OLG Frankfurt a.M. v. 13.9.2021 - 21 W 38/15

Zur Barabfindung nach Squeeze-Out

Die Schätzung des Unternehmenswertes zur Festsetzung der Barabfindung kann im Einzelfall anhand eines Vorerwerbspreises erfolgen. Dies insbesondere dann, wenn ein - etwaiger - Paketzuschlag ausgeschlossen werden kann.

Der Sachverhalt:
Die Antragsteller waren Aktionäre der X-AG. Das Grundkapital der X-AG i.H.v. 32.035.290 € ist in 10.678.430 nennwertlose auf den Inhaber lautende Stückaktien mit einem auf die einzelne Aktie entfallenden rechnerischen Anteil am Grundkapital i.H.v. 3 € eingeteilt. Die X-AG ist das Mutterunternehmen der X-Gruppe und selbst operativ tätig. Die Unternehmen der X-Gruppe sind im Bereich des pharmazeutischen Großhandels im In- und Ausland tätig. Die Antragsgegnerin ist ein mittelbares Tochterunternehmen der B-GmbH, Stadt1/Schweiz, und gehört zur B-Gruppe. Diese ist ein internationaler Apotheken-, Gesundheits- und Kosmetikkonzern mit pharmazeutischem Schwerpunkt. Die Antragsgegnerin ist als Kommanditistin mit 99 % des Gesellschaftskapitals an der B1-GmbH & Co KG (B1) beteiligt.

Die Antragsgegnerin hatte am 18.10.2010 zunächst ein Aktienpaket in einem Umfang von 51,65 % des Grundkapitals von mehreren Veräußerern erworben. Diese Kaufverträge, die unter verschiedenen aufschiebenden Bedingungen, so u.a. der fusionskontrollrechtlichen Freigabe gestanden hatten, wurden im Dezember 2010 vollzogen. Die Antragsgegnerin und die B1 erwarben im folgenden aufgrund mehrerer Kaufverträge im November/Dezember 2010 mehrere Aktienpakete, die zu einem Anteil von ca. 81,64 % des Grundkapitals der X-AG geführt hatten. Sämtliche Erwerbe erfolgten zu einem Preis von jeweils 26 € je Aktie.

Am 29.11.2010 veröffentlichte die Antragsgegnerin ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot an die Aktionäre der X-AG zum Erwerb der Aktien gegen Zahlung von 26,08 €. Dieses wurde in einem Umfang von 25.133 Aktien (0,24 % des Grundkapitals) angenommen. Nach Vollzug des freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebots hielten die Antragsgegnerin und die B1 zusammen einen Anteil in Höhe von ca. 81,88 % des Grundkapitals der X-AG. Am 22.6.2012 erwarb die Antragsgegnerin von verschiedenen Verkäufern einen weiteren Anteil von ca. 14,13 % des Grundkapitals zu einem Kaufpreis in Höhe von 32,72 € pro Aktie. Damit verfügte diese über einen Anteil von ca. 96 % des Grundkapitals. Zum Erwerb der Aktienanteile wurde insgesamt ein durchschnittlicher Kaufpreis von 27,44 € pro Aktie gezahlt.

Mit Schreiben vom 23.7.2012 stellte die Antragsgegnerin als Hauptaktionärin gegenüber dem Vorstand der X-AG ein förmliches Verlangen i.S.d. § 327a Abs. 1 S.1 AktG, die Hauptversammlung der X-AG die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf sie gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung beschließen zu lassen. Zum Zwecke des beabsichtigten Squeeze-Out beauftragte die Antragsgegnerin die C-AG mit der Ermittlung des Unternehmenswerts der X-AG.

Diese ermittelte einen Unternehmenswert nach dem Ertragswertverfahren in Höhe von 29,02 € je Aktie. Dabei wurde im Rahmen des Kapitalisierungszinssatzes u.a. eine Marktrisikoprämie von 5,5 % angesetzt, der Beta Faktor anhand einer Peer-Group abgeleitet und ein Wachstumsabschlag von 1,5 % berücksichtigt. Der durchschnittliche Börsenkurs im Drei- Monats-Zeitraum vor der Bekanntgabe der Squeeze-Out- Absicht betrug 28,65 €. In der Hauptversammlung der X-AG am 18.12.2012 wurde sodann die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Antragsgegnerin zu einem Preis von 29,02 € beschlossen. Zu diesem Zeitpunkt wurden 426.770 Aktien der X-AG nicht von der Antragsgegnerin gehalten.

Im Anschluss haben zahlreiche Minderheitsaktionäre Spruchverfahren mit dem Ziel, die Angemessenheit der Abfindung gerichtlich überprüfen zu lassen, eingeleitet. Sie haben insbesondere gegen den Ergebnisrückgang in der ewigen Rente, welcher u.a. auf der Berücksichtigung von Forward Wechselkursen beruhen soll, gegen die Annahmen der Innenfinanzierung (Thesaurierung) sowie gegen die Parameter des Kapitalisierungszinssatzes Einwände erhoben. Das LG hat die Abfindung auf 32,72 € je Aktie festgesetzt. Das OLG hat die hiergegen gerichteten Beschwerden der Antragsgegnerin sowie der Antragsteller zurückgewiesen. Die Entscheidung ist daher rechtskräftig.

Die Gründe:
Der vom LG festgesetzte Abfindungsbetrag erweist sich im Ergebnis als angemessen. Im vorliegenden Fall kann der Wert des Unternehmens ausnahmsweise anhand des bei dem letzten außerbörslichen Erwerb eines umfangreichen Aktienpaktes durch die Antragsgegnerin i.H.v. 32,72 € gezahlten Kaufpreises geschätzt werden.

Nach den vom Senat durchgeführten weiteren Ermittlungen zum Ertragswert steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der vereinbarte Kaufpreis keinen Paketzuschlag enthält sondern den Verkehrswert des Unternehmens angemessen widerspiegelt. Bei einer Schätzung des Unternehmenswertes anhand der Ertragswertmethode unter Berücksichtigung des von dem Senat regelmäßig als vorzugswürdig angesehenen raw-Betas wird der Kaufpreis mit einem festgestellten Abfindungsbetrag von 32,91 € nahezu vollständig bestätigt. Im Hinblick auf die sich bei jeweils gleichermaßen vertretbaren Annahmen bezüglich des Beta-Faktors und der Festlegung des Forward-Wechselkurses in der ewigen Rente ergebenden alternativen Ertragswerte, die bis auf den im Übertragungsbericht angesetzten Wert mit 29,02 € im Bereich oder über dem Kaufpreis von 32,72 € liegen, ist ein Paketzuschlag nicht ersichtlich und eine Abänderung des mit 32,72 € festgesetzten Abfindungsbetrages daher nicht veranlasst.

Der Senat ist zudem vorliegend davon überzeugt, dass der derart verhandelte Kaufpreis keinen Paketzuschlag enthält. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass allein ein nach der Ertragswertmethode ermittelter Unternehmenswert unterhalb dieses Preises hinreichend plausibel wäre. Vielmehr bestehen nach den weiteren Ermittlungen hinsichtlich des möglichen Ertragswertes keine begründeten Zweifel mehr, dass es sich bei dem, dem Erwerb vom 18.6.2012 zugrunde gelegten Vorerwerbspreis um einen den wirklichen Wert des Unternehmens widerspiegelnden Marktwert handelt, der der Schätzung zugrunde gelegt werden kann.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen. Zwar handelt es sich bei der Frage, ob die gewählte Methode dem Bewertungsziel entspricht, um eine Rechtsfrage. Denn es ist eine Rechtsfrage, ob eine vom Tatrichter gewählte Bewertungsmethode oder ein innerhalb der Bewertungsmethode gewähltes Berechnungsverfahren den gesetzlichen Bewertungszielen widerspricht (BGH, II ZB 6/20). Dass eine marktorientierte Bewertungsmethode für die Schätzung des Unternehmenswertes geeignet ist, hat der BGH für den Börsenkurs ausdrücklich klargestellt. Insoweit ist dieser nicht mehr nur als Untergrenze heranzuziehen, sondern kann auch als alleinige Schätzgrundlage dienen.

Dass Vorerwerbspreise als Markpreise grundsätzlich keine geeignete Schätzgrundlage bilden können, wird weder in der betriebswissenschaftlichen Literatur noch in der Rechtsprechung vertreten. Vielmehr stellt es eine Frage des Einzelfalles dar, ob der Vorerwerbspreis den wirklichen Unternehmenswert widerspiegeln kann. Dies ist zu trennen von der durch die BVerfG- und BGH-Rechtsprechung bereits beantworteten Frage, dass die Minderheitsaktionäre keinen Anspruch auf einen außerbörslich bezahlten erhöhten Preis haben.

Linkhinweis:

  • Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der Datenbank Otto Schmidt online.
  • Erfahren Sie mehr zum  Squeeze out in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2018. Ebenfalls bei Otto Schmidt online.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.11.2021 11:52
Quelle: LaReDa Hessen

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