Aktuell in der AG
Zum Gebot der (Mindest-)Beteiligung von Frauen und Männern im Vorstand bei aufgeschobenem Amtsbeginn (Gärtner, AG 2023, 513)
Das Gebot der (Mindest-)Beteiligung von Frauen und Männern im Vorstand ist anzuwenden, wenn kumulativ drei Voraussetzungen vorliegen. In der Regel beginnt das Amt als Vorstandsmitglied nicht unmittelbar mit der Bestellung. Für diese Fälle ist zu klären, auf welchen Zeitpunkt zu beurteilen ist, ob das Beteiligungsgebot anzuwenden ist und falls ja, ob es eingehalten ist.
I. Ausgangslage
1. Sinn und Zweck des (Mindest-)Beteiligungsgebots
2. Die drei Anwendungsvoraussetzungen
a) Anwendungsvoraussetzung „Geltung paritätischer Mitbestimmung“
b) Anwendungsvoraussetzung „Börsennotierung“
c) Anwendungsvoraussetzung „Größe des Vorstands“
3. Anwendung des Beteiligungsgebots bei Vorliegen der drei Voraussetzungen
II. Zur Feststellung der Anwendungsvoraussetzungen und der Einhaltung des Beteiligungsgebots bei aufschiebend befristeter oder aufschiebend bedingter Bestellung
1. Aufschiebend befristete Bestellung
a) Zeitpunkt der Bestellungsentscheidung ist maßgeblich
b) Anwendungsvoraussetzungen „Geltung paritätischer Mitbestimmung“ und „Börsennotierung“
c) Anwendungsvoraussetzung „Größe des Vorstands“
aa) Rechtssicherheit steht Anknüpfung an Amtsbeginn nicht entgegen
bb) Teleologische Erwägungen zur Anwendungsvoraussetzung „Größe des Vorstands“
(a) Bestellung eines Nachfolgers ohne Vergrößerung des Vorstands
(b) Verkleinerung des Vorstands
d) Einhaltung des Beteiligungsgebots bei Vorliegen der drei Anwendungsvoraussetzungen
aa) Rechtssicherheit steht Anknüpfung an Amtsbeginn nicht entgegen
bb) Teleologische Erwägungen zur Einhaltung des Beteiligungsgebots
e) Keine Korrektur bei Änderungen zwischen Bestellungsentscheidung und Amtsbeginn
2. Aufschiebend bedingte Bestellung
III. Wie wirken sich aufschiebend befristete oder aufschiebend bedingte Bestellungen auf spätere Bestellungen bis zum Amtsbeginn aus?
1. Spätere Bestellungen nach einer aufschiebend befristeten Bestellung
2. Spätere Bestellungen nach einer aufschiebend bedingten Bestellung
IV. Wie ist ein zeitweiser Widerruf der Bestellung (Mandatspause; § 84 Abs. 3 AktG) bei Bestellungen mit aufgeschobenem Amtsbeginn berücksichtigen?
1. Amtsbeginn vor der Mandatspause
2. Amtsbeginn während der Mandatspause
3. Bestellung während und Amtsbeginn nach der Mandatspause
4. Aufschiebend bedingte Bestellung und Mandatspause
V. Ergebnisse
I. Ausgangslage
Das „Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ (Zweites Führungspositionen-Gesetz – FüPoG II) enthält Regelungen, die die Teilhabe von Frauen in Vorständen stärken sollen. Unter anderem wurde erstmals ein sog. (Mindest-)Beteiligungsgebot eingeführt, dem zufolge mindestens eine Frau und mindestens ein Mann Mitglieder des Vorstands bzw. geschäftsführende Direktoren großer, bedeutender Aktiengesellschaften und Europäischer Gesellschaften (SE) sein müssen (§ 76 Abs. 3a Satz 1 AktG).
1. Sinn und Zweck des (Mindest-)Beteiligungsgebots
§ 76 Abs. 3a AktG ist zwar geschlechtsneutral formuliert, bezweckt nach der Gesetzesbegründung aber – ausgehend vom Status quo – eine stärkere Repräsentation von Frauen in Vorständen. Dabei soll das Beteiligungsgebot nur einen kleinen Kreis sog. „Leuchtturmunternehmen“ betreffen. Bei den wenigen betroffenen Unternehmen geht der Gesetzgeber davon aus, dass sich „keine Schwierigkeiten ergeben, qualifizierte Frauen für die freiwerdenden Posten zu finden“. Gleichwohl gehe „mit dem Mindestbeteiligungsgebot das Signal einher, künftig mehr für den Aufbau eines Pools an weiblichen Nachwuchskräften zu tun, um nachhaltig mehr Vorstandspositionen mit Frauen besetzen zu können.“ Nicht Gegenstand des Beteiligungsgebots ist nach ganz herrschender Ansicht die Förderung von Personen des dritten Geschlechts, also die Förderung diverser bzw. nichtbinärer Personen.
Um sicherzustellen, dass das Beteiligungsgebot nur für „Leuchtturmunternehmen“ gilt, stellt das Gesetz drei Anwendungsvoraussetzungen auf, die kumulativ vorliegen müssen: Für die Gesellschaft muss erstens „paritätische Mitbestimmung gelten“ (AG) bzw. das Aufsichtsorgan oder der Verwaltungsrat muss aus derselben Zahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern bestehen (SE), sie muss zweitens „börsennotiert“ sein und drittens muss ihr Vorstand aus „mehr als drei Personen“ bestehen bzw. es müssen mehr als drei geschäftsführende Direktoren bestellt sein. Nach der Gesetzesbegründung knüpft das Gesetz mit der dritten und der ersten Anwendungsvoraussetzung „unmittelbar an die Größe des Vorstands und mittelbar an die Größe der Belegschaft“ an.
Für Aktiengesellschaften und SE mit einer Mehrheitsbeteiligung des Bundes sind die Anwendungsvoraussetzungen abgesenkt: (...)
