Aktuell in der AG

Say on Climate (Harnos/Holle, AG 2021, 853)

Da das Gesellschaftsrecht die inneren Strukturen und Verantwortlichkeiten von Unternehmen und damit derjenigen Akteure gestaltet, die für einen Großteil der weltweiten Emissionen verantwortlich sind, durchdringt der Klimaschutz zunehmend auch das Aktienrecht. Neue Investoreninitiativen fordern die Möglichkeit der Aktionäre, im Wege eines Hauptversammlungsbeschlusses zur „Klimapolitik“ des Unternehmens Stellung zu beziehen. Der Beitrag misst aus, inwieweit sich das geltende Aktienrecht für ein solches Say on Climate offen zeigt.

I. Einleitung
II. Offenlegung der Klimaschutzmaßnahmen

1. Faktischer Berichtszwang durch die nichtfinanzielle Erklärung nach §§ 289b ff. HGB
2. Anstehender Ausbau des Berichtszwangs durch Taxonomie-VO und Reform der Bilanzrichtlinie
III. Keine Gewährleistung eines Say on Climate  durch Rede- und Auskunftsrecht sowie Entlastungsbeschluss
1. Fehlender Votumscharakter des Rede- und Auskunftsrechts auf der Hauptversammlung
2. Fehlende Passgenauigkeit des Entlastungsbeschlusses
IV. Say on Climate als Folge einer Vorstandsvorlage an die Hauptversammlung
1. Überschießende Tendenz der herkömmlichen  Mechanik des § 119 Abs. 2 AktG
2. Möglichkeit eines bloßen Konsultationsbeschlusses
a) Meinungsstand
b) Zulässigkeit einer Hauptversammlungskonsultation in Geschäftsführungsfragen
c) Beschlussqualität entsprechender Stellungnahmen
d) Erfordernis einer am Gesellschaftswohl  orientierten Abwägung im Einzelfall
e) Justiziabilität von Konsultationsbeschlüssen
aa) Meinungsstand bei artverwandten Beschlüssen
bb) Kein genereller Ausschluss der Justiziabilität
3. Beschlusslose Hauptversammlungskonsultation
a) Stand der Diskussion
b) Zulässigkeit beschlussloser Hauptversammlungskonsultation
V. Keine aktionärsseitige Durchsetzbarkeit eines Say on Climate
1. Ergänzungsverlangen zur Fassung eines Meinungsbeschlusses in Klimaschutzangelegenheiten?
a) Ausgangslage
b) Meinungsstand
c) Keine grundsätzliche Kompetenz der Hauptversammlung zu aktionärsseitig initiierten Stellungnahmen in Beschlussform
aa) Unergiebigkeit von Gesetzeswortlaut, -systematik und -historie
bb) Prägewirkung von Meinungsbeschlüssen und fehlende Organadäquanz
2. Keine grundsätzliche Kompetenz der Hauptversammlung zur beschlusslosen Meinungsbildung in Geschäftsführungsangelegenheiten
a) Zulässigkeit von Ergänzungsverlangen zu  beschlusslosen Tagesordnungspunkten
b) Kompetenzordnung als Schranke der Ergänzungsverlangen zu beschlusslosen Tagesordnungspunkten
VI. Zusammenfassung


I. Einleitung

1
Anfang des 21. Jahrhunderts galten institutionelle Investoren, allen voran Hedgefonds US-amerikanischer Herkunft, als verantwortungslose Heuschrecken. Mittlerweile stechen institutionelle Investoren eher dadurch hervor, dass sie sich aktivistisch für bestimmte Belange wie namentlich den Klimaschutz einsetzen. Ein Beispiel ist die erfolgreiche Kampagne des US-Hedgefonds Engine No. 1 bei Exxon, die u.a. auf eine verstärkt nachhaltigkeitsorientierte Strategie des Energieunternehmens abzielte.

2
Die Forderung nach mehr „Environmental, Social, Governance“ (ESG) in der Unternehmenskultur erheben aber nicht nur Einzelspieler. So ist auf der einen Seite zu beobachten, dass die Stimmrechtsberater dazu übergehen, ESG-Themen in ihre Empfehlungen einzubeziehen. Auf der anderen Seite schließen sich aber auch vermehrt Investoren von sich aus zusammen, um mit gemeinsamer Stimme einen klimaschutzbezogenen Transformationsprozess in der Weltwirtschaft zu fordern. Auf dem US-amerikanischen Kapitalmarkt ist insbesondere die „Say on Climate“-Initiative aktiv. Sie fordert, die Emissionen im Vergleich zum Stand 2010 bis 2030 um 50 % zu reduzieren und glaubwürdige Klimaaktionspläne in Unternehmen zu implementieren. Um diesem Anliegen den nötigen Nachdruck zu verleihen, verlangt die Initiative von Unternehmen, drei Bedingungen zu erfüllen: (1) eine jährliche Offenlegung der Emissionen, (2) einen Plan zum Umgang mit den Emissionen und (3) eine Abstimmung der Aktionäre darüber, ob sie die Positionierung des Unternehmens für angemessen halten. Um die Aktionäre hierbei zu unterstützen, stellt die Initiative eine Vorlage für einen Say-on-Climate-Beschluss zur Verfügung, die auf US SEC 14a-8 rules zugeschnitten ist.

3
Auf dem europäischen Kapitalmarkt ist die „Institutional Investors Group on Climate Change“ (IIGCC) präsent, die mehr als 340 Mitglieder aus 22 Staaten vereint. Die IIGCC verfolgt u.a. das Ziel, Strategien für den Einsatz von Aktionärsbeschlüssen und anderen Maßnahmen zur Einbindung der Öffentlichkeit zu entwickeln – wie z.B. Erklärungen auf Hauptversammlungen. Innerhalb der Initiative bietet die Untergruppe „Resolutions“ ein Diskussionsforum für die europaweite Entwicklung und Umsetzung von Beschlussanträgen.  Auch in anderen Teilen der Welt schließen sich Investoren zusammen, um den Klimaschutz zu fördern. Zu nennen sind etwa die „Investor Group on Climate Change“ (IGCC) in Australien und Neuseeland oder die „Asia Investor Group on Climate Change“ (AIGCC) , die mit der IIGCC die „Global Investor Coalition on Climate Change“ (GIC) bilden.

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Trotz der Unterschiede im Detail haben all diese Initiativen zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen möchten sie wissen, welche Maßnahmen das Management der Portfoliogesellschaften ergreift, um den Klimaschutz voranzutreiben. Zum anderen wollen sie, dass die Aktionäre hierüber abstimmen und auf diese Weise ihre Meinung zu den Klimaschutzmaßnahmen kundtun können. Zumindest auf dem europäischen Kapitalmarkt werden derartige Bemühungen durch den neuen regulatorischen Rahmen künftig noch zusätzlich befeuert: Finanzmarktteilnehmer wie Fonds- oder Vermögensverwalter müssen nach Maßgabe der Offenlegungs-VO und der Taxonomie-VO darüber informieren, ob und inwieweit sie das ihnen anvertraute Vermögen in ökologisch nachhaltige Projekte investieren. Dabei gilt nach Art. 9 Buchst. a Taxonomie-VO der Klimaschutz als ein Umweltziel, das eine ökologisch nachhaltige Investition auszeichnet. Um die von ihnen angebotenen Finanzprodukte als ökologisch nachhaltig anpreisen zu können (vgl. Art. 9 Offenlegungs-VO und Art. 5 Taxonomie-VO), dürften die Finanzmarktteilnehmer daher zukünftig nach Wegen suchen, in ihren Investitionsobjekten, also u.a. den deutschen Aktiengesellschaften, eine konsistente Klimapolitik zu forcieren.

5
Erste Unternehmen haben den Forderungen der ESG-orientierten Investoren bereits entsprochen und ihre Klimaschutzpolitik proaktiv auf die Agenda der Aktionärstreffen gesetzt. So hat etwa die Royal Dutch Shell plc ihre Aktionäre darüber abstimmen lassen, ob sie die erarbeite „Energy Transition Strategy 2021“  für angemessen halten. In ähnlicher Weise ist die Nestlé AG in Bezug auf ihren „Nestlé Klima Aktionsplan“ verfahren. Die Aktionäre von Shell  und Nestlé haben die Pläne daraufhin jeweils positiv beschieden.

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Im Folgenden wird herausgearbeitet, inwieweit die deutsche Rechtsordnung Aktionären Raum dafür gibt, die skizzierten Ziele zu verwirklichen. Konkret wird untersucht, inwieweit deutsche Aktiengesellschaften zur Offenlegung ihrer Emissionen sowie eines Plans zu deren Reduktion gehalten sind (Rz. 7 ff.) und welche Möglichkeiten für die Aktionäre bestehen, hierzu Stellung zu beziehen (Rz. 11 ff., Rz. 17 ff. und Rz. 44 ff.).

II. Offenlegung der Klimaschutzmaßnahmen

1. Faktischer Berichtszwang durch die nichtfinanzielle Erklärung nach §§ 289b ff. HGB

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Der Zugang zu Informationen, die die Emissionen sowie die Maßnahmen zu ihrer Reduzierung betreffen, wird seit der Umsetzung der CSR-Richtlinie  weitgehend durch das Bilanzrecht gewährleistet und institutionalisiert. Nach § 289b Abs. 1 HGB sind große Kapitalgesellschaften i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 HGB, die kapitalmarktorientiert i.S.d. § 264d HGB sind und die ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.11.2021 14:37
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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