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Getäuschte Aktionäre als Insolvenzgläubiger - Zur Behandlung kapitalmarktrechtlicher Schadensersatzansprüche im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten (Brinkmann/Richter, AG 2021, 489)

In zwei jüngeren Aufsätzen ist die These vertreten worden, dass Ansprüche wegen Verletzung kapitalmarktrechtlicher Offenlegungspflichten als mitgliedschaftliche Rechte einzuordnen seien, die im Insolvenzverfahren keine Insolvenzforderungen begründen könnten. Der Beitrag zeigt, dass diese Auffassung aus kapitalmarkt , europa- und insolvenzrechtlichen Gründen nicht überzeugt und Aktionäre mit den Ansprüchen aus der Kapitalmarktinformationshaftung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten als Insolvenzgläubiger teilnehmen können.

I. Einleitung
II. Schadensersatzhaftung bei Verletzung von  Ad-hoc-Publizitätspflichten

1. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht
2. Private Rechtsdurchsetzung und Emittentenhaftung
III. Verhältnis der Kapitalmarkthaftung zum gesellschaftsrechtlich vermittelten Gläubigerschutz
1. Verhältnis zu §§ 57, 71 AktG
2. Europarechtliche Zulässigkeit der eingeschränkten Kapitalerhaltung
IV. Vereinbarkeit mit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft
V. Verhältnis der Kapitalmarkthaftung zum insolvenzrechtlich vermittelten Gläubigerschutz

1. Insolvenzrechtlicher Gehalt der §§ 57, 71 AktG
2. Bestätigung des vollrangigen Anlegerschutzes in der Insolvenz
3. Abgrenzung von Insolvenzforderungen und  mitgliedschaftlichen Rechten im Einzelnen
a) Kein Ersatz für „Schädigung der Beteiligung“
b) Unabhängigkeit der Gläubiger- von der Aktionärsstellung
4. Einordnung als Insolvenzforderungen entspricht dem Willen des Gesetzgebers
VI. Konsequenzen der postulierten Einordnung als mitgliedschaftliche Rechte
1. (In-)Effektivität der Haftung und der Zweckverwirklichung
a) Sicherstellung eines wirksamen Markt- und  Anlegerschutzes
b) Das unionsrechtliche Effektivitätsprinzip
2. Unzulässigkeit der Differenzierung zwischen  verschiedenen Anlageformen
a) Die kapitalmarktrechtliche Perspektive
b) Die insolvenzrechtliche Perspektive
3. Verzerrung der Überschuldungsbilanz und offene Anfechtungsfragen
VII. Keine darlehensgleiche Forderung gem. § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO
VIII. Keine analoge Anwendung von § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO

1. Keine Vergleichbarkeit der Interessenlage
2. Keine Lücke im Regelungskonzept des Gesetzgebers
IX. Fazit


I. Einleitung

1
In der Insolvenz zeigt sich, was eine gesetzliche Haftungsanordnung und hierauf basierende Ersatzansprüche wirklich wert sind. Ob sich bspw. Aktionäre mit ihren kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüchen – zu denken ist insbesondere an § 97 Abs. 1, § 98 Abs. 1 WpHG – in der Insolvenz des Emittenten „hintenanstellen“ müssen oder aber sich zumindest Hoffnung auf die Insolvenzquote machen dürfen, entscheidet sich am Punkt der insolvenzrechtlichen Eingruppierung: In Betracht kommt zunächst eine Einordnung als „normale“ Insolvenzgläubiger i.S.d. § 38 InsO, so dass die Anleger gleichrangig mit allen übrigen Insolvenzgläubigern durch quotale Verteilung der Insolvenzmasse nach Befriedigung der Massegläubiger und der Inhaber von Absonderungsrechten zu befriedigen wären.

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Weiter könnten die Schadensersatzansprüche der Anleger, die ja als Aktionäre auch Gesellschafter des Emittenten sind (oder waren), unter § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO zu fassen sein, so dass sie erst nach allen übrigen Insolvenzforderungen zu befriedigen wären (hierzu Rz. 72 ff.).

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In zwei Publikationen  wurde jüngst eine dritte Lösung propagiert, nach der die Schadensersatzansprüche nicht als Insolvenzforderungen, sondern als „mitgliedschaftliche Rechte“ einzuordnen seien. Nach dieser Auffassung soll es sich bei den Schadensersatzansprüchen um Ansprüche handeln, die sich aus der Beteiligung der Anleger am Gesellschaftsvermögen ergeben. Mit solchen Ansprüchen werden die Gesellschafter in der Insolvenz der Gesellschaft nicht als Gläubiger, sondern als Residualberechtigte eingeordnet. Sie nehmen daher nur an der Verteilung eines etwaigen Überschusses nach vollständiger Befriedigung auch der nachrangigen Insolvenzforderungen teil, wie sich aus § 199 Satz 2 InsO ergibt. Mit ihrem Anteil am Eigenkapital stehen die Anteilsinhaber somit nicht auf einer Stufe mit den Insolvenzgläubigern, das Eigenkapital bildet vielmehr das den Insolvenzgläubigern haftende Vermögen.

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Allerdings unterfallen nicht alle Ansprüche, die ein Gesellschafter gegen die Gesellschaft hat, zwingend diesem „Nach-Nachrang“. Es ist vielmehr erforderlich, hinsichtlich der einzelnen Ansprüche der Anteilsinhaber jeweils zu entscheiden, ob es sich um Ansprüche handelt, die (als mitgliedschaftliche Rechte) dem § 199 Satz 2 InsO unterfallen, oder um sonstige Forderungen, die in gleicher Weise auch eine nicht am Schuldner beteiligte Person haben könnte („Drittgläubigerrechte“ ) und die daher als Insolvenzforderungen einzuordnen sind.  Verkauft oder vermietet bspw. ein Gesellschafter der Gesellschaft einen Gegenstand, so wären die resultierenden Gegenleistungsansprüche als Drittgläubigerrechte und damit als Insolvenzforderungen anzusehen.  Für die Einordnung als „Drittgläubigerrechte“ kommt es aber nicht darauf an, ob der Aktionär eine Gegenleistung an die Gesellschaft erbringt;  auch deliktsrechtliche Ansprüche eines durch die Gesellschaft geschädigten Anteilsinhabers können Insolvenzforderungen sein.

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Anders sind jedoch solche Ansprüche bzw. „mitgliedschaftliche Rechte“  einzuordnen, die sich unmittelbar aus der Mitgliedschaft des Gesellschafters ergeben; diese sind bei einer Insolvenz erst i.R.d. Überschussverteilung nach § 199 Satz 2 InsO zu berücksichtigen. Neben Ansprüchen auf Rückzahlung der Einlage  gehören zu diesen mitgliedschaftlichen Rechten auch andere aus der Mitgliedschaft fließende Ansprüche wie bspw. Forderungen auf Rückgewähr von Beiträgen,  der Gewinnanspruch in der Personengesellschaft  und der Anspruch auf (Vorzugs-)Dividende, jedenfalls bevor ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.06.2021 14:03
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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