Aktuell in der AG
Kryptowerte und Marktmissbrauch (Grimm/Kreuter, AG 2023, 177)
Auf europäischer Ebene sollen Kryptomärkte in Zukunft durch eine Regulation on Markets in Crypto-Assets – MiCA-VO – reguliert werden. Nachdem ein Entwurf zur MiCA-VO erstmals am 24.9.2020 durch die Kommission als Teil eines umfassenden Pakets zur Digitalisierung des Finanzwesens vorgelegt worden war, haben sich Rat, Kommission und das europäische Parlament im September 2022 auf eine finale Fassung geeinigt. Die MiCA-VO soll Anfang 2023 vom Europäischen Parlament verabschiedet und nach ihrem Inkrafttreten Anfang und Mitte 2024 wirksam werden. Die Verordnung kann als Meilenstein bei der Regulierung von Kryptowerten bezeichnet werden; sie trägt einerseits der steigenden Bedeutung von Kryptowerten auf den Finanzmärkten Rechnung und begegnet andererseits den damit verbundenen Risiken und Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund untersucht der vorliegende Beitrag, inwieweit das geltende Marktmissbrauchsrecht bereits auf Marktmanipulation und Insiderhandel in Bezug auf Kryptowerte anwendbar ist und inwiefern die MiCA-VO in Zukunft etwaige bestehende Regelungslücken schließen und damit einen Beitrag zur neuen Strategie der EU für ein digitales Finanzwesen leisten wird.
I. Einleitung
II. Kryptowerte und klassische Finanzinstrumente mit Bezug zu Kryptowerten
1. Kryptowerte
a) Technische Grundlagen der Kryptowerte: Distributed-Ledger-Technologie und Blockchain
b) Kategorisierung der Kryptowerte
aa) Currency Tokens
bb) Utility Tokens
cc) Asset Tokens
dd) Non-Fungible Tokens
ee) Kategorisierung der Kryptowerte in der MiCA-VO
2. Klassische Finanzinstrumente mit Bezug zu Kryptowerten
a) Aktien mit Bezug zu Kryptowerten
b) Kryptoderivate
c) Exchange Traded Notes
3. Zusammenfassung
III. Insiderhandel und Markmanipulation bei Kryptowerten
1. Insiderhandel
2. Frontrunning
3. Pump-and-Dump Schemes
4. Wash Trading
5. Spoofing
6. Zusammenfassung
IV. Anwendbarkeit der MAR auf Kryptowerte
1. Finanzinstrumenteneigenschaft
a) Kryptowerte als Finanzinstrumente
aa) Asset Tokens
bb) Utility Tokens
cc) Currency Tokens
dd) NFTs
b) Klassische Finanzinstrumente mit Bezug zu Kryptowerten
2. Marktbezug
3. Zusammenfassung
V. Die neue Rechtslage mit Inkrafttreten der MiCA-VO
1. Anwendungsbereich
2. Insiderinformationen und Verbot von Insidergeschäften
3. Verbot der Marktmanipulation
4. Sanktionen
5. Zusammenfassung
VI. Schlussbetrachtung
I. Einleitung
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Seit der Einführung des Bitcoins im Jahr 2009 hat sich neben einer Vielzahl von Kryptowährungen ein zum traditionellen Finanzmarkt paralleles Ökosystem bestehend aus verschiedensten Kryptowerten, ihren Emittenten, Handelsplattformen und Händlern etabliert. Auf diesem neuen Kryptomarkt wurden bald altbekannte Formen des Insiderhandels wie Frontrunning und der Marktmanipulation wie Spoofing, Wash Trading und Pump-and-Dump Schemes von Marktakteuren angewendet, um hieraus Profit zu schlagen. Begünstigt wird die Anfälligkeit von Kryptomärkten für derartigen Missbrauch durch die Internationalität der Kryptomärkte und ihrer Teilnehmer, das weitgehende Fehlen von Aufsichtsmechanismen und die oftmals mangelnde Eindeutigkeit der Rechtslage.
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Öffentliches Interesse erregten in der Vergangenheit insbesondere die Äußerungen von Elon Musk zum Bitcoin und anderen Kryptowährungen. Der als Mitgründer von PayPal, Tesla und SpaceX bekannte Unternehmer wird unter Anlegern in Kryptowerten als Koryphäe gehandelt. Seinen Äußerungen über verschiedene Kryptowerte, die Musk regelmäßig über sein Twitter-Konto in Form von Kurzmitteilungen an seine über 125 Mio. Follower verbreitet, wird ein derartiges Gewicht beigemessen, dass diese einen erheblichen Einfluss auf den Kurs des betreffenden Kryptowertes haben.
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So stieg der Bitcoin-Preis im Februar 2021 an, nachdem Musk angekündigt hatte, Tesla werde in Zukunft Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren. Von besonderer Brisanz war diese Äußerung insbesondere deshalb, weil das von ihm geleitete Unternehmen Tesla, Inc. im Vorfeld der Ankündigung Bitcoin für ca. 1,5 Mrd. € erworben hatte. In der Folge warf man Musk vor, er habe nach dem durch seine Äußerungen verursachten Preisanstieg den Verkauf von Bitcoin durch Tesla veranlasst und damit Gewinne generiert. Hierdurch habe er aktiv Marktmanipulation in Form eines Pump-and-Dump Schemes betrieben. Musk wies die Vorwürfe zurück.
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Auch auf weniger prominenter Ebene mehren sich in den letzten Jahren die Fälle marktmissbrauchsähnlichen Verhaltens im Zusammenhang mit Kryptowerten. Über Foren und Messengerdienste wie Discord und Telegram tauschen sich Nutzer über diverse Kryptowährungen als Manipulationsziele aus oder teilen (vermeintliche) Insiderinformationen. Auf diese Gefahren im Zusammenhang mit dem Handel mit Kryptowerten hat zuletzt auch die US-amerikanische President’s Working Group in ihrem Bericht zu Stable Coins hingewiesen: „Market integrity and investor protection risks encompass (...) market manipulation, insider trading, and front running (...).“ In diesem Zusammenhang stehen auch jüngste Strafverfolgungsmaßnahmen des US-amerikanischen Department of Justice (DOJ) und der Securities Exchange Commission (SEC): Am 1.6.2022 erhob die New Yorker Staatsanwaltschaft die nach eigenen Angaben erste Anklage wegen Insiderhandels im Zusammenhang mit Kryptowerten, in diesem Fall Non-Fungible Tokens (NFTs), die auf der NFT-Handelsplattform Opensea gehandelt wurden. Im Juli 2022 erhob die New Yorker Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen Mitarbeiter der Krypto-Handelsplattform Coinbase sowie zwei Mittäter wegen Insiderhandels durch Errichtung eines Tippgeber-Systems.
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Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit das Regelungsregime zum Marktmissbrauch, d.h. Verbote von Marktmanipulation und Insiderhandel, auf Kryptowährungen im Speziellen – und Kryptowerte im Allgemeinen – Anwendung findet bzw. finden sollte.
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Der Antwort auf diese Frage im Hinblick auf die europäische Rechtslage widmet sich der nachfolgende Aufsatz. Dazu findet sich in Rz. 7 ff. zunächst eine überblicksartige Erläuterung zum Begriff der Kryptowerte und der technischen Grundlagen. Daneben erfolgt ein Überblick zu Derivaten und Aktien (als klassische Finanzinstrumente) mit mittelbarem Bezug zu Kryptowährungen und deren Erscheinungsformen am Markt in rechtstatsächlicher Hinsicht. Auf dieser Grundlage findet sich in Rz. 28 ff eine Erörterung der Anwendbarkeit der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) auf Kryptowerte und relevante klassische Finanzinstrumente nach der bestehenden Rechtslage. Dem schließen sich eine Darstellung der Verordnung über Märkte für Kryptowerte sowie eine Diskussion bezüglich weiterer erforderlicher Anpassungen des sekundärmarktrechtlichen Regelungsregimes an (Rz. 38 ff.). Der Beitrag schließt mit einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung (Rz. 57 ff.).
II. Kryptowerte und klassische Finanzinstrumente mit Bezug zu Kryptowerten
1. Kryptowerte
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Der Begriff der „Kryptowerte“ kristallisiert sich als neuer Oberbegriff für alle auf der Distributed-Ledger-Technologie („DLT“) basierenden digitalen Werte heraus und liegt auch der MiCA-VO zugrunde. Dort wird er definiert als digitale Darstellung von Werten oder Rechten, die unter Verwendung der Distributed-Ledger-Technologie oder einer ähnlichen Technologie elektronisch übertragen und gespeichert werden können.
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Hinter den Kryptowerten steht die größere Idee des Decentralised Finance (DeFi). DeFi beschreibt die Vision einer Finanzwelt ohne Zentralstellen und Intermediäre, in der Transaktionen alleinig zwischen den unmittelbar Beteiligten abgewickelt werden (peer-to-peer). Dies soll eine effektivere Transaktionsabwicklung, geringere Transaktionskosten und Unabhängigkeit von staatlicher Regulierung ermöglichen. Global gesehen soll die finanzielle Inklusion gefördert werden, indem Zugangsbarrieren beseitigt und...
