OLG Düsseldorf v. 9.5.2022 - 26 W 3/21

Kein Hinzuziehen eines weiteren gerichtlichen Sachverständigen neben dem sachverständigen Prüfer im Spruchverfahren

Der Schutz der Minderheitsaktionäre gebietet es grundsätzlich nicht, im Spruchverfahren neben dem sachverständigen Prüfer einen weiteren gerichtlichen Sachverständigen hinzuzuziehen. Ein gerichtliches Sachverständigengutachten ist – auch im Hinblick auf den in § 17 Abs. 1 SpruchG i.V.m. § 26 FamFG normierten Amtsermittlungsgrundsatz – nur dann einzuholen, wenn auch nach einer etwaigen Anhörung des sachverständigen Prüfers (§ 8 Abs. 2 SpruchG) noch weiterer Aufklärungsbedarf besteht und weitere Klärung durch das Sachverständigengutachten zu erwarten ist.

Der Sachverhalt:
Die Antragsteller waren Aktionäre der H. AG. Diese ist ein Komplettanbieter sanitärtechnischer Produkte und Systeme, die der Regelung des Wasserflusses und zur Wasserdarbietung an allen Sanitär- und Küchenzapfstellen in Gebäuden dienen und unter dem Markennamen „H.“ vertrieben werden („Wassertechnologieprodukte“). In der Hauptversammlung der H. AG vom 21.11.2017 war eine Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die seinerzeitige Hauptaktionärin, die H. Beteiligungs GmbH, gegen Gewährung einer Barabfindung (sog. Squeeze-out) beschlossen worden. Die H. Beteiligungs GmbH ist im November 2018 – während des Spruchverfahrens – im Wege einer Verschmelzung zur Aufnahme auf ihre Alleingesellschafterin, die H. Holding GmbH (nunmehrige Antragsgegnerin) verschmolzen worden.

Das Grundkapital der H. AG, die nicht börsennotiert ist, beträgt 60.928.959 € und ist eingeteilt in 60.928.959 auf den Inhaber lautende Stückaktien mit einem rechnerischen Anteil am Grundkapital von 1,00 € je Aktie; hiervon hielten zum 1.9.2017 und danach bis zu der streitgegenständlichen Strukturmaßnahme die H. Beteiligungs GmbH 60.805.903 Aktien (rund 99,80 %) und die H. AG 44.114 eigene Aktien (0,07 %), der Rest der Aktien (78.942 Stück = 0,13 %) befand sich im Streubesitz.

Die Antragsteller haben die Barabfindung für zu gering gehalten. Sie haben u.a. gerügt, die – aufgrund des Beherrschungsvertrages vollständig durch die H. Beteiligungs GmbH erstellte – Planung sei deutlich zu pessimistisch, die geplanten Ergebnismargen blieben weit hinter denen der Wettbewerber zurück. Weder die von der Gesellschaft unmittelbar vor dem Bewertungsstichtag vorgenommenen Erweiterungsinvestitionen noch ihre besondere Marktstellung sei in der Planung berücksichtigt worden. Auch das von der Gesellschaft selbst erwartete Wachstumspotenzial finde sich nicht in der Planungsrechnung wieder. Die im Bewertungsgutachten angesetzte Marktrisikoprämie von 5,5 % sei völlig realitätsfremd.

Das LG hat die Anträge als unbegründet zurückgewiesen. Die Antragsteller rügten eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung durch das LG und meinten, es hätte das Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen zu dem Unternehmenswert eingeholt werden müssen. Das maßgebliche Abstellen auf den von der Gegenseite bezahlten Prüfer widerspreche den Grundsätzen eines fairen Verfahrens. Die sofortige Beschwerde der Antragsteller blieb vor dem OLG erfolglos.

Die Gründe:
Der Schutz der Minderheitsaktionäre gebietet es grundsätzlich nicht, im Spruchverfahren neben dem sachverständigen Prüfer einen weiteren gerichtlichen Sachverständigen hinzuzuziehen. Ein gerichtliches Sachverständigengutachten ist – auch im Hinblick auf den in § 17 Abs. 1 SpruchG i.V.m. § 26 FamFG normierten Amtsermittlungsgrundsatz – nur dann einzuholen, wenn auch nach einer etwaigen Anhörung des sachverständigen Prüfers (§ 8 Abs. 2 SpruchG) noch weiterer Aufklärungsbedarf besteht und weitere Klärung durch das Sachverständigengutachten zu erwarten ist. Erfolgt die Unternehmensplanung regulär nur auf Konzern-Ebene, kann es sachgerecht sein, bei der Ermittlung des Ertragswertes eines konzernangehörigen Unternehmens eine aus der Konzernplanung abgeleitete Planung zugrunde zu legen.

Es obliegt weder der Gesellschaft noch dem Gericht im Rahmen seiner eigenen Schätzung des anteiligen Unternehmenswertes, umfassende wissenschaftliche Studien zur Höhe der Marktrisikoprämie durchzuführen. Regelmäßig stellt eine Marktrisikoprämie, die sich an den Vorgaben des IDW für den maßgeblichen Zeitraum orientiert, eine geeignete Grundlage für die Schätzung des Unternehmenswertes dar. Für einen Stichtag im November 2017 ist der Ansatz einer sich an den Empfehlungen des FAUB orientierenden Marktrisikoprämie nach Steuern von 5,5 % nicht zu beanstanden.

Die Bestimmung des Anteilswerts anhand des Barwerts der aufgrund eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags dem Minderheitsaktionär nach § 304 AktG zustehenden Ausgleichszahlungen kann im Falle des Ausschlusses von Minderheitsaktionären nach §§ 327a, 327b AktG eine geeignete Methode zur Ermittlung einer angemessenen Abfindung gem. § 327b AktG sein. Dabei ist grundsätzlich die Heranziehung eines Kapitalisierungszinssatzes in Höhe des um den halben Risikozuschlag des in der zugrunde liegenden Bewertung nach dem Ertragswertverfahren verwendeten Kapitalisierungszinssatzes erhöhten Basiszinssatzes nicht zu beanstanden.

Lediglich dann, wenn der geschlossene Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag Vereinbarungen dahingehend enthält, dass im Fall der Beendigung dieses Vertrags die von den Minderheitsaktionären gehaltenen Aktien zu einem garantierten Preis veräußert werden können, ist es gerechtfertigt, bei dem Risikozuschlag nur das geringere Zahlungsausfallrisiko (Insolvenzrisiko) der Schuldnerin des Ausgleichsanspruchs zu berücksichtigen. Infolgedessen hat das LG die auf Erhöhung der Barabfindung gerichteten Anträge zu Recht zurückgewiesen.

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Aufsätze

Dr. Sören Wollin
Zur Reform des Vergleichs im Spruchverfahren
AG 2022, 474

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.08.2022 16:21
Quelle: Justiz NRW

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