Aktuell in der AG

Interne Untersuchungen als Ausübung der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats (Fett/Habbe, AG 2018, 257)

Mit dem Beitrag gehen die Autoren der Frage nach, ob und in welcher Weise der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft in Ausübung seiner Überwachungspflicht zur Vornahme von internen Untersuchungen berechtigt bzw. verpflichtet ist. Dabei wird ein besonderer Fokus auf das Verhältnis zwischen Überwachung und Geschäftsführungstätigkeit – die grundsätzlich dem Vorstand obliegt – gelegt. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die effektive Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe die Durchführung einer internen Untersuchung durch den Aufsichtsrat in bestimmten Konstellationen erfordern kann; auch in solchen Szenarien verlagert sich aber die originäre Aufklärungsverantwortung des Vorstands nicht auf den Aufsichtsrat.

A. Einführung
B. Pflicht des Aufsichtsrats zur Überwachung der  Geschäftsführung
I. Rechtsgrundlagen
II. Überwachungsgegenstand
III. Ausprägung und Umfang
C. Tätigwerden des Aufsichtsrats im Rahmen von  internen Untersuchungen
I. Pflicht zur Durchführung einer eigenen Untersuchung des Aufsichtsrats
1. Untersuchungsanlässe
a) Mögliche Gefahr für die Gesellschaft
aa) Verdachtsgegenstand
bb) Mögliche Involvierung des Vorstands
b) Wahrscheinlichkeit der Gefahrenverwirklichung
2. Kein Ermessensspielraum
II. Keine Verlagerung der Aufklärungsverantwortung vom Vorstand auf den Aufsichtsrat
III. Modalitäten bei der Durchführung einer eigenen Untersuchung durch den Aufsichtsrat
1. Delegation der Aufklärung
2. Aufklärungsinstrumente
a) Zugriff auf Unternehmensberichterstattung
b) Mitarbeiterbefragungen
aa) Recht des Aufsichtsrats zu Mitarbeiterbefragungen?
bb) Mögliche dogmatische Verankerung
(i) Hinzuziehung von Sachverständigen und  Auskunftspersonen
(ii) Einrichtung eines Prüfungsausschusses
(iii) Überwachung
c) E Mail-Screening
D. Zusammenfassung und Schluss

A. Einführung
In der Praxis zeigt sich die zunehmende Bedeutung insbesondere der Compliance-bezogenen Überwachungspflichten von Organmitgliedern eindrucksvoll an den teils substantiellen Geldbußen und Strafzahlungen, mit denen Compliance-Verstöße durch Unternehmen sanktioniert werden. So resultieren Ermittlungen durch – oftmals US-amerikanische – Aufsichtsbehörden und kartellrechtliche Untersuchungen in jüngerer Zeit vermehrt in der Verhängung erheblicher Geldstrafen. Seit der globalen Finanzkrise nahm beispielsweise die Summe der gegenüber Banken verhängten Geldbußen erheblich zu; alleine zwischen 2015 und 2016 stieg deren Höhe um 68 % an.  Derartige Strafen treffen aber nicht nur die jeweiligen Unternehmen, sie ziehen auch ein erhebliches Haftungsrisiko für ihre Organmitglieder nach sich. So setzten sich Rechtsprechung und Literatur zuletzt vermehrt mit der Frage einer Organhaftung für Kartellbußen auseinander.  Aus Sicht des Aufsichtsrats ist die pflichtgemäße Überwachung der Maßnahmen des Vorstands damit von herausragender Bedeutung.

Dabei erschöpft sich die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats nicht in der passiven Kontrolle von Vorstandsmaßnahmen. Vielmehr kann sie mitunter auch ein eigenes aktives Tätigwerden bedingen oder voraussetzen, insbesondere die Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen. Dies wiederum ist wegen des aktiengesellschaftlichen Trennungsprinzips potentiell konfliktbehaftet: Als Überwachungsorgan des Vorstands ist der Aufsichtsrat unter bestimmten Voraussetzungen zu eigenem aktiven Tätigwerden verpflichtet; gleichzeitig ist ihm dies zur Wahrung der Geschäftsführungsautorität des Vorstands im Grundsatz verboten.

Im vorliegenden Beitrag soll der Fokus nun auf die Voraussetzungen und Modalitäten eines eigenen Tätigwerdens des Aufsichtsrats bei internen Untersuchungen gelegt werden. Hierzu werden nachfolgend zunächst Rechtsgrundlagen, Gegenstand und Ausprägung der Überwachung durch den Aufsichtsrat dargestellt (hierzu B.). Anschließend wird skizziert, wie die Pflicht des Aufsichtsrats zum Tätigwerden im Einzelnen ausgestaltet ist (hierzu C.). Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse (hierzu D.).

B. Pflicht des Aufsichtsrats zur Überwachung der Geschäftsführung
I. Rechtsgrundlagen

Zum besseren Verständnis der nachfolgend im Einzelnen zu beschreibenden Konfliktlinien lohnt es, die Rechtsgrundlagen für die Tätigkeit des Aufsichtsrats wieder in Erinnerung zu rufen. Wesentliche Rechtsquelle für die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats ist § 111 AktG, in der Praxis ergänzt durch die entsprechenden Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex („DCGK“). Letztere entfalten bekanntlich keine rechtliche Bindungswirkung gegenüber der Gesellschaft und ihren Organen mit Ausnahme der Verpflichtung, jährlich über die Befolgung des DCGK zu berichten bzw. dessen Nichtbefolgung zu erklären (comply or explain; § 161 AktG); dessen ungeachtet beschreiben sie Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung, die das Verhalten ...

 

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.04.2018 09:55
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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