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Wertpapierdarlehen - Übernahme- und wertpapierrechtliche Aspekte (Hasselbach/Alles, AG 2023, 220)

Wertpapierdarlehen sind in der Praxis öffentlicher Übernahmen von erheblicher Bedeutung. Sie können z.B. als Strukturierungsinstrument im Vorfeld einer Übernahme, insbesondere zum Aufbau einer Beteiligung (Stakebuilding), oder aber während eines laufenden Angebots zum Überschreiten der vom Bieter gesetzten Mindestannahmeschwelle verwendet werden. Nach Vollzug eines Übernahmeangebots können Wertpapierdarlehen etwa bei der Implementierung von Konzernintegrationsmaßnahmen, wie z.B. eines Squeeze-outs, eingesetzt werden. Allerdings sind zahlreiche wertpapier- und übernahmerechtliche Fragestellungen beim Einsatz von Wertpapierdarlehen noch ungeklärt; das gilt vor allem für die Berücksichtigung dieses Instruments bei der Festlegung des Mindestangebotspreises nach § 31 WpÜG. Der vorliegende Beitrag beleuchtet diese Fragen zunächst aus rechtstechnischer Sicht und stellt dann praxistaugliche Lösungsansätze vor.

I. Einleitung
II. Rechtliche Einordnung des Wertpapierdarlehens
III. Die Gegenleistung i.S.d. § 31 WpÜG

1. Mindestangebotspreis
a) Die Darlehensgebühr
b) Der Rückgewähranspruch
c) Ausgleichszahlungen für Dividenden
d) Sicherheiten und sonstige Sachleistungen
e) Strukturierungs‑, Vermittlungs-/Broker- und sonstige Kosten
f) Ermittlung des Werts der Gegenleistung
aa) Bewertungsmethodik
bb) Bewertungszeitpunkt
cc) Wert der Gegenleistung
2. Keine Anwendbarkeit des § 31 Abs. 3 WpÜG auf das Wertpapierdarlehen
a) Darlehensgebühr, Ausgleichszahlungen für Dividenden, und Sicherheiten in Geld als Geldleistungen im Sinne des § 31 Abs. 3 WpÜG?
b) Kein zwingendes Barangebot bei nicht ausgeübter Option einer Bargegenleistung
3. Wertpapierdarlehen als Vorerwerbsvereinbarung i.S.d. § 31 Abs. 6 WpÜG?
IV. Zusammenfassung und Thesen


I. Einleitung

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Wertpapierdarlehen haben in der Praxis öffentlicher Übernahmen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Ihr praktischer Anwendungsbereich ist breit und kann sich über den gesamten Lebenszyklus einer Übernahme erstrecken; das macht sie als Strukturierungsinstrument besonders wertvoll. Im Vorfeld einer öffentlichen Übernahme kann der Bieter beispielsweise auf Wertpapierdarlehen zurückgreifen, um eine Beteiligung an der Zielgesellschaft aufzubauen und damit sein Angebot abzusichern. Während der Annahmefrist eines Übernahmeangebots wiederum können Wertpapierdarlehen vor allem dazu dienen, die in der Angebotsunterlage festgelegte Mindestannahmeschwelle zu erreichen. Auf diese Weise kann der Bieter dem Problem begegnen, dass institutionelle Anleger, insbesondere Investmentfonds, ein öffentliches Angebot – auch wenn sie grundsätzlich annahmewillig sind – regelmäßig erst am letzten Tag der Annahmefrist oder sogar erst in der weiteren Annahmefrist annehmen, wenn feststeht, ob das Angebot erfolgreich sein wird. Für das Überschreiten der Mindestannahmeschwelle ist die Annahme des Angebots in dieser Phase allerdings nicht mehr von Nutzen, da der relevante Zeitpunkt für die Mindestannahmeschwelle mit Blick auf § 16 Abs. 2 Satz 2 WpÜG immer das Ende der regulären Annahmefrist ist. Um die Annahmeschwelle (wenn auch ggf. nur kurzfristig) zu überschreiten, den Vollzug des Übernahmeangebots zu ermöglichen, und die einjährige Sperrfrist nach § 26 Abs. 1 WpÜG zu vermeiden, kann der Bieter in solchen Situationen kurz vor dem Ende der regulären Annahmefirst Wertpapierdarlehen mit einem oder mehreren das Angebot (noch) nicht annehmenden Paketaktionären abschließen. Für diese kann der Abschluss von Wertpapierdarlehensverträgen durchaus attraktiv sein, da sie durch das Darlehensentgelt die Rendite ihres Portfolios steigern und zugleich Depotgebühren einsparen, vor allem aber das Zustandekommen des Angebots ermöglichen und sich dadurch weitere Optionen offen halten, ohne sich sofort definitiv festlegen zu müssen, ob sie ihre Beteiligung an der Zielgesellschaft letztlich an den Bieter veräußern wollen. Nach Vollzug eines Übernahmeangebots wiederum können Wertpapierdarlehen bei der Umsetzung von Konzernintegrationsmaßnahmen, wie z.B. eines Squeeze-outs, eingesetzt werden, um dem Bieter die dafür erforderliche Kapitalmehrheit zu beschaffen. Rechtlich besonders relevant, und in weiten Teilen noch nicht ausführlich untersucht, ist bei allen diesen Anwendungsmöglichkeiten die Frage, welchen Einfluss die Vereinbarung eines Wertpapierdarlehens und die dabei dem Darlehensgeber seitens des Bieters gewährten Leistungen auf die von dem Bieter den übrigen Aktionären der Zielgesellschaft mindestens zu zahlende Gegenleistung haben. Diese Frage steht im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags.

II. Rechtliche Einordnung des Wertpapierdarlehens
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Zunächst ist das „Wertpapierdarlehen“, was auch für die übernahmerechtliche Bewertung wichtig ist, begrifflich von der „Wertpapierleihe“ abzugrenzen. Bei Abschluss eines Wertpapierdarlehens verpflichtet sich der Darlehensgeber, dem Darlehensnehmer temporär eine gewisse Anzahl an Wertpapieren zu vollem Eigentum und zu freier Verfügung zu übertragen. Im Gegenzug verpflichtet sich der Darlehensnehmer, die vereinbarte Vergütung zu bezahlen und dem Darlehensgeber nach Ende der Laufzeit Wertpapiere gleicher Art, Güte und Menge zu gewähren. Zudem muss der Darlehensnehmer i.d.R. Sicherheiten bereitstellen, etwa in Gestalt von Barmitteln oder Wertpapieren. In Abgrenzung zu einem Kaufgeschäft, bei dem die Wertpapiere dauerhaft an den Vertragspartner übertragen werden, erfolgt hier die Übertragung des rechtlichen Eigentums zwar definitiv, die des wirtschaftlichen Eigentums aber nur für eine gewisse Zeit. Von der Leihe gem. § 598 BGB unterscheidet sich das Wertpapierdarlehen dadurch, dass beim Wertpapierdarlehen der Darlehensnehmer das Eigentum an den Aktien erwirbt, die Überlassung des Eigentums entgeltlich erfolgt und nach Vertragsbeendigung häufig nicht exakt dieselben Aktien, sondern nur Aktien gleicher Art und Güte zurücktransferiert werden. Der vom Englischen „securities lending“ entlehnte und häufig gebrauchte Begriff der Wertpapierleihe ist insoweit unpräzise und irreführend. Rechtlich handelt es sich bei der Konstruktion des Wertpapierdarlehens um ein Sachdarlehen i.S.d. § 607 BGB und zugleich um dessen wichtigsten praktischen Anwendungsfall.

III. Die Gegenleistung i.S.d. § 31 WpÜG
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Betrachtet man das Wertpapierdarlehen im übernahmerechtlichen Kontext, so stellen sich im Hinblick auf die gewährte Gegenleistung nach § 31 WpÜG insbesondere die folgenden Fragen:

  • Welchen Einfluss hat die Vereinbarung eines Wertpapierdarlehens auf den Mindestangebotspreis i.S.d. § 31 Abs. 1 WpÜG (dazu nachfolgend 1.; Rz. 5 ff.)?
  • Löst die Vereinbarung eines Wertpapierdarlehens eine Barangebotspflicht gem. § 31 Abs. 3 WpÜG aus (dazu nachfolgend 2.; Rz. 26 ff.)?
  • Ist ein Wertpapierdarlehen als Vorerwerbsvereinbarung i.S.d. § 31 Abs. 6 WpÜG zu qualifizieren (dazu nachfolgend 3.; Rz. 37 ff.)?

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Diese Fragen werden nachfolgend unter Berücksichtigung der BaFin-Praxis hierzu beantwortet.

1. Mindestangebotspreis
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Vereinbart der Bieter im Vorfeld, während oder im Nachgang zu einer öffentlichen Übernahme mit einem Paketaktionär oder mit einzelnen Marktteilnehmern ein Wertpapierdarlehen, so kann dies mindestpreisrelevante Konsequenzen haben; die den Aktionären der Zielgesellschaft angebotene Gegenleistung muss nämlich auch...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.03.2023 17:00
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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