Aktuell in der AG

Aufsichtsratsbudget für einen finanzautonomen Aufsichtsrat (Theisen, AG 2021, 329)

Das Aufsichtsratsbudget ist seit langem Gegenstand einer kontroversen Diskussion im aktienrechtlichen Schrifttum. Der Beitrag greift die bislang vertretenen Ansichten auf und arbeitet in einer interdisziplinären Untersuchung heraus, dass eine finanzielle Autonomie des Aufsichtsrats erforderlich ist, um eine effektive Überwachung des Vorstands zu gewährleisten. Auf dieser Grundlage werden konkrete Regelungsvorschläge hinsichtlich der Aufsichtsratsvergütung und des Aufsichtsratsbudgets entwickelt.

I. Rechtliche Argumentationsebenen und  -hintergründe
1. De lege lata
2. De lege ferenda
3. Rechtspolitische Einwendungen
II. Analyse zentraler Contra-Argumente im Detail
1. Technische Schwierigkeiten
2. Organisatorische Hürden
3. Qualifikationsüberforderung
4. Missbrauch
5. Gesetzessystematische Einwände
6. Kompetenzielle Einwände
III. Aktueller Stand der Diskussion
1. Scheinproblem
2. Scheinlösungen
3. Offene Probleme
IV. Lösungsvorschlag
V. Fazit

I. Rechtliche Argumentationsebenen und -hintergründe

1
Die 2010 angestoßene, interdisziplinäre Auseinandersetzung über die Einrichtung und Gewährung eines Aufsichtsratsbudgets ist in vollem Gange. Die Diskussion über eine eigenständige Finanzierung des Aufsichtsrats und dessen Überwachungsaufgaben kann als lebhaft bezeichnet werden: Berichtet werden kann über eine schon schwer überschaubare Fülle themenspezifischer Fachaufsätze und Abhandlungen,  mehrere einschlägige Fachgespräche und Referate,  fast ein halbes Dutzend Festschrift-Beiträge,  erste Handbuch-Beiträge,  eine umfassende monografische Untersuchung  sowie – zumindest zeitlich korrespondierend – ein erstes BGH-Urteil zur gerichtlichen Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats im Namen der Gesellschaft gegenüber einem Sachverständigen in einer Streitigkeit aus dem mit ihm eingegangenem Auftragsverhältnis.  Zuletzt wurde im Oktober 2020 die Forderung nach einem Aufsichtsratsbudget im Rahmen einer Reformleitlinie der Freien Demokratischen Partei (FDP) in den Deutschen Bundestag eingebracht.

1. De lege lata
2
Jede grundlegende Analyse neuer oder auch nur modifizierter rechtlicher Vorschläge bezieht sich zunächst auf die Vereinbarkeit zusätzlicher Regelungen mit dem geltenden Recht. Soweit diesbezüglich keine grundlegenden Bedenken gegen eine Vorgabe geltend gemacht werden (dazu Rz. 6), ist – soweit diese als „sachgerecht“ qualifiziert wird –, zu prüfen, ob die diskutierte Variante (Rz. 3) uneingeschränkt vereinbar und damit unmittelbar umsetzbar erscheint oder ob das geltende Recht (Rz. 4) in analoger oder (Rz. 5) rechtsfortbildender Weise zur Umsetzung Anwendung finden kann. Alle drei dieser Varianten der rechtlichen Einordnung und Qualifikation de lege lata werden zum Aufsichtsratsbudget in der Literatur bereits vertreten.

3
Zunächst muss festgehalten werden, dass eine positivrechtliche Regelung der Kosten des Aufsichtsrats, soweit sie nicht unmittelbar entweder dessen Vergütung (§ 113 AktG) oder dessen organisations- und funktionsbedingte Auslagen (§§ 670, 675 BGB analog)  betreffen, im geltenden Recht nicht existiert.  Dessen ungeachtet wird u.a. vom stvVorsRiBGH i.R. (II. Zivilsenat) Strohn die eingehend begründete Auffassung vertreten, dass der Aufsichtsrat nach geltendem Recht die alleinige Geschäftsführungsbefugnis bei „Hilfsgeschäften des Aufsichtsrats“ habe, er „also allein (zu) entscheiden (hat), welche Maßnahmen zu treffen sind“ . Zuletzt stellen Eichner/Leukel (fast apodiktisch) fest: Der Aufsichtsrat „darf zur Aufgaben- und Kompetenzerfüllung die entsprechenden Gesellschaftsmittel in dem Umfang einsetzen wie das Gebot der Verhältnismäßigkeit dies erlaubt. Das Aktiengesetz weist ihm diese Aufgabe zu. Überspannt er diesen Grundsatz, so handelt er pflichtwidrig und macht sich ggf. selbst schadenersatzpflichtig.“  Alternativ dazu vertreten Schnorbus/Ganzer die Auffassung, dass allein innerorganisatorisch bereits zwischen Aufsichtsrat und Vorstand – im Rahmen der vorstandsseitigen Pflicht einer ordnungsgemäßen gemeinsamen Finanzplanung – ein geeignetes „Budgetrecht“ verankert werden kann.

4
Die Vorschläge für eine analoge Anwendung bestehender aktienrechtlicher Normen beziehen sich (1.) auf eine spezifische Satzungsermächtigung, (2.) eine Bewilligung durch die Hauptversammlung analog § 113 AktG;  alternativ wird (3.) eine Hauptversammlungszuständigkeit über die Anwendung einer Gesamtanalogie des § 104 Abs. 7 i.V.m. § 113 AktG vorgeschlagen.

5
Mit der Entscheidung des BGH v. 20.3.2018 zur Vertretung der AG durch den Aufsichtsrat in eigenen Überwachungsangelegenheiten weist der erkennende II. BGH-Senat auf die veränderte Rolle des Aufsichtsrats hin und hilft – so u.a. Hasselbach/Rauch – der bestehenden Lücke in der gesetzlichen Regelung „durch eine weite Auslegung der Vorschriften über die Überwachungszuständigkeit“ ab:  „Der BGH trägt dem Rechnung, indem er ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.04.2021 17:44

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