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Initial Coin Offerings – Ein Fall für das Kapitalmarktrecht? (Zickgraf, AG 2018, 293)

Bei Initial Coin Offerings (ICOs) handelt es sich um ein recht neues Phänomen, bei dem (junge) Unternehmen durch Ausgabe sog. Tokens versuchen, Kapital einzuwerben. Angesichts des starken Wachstums dieses Marktes haben zahlreiche Aufsichtsbehörden Stellungnahmen zu ICOs veröffentlicht. Vor diesem Hintergrund behandelt der Beitrag die Frage, ob die angebotenen Tokens als Wertpapiere i.S.d. deutschen und europäischen Kapitalmarktrechts zu qualifizieren sind und daher die Pflicht zur Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts bestehen kann. Für die Beantwortung dieser Frage kommt es auf die Rechte der Anleger an, die mit dem jeweiligen Token verbunden sind: Während Investment-Tokens stets als Wertpapiere zu qualifizieren sind, kommt dies für reine Currency-Tokens in keinem Fall in Betracht. Hinsichtlich Utility-Tokens muss für jeden Einzelfall anhand der objektiven Funktion des jeweiligen Utility-Token unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände entschieden werden, ob es sich um ein Wertpapier handelt.

I. Einführung
II. Technischer Hintergrund und Ablauf
III. Die verschiedenen Token-Arten

1. Investment-Tokens
2. Utility-Tokens
3. Currency-Tokens
IV. Die Positionierung der Aufsichtsbehörden
1. USA, Kanada
2. China, Südkorea, Hongkong, Singapur
3. EU, Vereinigtes Königreich, Frankreich, Deutschland, Schweiz
V. Die Prospektpflicht nach der EU-Prospektverordnung und dem WpPG
1. Formelle Anforderungen des Wertpapierbegriffs: Übertragbarkeit, Standardisierung und Handelbarkeit (i.e.S.)
a) Übertragbarkeit
b) Standardisierung
c) Handelbarkeit i.e.S.
2. Materielle Anforderung des Wertpapierbegriffs: Funktionale Vergleichbarkeit des Instruments mit den gesetzlichen Regelbeispielen
a) Investment-Tokens
b) Utility-Tokens
aa) Fehlende Wertpapiereigenschaft reiner Utility- Tokens ohne Investmentfunktion
bb) Bestehende Wertpapiereigenschaft von Utility- Tokens mit Investmentfunktion
cc) Fehlende Maßgeblichkeit subjektiver Absichten der Marktteilnehmer für die Qualifizierung von Utility-Tokens als Wertpapiere
c) Currency-Tokens
VI. Ergebnis und Ausblick

I. Einführung
Im Rahmen eines Initial Coin Offering (ICO) versuchen Unternehmen, Kapital durch die Ausgabe sog. Tokens einzuwerben. Hierbei handelt es sich um ein recht neues Phänomen des Kapitalmarkts, welches durch eine Stellungnahme der Securities and Exchange Commission im Juli 2017  erstmals das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit erweckt hat. Seitdem ist der Markt stark gewachsen und hat bis Ende März 2018 ein Emissionsvolumen von über 7 Mrd. US-$ sowie eine Marktkapitalisierung von über 30 Mrd. US-$ erreicht.  Obwohl in keinem bislang bekannt gewordenen ICO ein offizieller und behördlich gebilligter Emissionsprospekt veröffentlicht wurde, stellt sich angesichts der teilweise zu beobachtenden Ähnlichkeit mit gewöhnlichen Wertpapieremissionen (IPOs) unweigerlich die Frage, ob ein öffentliches Angebot solcher Tokens eine Prospektpflicht zur Folge hat, weil diese als Wertpapiere zu qualifizieren sind. Die Beantwortung dieser Rechtsfrage ist angesichts des enorm wachsenden Marktes für die Gewährleistung der Allokationsfunktion des Kapitalmarkts (Marktschutz) sowie für den Anlegerschutz (Individualschutz)  von entscheidender Bedeutung und hat auch für die emittierenden Unternehmen möglicherweise weitreichende Auswirkungen.

Der vorliegende Beitrag gibt zunächst einen kurzen Einblick in die technischen Grundlagen sowie den Ablauf eines typischen Initial Coin Offering. Für die rechtliche Beurteilung entscheidend sind die mit angebotenen Tokens verbundenen Rechte der Anleger, die deshalb eine genauere Analyse erfordern. Nach einem kurzen Überblick über die Positionierung international bedeutender Aufsichtsbehörden beschäftigt sich der Beitrag sodann schwerpunktmäßig mit der Frage, ob im Rahmen von Initial Coin Offerings Wertpapiere angeboten werden und daher eine Prospektpflicht in Betracht kommt, wobei dies nach hier vertretener Auffassung in einigen, wenngleich nicht allen Konstellationen  der Fall ist. Insofern besteht Anlass zu einer vertieften Untersuchung des Wertpapierbegriffs, der bislang eher vernachlässigt wurde, da die Qualifizierung eines bestimmten Instruments als Wertpapier – von wenigen Ausnahmen abgesehen  – in der Vergangenheit meist nicht zweifelhaft war.

II. Technischer Hintergrund und Ablauf
Im Rahmen eines Initial Coin Offering versuchen meist recht junge Unternehmen, ihren Kapitalbedarf für die Finanzierung zukünftiger Projekte durch Ausgabe sog. Tokens  gegen Zahlung von Kryptowährungen oder staatlichen Währungen zu decken. Der typische Ablauf der Transaktion vollzieht sich regelmäßig in drei Schritten:

Zunächst wird ein sog. Smart Contract – zumeist auf der Ethereum-Blockchain – aufgesetzt, der kryptographisch gesicherte Tokens generiert, die „gezeichneten“ Tokens automatisch an die Erwerber zuteilt und die hierfür gezahlten Währungseinheiten an das Unternehmen weiterleitet.  Vereinfacht gesagt handelt es sich bei der Blockchain um eine chronologisch aufgebaute, dezentralisierte und kryptographisch gesicherte Datenbank, in der öffentlich einsehbar Informationen ...

 

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.05.2018 16:12
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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