Aktuell in der AG

Kausalität bei der Haftung von Wirtschaftsprüfern nach § 826 BGB (Buck-Heeb, AG 2022, 337)

Die Frage der Haftung von Wirtschaftsprüfern gegenüber Dritten für Testate hat mit dem sog. Wirecard-Skandal neuen Auftrieb erhalten. Dreh- und Angelpunkt eines Anspruchs aus § 826 BGB ist neben der Sittenwidrigkeit das Vorliegen von haftungsbegründender Kausalität. Neuerdings wird überlegt, hierfür eine konkrete Kausalität als entbehrlich anzusehen, jedenfalls aber eine Reduzierung der Darlegungs- und Beweislast des Anlegers zu bejahen. Der vorliegende Beitrag zeigt, dass dies dogmatisch nicht haltbar ist.

I. Einführung
II. Kausalität als Voraussetzung für eine Haftung

1. Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität
2. Konkrete haftungsbegründende Kausalität
3. Nicht ausreichend: Äquivalente und adäquate Kausalität
4. Schutzzweck der Norm
a) Schutzzweck als Begrenzungskriterium
b) Begrenzung beim Vertragsabschlussschaden
c) Begrenzung beim Kursdifferenzschaden
5. Zwischenergebnis
III. Darlegungs- und Beweislast
1. Grundsatz
2. Keine Heranziehung der Theorie der Anlagestimmung
a) BGH: „Anlagestimmung“ obsolet
b) Keine Anlagestimmung durch Bestätigungsvermerk
3. Keine Heranziehung der „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“
4. Keine tatsächliche Vermutung der Kausalität
a) Rechtsfigur der „tatsächlichen Vermutung“
b) Tatsächliche Vermutung der Kausalität bei § 826 BGB
IV. Vereinbarkeit des Ergebnisses mit dem deutschen Haftungssystem
1. Übereinstimmung mit der deliktsrechtlichen Wertung
2. Übereinstimmung mit der vertragsrechtlichen Wertung
V. Fazit


I. Einführung

1
Die Frage, ob ein Wirtschaftsprüfer aus § 826 BGB ggf. für das Fehlinvestment eines Anlegers einstehen muss, und das selbst dann, wenn jener vom betreffenden Testat keinerlei Kenntnis hatte, stellt sich aktuell in der Folge der Insolvenz der Wirecard AG. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist im Tatbestand des § 826 BGB (i.V.m. § 31 BGB analog) das Vorliegen von konkreter Kausalität zwischen der schädigenden Handlung (unterstellt fehlerhaftem Testat) und dem tatbestandlichen Schaden des Anlegers erforderlich.

2
Zwei Senate des OLG München haben im Dezember 2021 in Hinweisbeschlüssen erwogen, dem Anleger erhebliche Beweiserleichterungen zukommen zu lassen, was auf eine Haftungsverschärfung bzgl. Wirtschaftsprüfern hinauslaufen würde. Diese Ansicht beruht aber auf Missverständnissen und ist mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vereinbar. Nach wie vor ist bei § 826 BGB vom Erfordernis der konkreten Kausalität sowie davon auszugehen, dass dem Anleger für deren Nachweis keine Beweiserleichterungen zugutekommen.

II. Kausalität als Voraussetzung für eine Haftung

1. Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität

3
Da § 826 BGB als am Individualschutz orientierter Auffangtatbestand keine Haftungsbeschränkung auf bestimmte Rechts- oder Rechtsgutverletzungen enthält, sondern sich auf jeden „Schaden“ i.S.d. Norm bezieht, waren gesetzgeberisch strenge Voraussetzungen einer Haftung unabdingbar. Mit der geltenden engen Fassung des § 826 BGB sollte daher eine nur schwer beschränkbare deliktische Generalklausel vermieden werden.

4
Der historische Gesetzgeber sah die Kausalität als „selbstverständliche Voraussetzung für jeden Schadensersatzanspruch“. Daher wurde weder in den Materialien zum BGB noch in der Literatur das Erfordernis des Kausalzusammenhangs bei § 826 BGB (bzw. im Entwurf § 705 BGB) infrage gestellt. Insofern dienen die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität „der rechten Begrenzung der Schadensersatzhaftung“, sie sind Grund und Grenze der zivilrechtlichen Haftung.

5
Da das bürgerliche Recht durch die Trennung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge geprägt ist, hat bei § 826 BGB zunächst ein Schaden i.S. einer tatbestandlichen „sittenwidrigen Schädigung“, vorzuliegen („Ob“ der Haftung). Im Anschluss daran kann die Höhe sowie die Art und Weise der Ersatzfähigkeit des Schadens bestimmt werden („Wie“ der Haftung).

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Dem Begriff des Schadens kommt daher bei § 826 BGB eine doppelte Bedeutung zu. Als haftungsbegründender Schaden kommt jeder unfreiwillige Nachteil i.S. eines Vermögens- oder Nichtvermögensschadens in Betracht. In der Rechtsfolge ist der Geschädigte nach den §§ 249 ff. BGB so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde. Die §§ 249 ff. BGB ergänzen damit lediglich die Normen, die den Schadensersatzanspruch zur Rechtsfolge haben, können aber keine Aussage über das „Ob“ einer Schadensersatzpflicht treffen.

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Daraus ergibt sich auch eine zwingende Trennung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität. Haftungsbegründende Kausalität meint diejenige zwischen der Schädigungshandlung (hier: unterstellt fehlerhaftes Testat) und dem Entschluss des Anlegers, das Investment zu tätigen („konkrete Kausalität“). Sie setzt lediglich voraus, dass „dem Grunde nach“ ein Schaden entstanden ist, ohne dass es darauf ankommt, welcher Schaden genau ersetzt verlangt wird. Dagegen bezieht sich die haftungsausfüllende Kausalität auf diejenige zwischen der Anlageentscheidung (Handlung des Geschädigten) und dem Schadensumfang.

8
Diese Unterscheidung kann nicht ignoriert werden, auch wenn sie teilweise kritisiert sowie in der Rechtsprechung nicht immer stringent durchgehalten wird, und obwohl die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität nicht immer leicht zu trennen sind. Andernfalls würde die im deutschen Deliktsrecht unstreitig anerkannte und vom Normverständnis des Gesetzgebers her zwingende Trennung zwischen dem Tatbestand als Teil des Haftungsrechts und der Rechtsfolge als Teil des Schadensersatzrechts i.e.S. missachtet.

9
Auswirkungen hat die Unterscheidung zwischen haftungsbegründender und -ausfüllender Kausalität vor allem bzgl. der Beweisführung. Der Geschädigte hat über den haftungsbegründenden Schaden den Beweis nach Maßgabe des § 286 ZPO zu führen. Er hat darzulegen und zur vollen Überzeugung des Gerichts zu beweisen, dass der vorsätzlich begangene Sittenverstoß grds. kausal zur eigenen Vermögensminderung oder einem Nichtvermögensschaden geführt hat. Dagegen kommt dem Geschädigten im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen tatbestandlicher Schädigung und behauptetem Schaden § 287 ZPO (eingeschränktes Beweismaß) zu Hilfe.

2. Konkrete haftungsbegründende Kausalität
10
Das Erfordernis der konkreten Kausalität bei § 826 BGB bejaht der II. Zivilsenat schon seit den 2000er-Jahren in ständiger Rechtsprechung (zu Ad-hoc-Mitteilungen). Das bestätigte der VI. Zivilsenat in einer Entscheidung von 2013 (zu falschen Werbeaussagen), indem er betonte, es könne...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.05.2022 15:57
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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