, lässt die Finanzverwaltung eine Befreiung von der Abgabe der Voranmeldungen für die Monate zu, in denen das Aufsichtsratsmitglied keine Vergütungen erhält.

II. Änderung der Rechtsprechung
4
Die deutsche Rechtsauffassung ist durch das EuGH-Urteil in der Rechtssache IO  erschüttert worden (s. Rz. 5 ff.). Im Anschluss änderte der BFH seine Rechtsprechung (s. Rz. 10 f.). Beide Entscheidungen flossen auch in einige Entscheidungen der FG ein (s. Rz. 12 f.).

1. EuGH-Urteil vom 13.6.2019 – IO
5
In der Rechtssache IO  ging es um ein Mitglied eines Aufsichtsrats einer niederländischen Stiftung. Das Aufsichtsratsmitglied war weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat dieser Stiftung hierarchisch untergeordnet. Allerdings handelte es nicht in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung, sondern für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats. Das Aufsichtsratsmitglied trug auch nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit, da es eine Festvergütung erhielt, die weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhing. Fahrlässiges Handeln des Aufsichtsratsmitglieds hatte keine unmittelbaren Auswirkungen auf seine Vergütung.

6
Der EuGH gelangte in diesem Fall zu der Auffassung, dass das Aufsichtsratsmitglied keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Unionsrechts ausübe (Art. 9 Abs. 1, Art. 10 MwStSystRL). Zwar liege eine „wirtschaftliche“ Tätigkeit vor, da sie nachhaltig und ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 31.08.2021 10:28
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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