Aktuell in der AG

Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nach dem MgVG und dem MgFSG (Spindler/Eitinger, AG 2023, 593)

Der Beitrag untersucht die Zusammensetzung des Aufsichtsrats in aus grenzüberschreitenden Umwandlungen (Verschmelzung, Formwechsel, Spaltung) hervorgehenden Gesellschaften im Anwendungsbereich des MgVG und des MgFSG. Nach einer kurzen Einleitung wird zunächst die gesetzliche Systematik zur Bestimmung des anwendbaren Mitbestimmungsregimes erläutert, wobei die differenzierte und an das SEBG angelehnte Regelungssystematik näher dargestellt wird. Dabei werden insbesondere die zu gewährleistende Anzahl und die Wahl der Arbeitnehmervertreter besprochen. Auch auf Ersatzmitglieder sowie die Einhaltung der nach § 96 Abs. 3 AktG geltenden Geschlechterquote wird eingegangen. Im Anschluss werden die Abberufung von Arbeitnehmervertretern sowie die Nichtigkeit und Anfechtung ihrer Wahl untersucht, wobei sich insbesondere die Frage stellt, welche Anforderungen an Vereinbarungen zwischen Leitung und besonderem Verhandlungsgremium zu stellen sind. Zum Schluss erfolgt eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse in einem Fazit.

I. Einleitung
II. Europarechtlicher Hintergrund und Anwendungsbereich
III. Zusammensetzung des Aufsichtsrats

1. Bestimmung der anwendbaren Mitbestimmungsregeln
a) Gesetzliche Systematik
b) Praktische Folgen
2. Anzahl und Wahl der Arbeitnehmervertreter
a) Grundsatz: Anwendung nationalen Mitbestimmungsrechts
b) Verhandlungslösung (§ 22 MgVG/§ 24 MgFSG)
c) Gesetzliche Auffanglösung (§§ 24, 25 MgVG/§§ 26, 27 MgFSG)
aa) Anzahl der Arbeitnehmervertreter
bb) Wahl der Arbeitnehmervertreter
3. Ersatzmitglieder
4. Geschlechterquote (§ 96 Abs. 3 AktG)
IV. Abberufung von Arbeitnehmervertretern
1. Anwendung nationalen Rechts
2. Verhandlungslösung
3. Gesetzliche Auffanglösung (§ 26 Abs. 1 MgVG/§ 28 Abs. 1 MgFSG)
V. Nichtigkeit und Anfechtung der Bestellung
1. Anwendung nationalen Rechts
2. Verhandlungslösung
3. Gesetzliche Auffanglösung (§ 26 Abs. 2 MgVG/§ 28 Abs. 2 MgFSG)
VI. Fazit


I. Einleitung

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Bei innerstaatlichen Umwandlungen bestimmt sich die Arbeitnehmermitbestimmung grundsätzlich nach nationalem Gesellschafts- und Mitbestimmungsrecht. Grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge sind dagegen auch europarechtlich geprägt. Für grenzüberschreitende Verschmelzungen i.S.d. § 305 Abs. 1 UmwG existiert mit dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) schon seit dem Jahr 2006 ein eigener Rechtsrahmen, der der Umsetzung des arbeitsrechtlichen Teils der Verschmelzungsrichtlinie (RL 2005/56/EG) dient. Diese Regelungen wurden kürzlich in Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmwRL) durch das UmRUGMitbestG modifiziert. Zugleich wurde mit dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung (MgFSG) ein neues Gesetz geschaffen, welches die Arbeitnehmermitbestimmung bei grenzüberschreitenden Formwechseln i.S.d. § 333 Abs. 1 UmwG und grenzüberschreitenden Spaltungen i.S.d. § 320 Abs. 1 Nr. 1 UmwG (grenzüberschreitende Vorhaben, § 2 Abs. 2 MgFSG) weitgehend an diejenige nach dem MgVG angleicht. Da sich beide Gesetze an dem für die Gründung einer SE geltenden SEBG orientieren, kennen sie ebenfalls sowohl eine Verhandlungs- als auch eine Auffanglösung. Grundsätzlich wird aber das jeweilige Recht des Zuzugmitgliedstaats zur Anwendung gebracht. Der Beitrag untersucht die daraus folgende Rechtslage und arbeitet die Unterschiede zwischen den Regelungsregimen heraus.

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Nach einer kurzen Einführung in den Anwendungsbereich der Vorschriften und ihren europarechtlichen Hintergrund (II.; Rz. 3 ff.) wird im Anschluss die Zusammensetzung des Aufsichtsrats besprochen (III.; Rz. 6 ff.), wobei vorab die gesetzliche Systematik zur Bestimmung der anwendbaren Mitbestimmungsregeln erläutert werden soll (III.1.; Rz. 6 ff.). Danach sollen die Unterschiede zwischen der Anwendung nationalen Mitbestimmungsrechts und Verhandlungs- bzw. Auffanglösung im Hinblick auf die Anzahl und die Wahl der Arbeitnehmervertreter untersucht werden (III.2.; Rz. 14 ff.) Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der gesetzlichen Auffanglösung nach dem MgFSG, die in Bezug auf die grenzüberschreitende Spaltung einige Schwierigkeiten bereitet. Weiterhin werden die Regelungen zu Ersatzmitgliedern (III.3.; Rz. 27 ff.) und zur bei „Hereinumwandlungen“ nach § 96 Abs. 3 AktG zu beachtenden Geschlechterquote (III.4.; Rz. 31 f.) besprochen. Der dritte und der vierte Teil des Beitrags beschäftigen sich dann mit der Beendigung des Amtes der Arbeitnehmervertreter. Auch hier wird zwischen nationalem Mitbestimmungsrecht und Verhandlungs- bzw. Auffanglösung differenziert. Dabei wird zunächst die Abberufung behandelt (IV.; Rz. 33 ff.), nachfolgend werden die Nichtigkeit und die Anfechtung der Bestellung untersucht (V.; Rz. 40 ff.). Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung (VI.; Rz. 50 ff.).

II. Europarechtlicher Hintergrund und Anwendungsbereich
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Sowohl MgVG als auch MgFSG beruhen auf einem europäischen Regulierungsmodell, das zur Festlegung der Mitbestimmung in grenzüberschreitenden Sachverhalten vor allem auf Verhandlungen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite setzt und seinen Ursprung bereits in der Europäischen Betriebsrat-RL von 1994 fand. Für grenzüberschreitende Verschmelzungen sieht die Verschmelzungsrichtlinie, welche Mitte 2017 durch die GesRRL ersetzt wurde, bereits seit dem Jahr 2005 eine Harmonisierung der Mitbestimmung in den Unternehmensorganen der aus ihr hervorgehenden Gesellschaft vor. Als Teil des Company Law Packages der EU wurde die Harmonisierung mit der UmwRL weiter vorangetrieben, seit der neben der grenzüberschreitenden Verschmelzung fortan auch der grenzüberschreitende Formwechsel und die grenzüberschreitende Spaltung von der europäischen Mitbestimmungsregulierung erfasst sind. Hinsichtlich der wesentlichen Mitbestimmungsregeln wird dabei in weiten Teilen auf die SE-BeteiligungsRL verwiesen, so dass die Mitbestimmung weitgehend gleichläuft, im Detail bestehen jedoch Unterschiede.

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Grundsätzlich soll in allen Fällen das Recht desjenigen Mitgliedstaats angewandt werden, in dem die aus der grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat (Art. 133 Abs. 1 GesRRL/Art. 86l Abs. 1, 160l Abs. 1 UmwRL). In bestimmten in Art. 133 Abs. 2 GesRRL/Art. 86l Abs. 2, 160l Abs. 2 UmwRL genannten Fällen soll die Mitbestimmung dagegen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite verhandelt werden. Für den Fall, dass keine Vereinbarung zustande kommt, müssen die Mitgliedstaaten zudem eine gesetzliche Auffanglösung vorsehen (Art. 133 Abs. 3 lit. e GesRRL i.V.m. Art. 7 Abs. 1 SE-BeteiligungsRL/Art. 86l Abs. 3 lit. e, 160l Abs. 3 lit. e UmwRL i.V.m. Art. 7 Abs. 1 SE-BeteiligungsRL). Die diesbezüglichen Anforderungen unterscheiden sich zwar hinsichtlich grenzüberschreitender Verschmelzung und grenzüberschreitendem Formwechsel bzw. grenzüberschreitender Spaltung, da für erstere in Art. 133 Abs. 3 lit. h GesRRL auf Anh. Teil 3 lit. b SE-BeteiligungsRL und für letztere in Art. 86l Abs. 3 lit. e, 160 Abs. 3 lit. e UmwRL auf Anh. Teil 3 lit. a SE-BeteiligungsRL verwiesen wird. Im Kern sehen die Alternativen aber jeweils die Beibehaltung des bisherigen Mitbestimmungsstandards vor. Eine Harmonisierung wird also erreicht, indem jeder Mitgliedstaat inhaltsgleiche Mitbestimmungsregeln für „Hereinumwandlungen“ in ihr jeweiliges nationales Gesellschaftsrechtstatut erlässt. Da die GesRRL und die diese ändernde UmwRL vollharmonisierend wirken, wird auch sichergestellt, dass die Mitgliedstaaten weder nach oben noch nach unten von den Vorgaben abweichen.

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In Deutschland werden diese Vorgaben durch das MgVG (grenzüberschreitende Verschmelzungen) und das MgFSG (grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen) umgesetzt. Anwendung finden die Gesetze entsprechend der europarechtlichen Vorgaben daher grundsätzlich nur für innereuropäische „Hereinumwandlungen“, also Umwandlungsvorgänge europäischer Auslandsgesellschaften in Gesellschaften mit Satzungssitz in Deutschland. Von den Gesetzen erfasst wird dabei vor allem die aus der Umwandlung hervorgehende inländische Gesellschaft (§ 3 Abs. 1 Satz 1 MgVG/§ 3 Abs. 1 Satz 1 MgFSG). Bei den in der Praxis aus deutscher Sicht häufigeren „Herausumwandlungen“ findet auf die aus der grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgehende Gesellschaft dagegen das jeweilige ausländische Recht Anwendung. Etwas anderes gilt nur für bestimmte Mitbestimmungskomponenten, die weiterhin nur das Inland betreffen, etwa die Wahl der inländischen Mitglieder der Verhandlungsdelegation der Arbeitnehmer. Eine „Flucht“ aus der deutschen Mitbestimmung ist gleichwohl kaum möglich, da die ausländischen Mitgliedstaaten aufgrund von GesRRL und UmwRL dem MgVG und dem MgFSG vergleichbare Regelungen treffen müssen, die auf die Sicherung bereits erworbener Mitbestimmungsrechte abzielen (sog. „Vorher-Nachher-Prinzip“). Der durch die UmwRL nochmals erweiterte Anwendungsbereich der Verhandlungslösung führt dabei dazu, dass die zukünftige Mitbestimmung in den meisten Fällen zwischen der sich grenzüberschreitend umwandelnden Gesellschaft und der Arbeitnehmerseite verhandelt werden muss. Die Arbeitnehmerseite wird in diesem Rahmen zumindest auf die Beibehaltung des bisherigen Mitbestimmungsstandards pochen, bei grenzüberschreitenden Formwechseln und Spaltungen sind entgegenstehende Vereinbarungen sogar unzulässig (Art. 86l Abs. 3 lit. b, 160l Abs. 3 lit. b UmwRL i.V.m. Art. 4 Abs. 4 SE-BeteiligungsRL).

III. Zusammensetzung des Aufsichtsrats

1. Bestimmung der anwendbaren Mitbestimmungsregeln

a) Gesetzliche Systematik

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Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats bei grenzüberschreitenden Umwandlungen nach dem MgVG und dem MgFSG erfolgt entsprechend der europarechtlichen Vorgaben ähnlich wie nach dem SEBG bei der Umwandlungsgründung einer SE. Sowohl das ältere und durch das UmRUGMitbestG modifizierte MgVG als auch das neugefasste MgFSG enthalten deshalb ein ausdifferenziertes System zur Besetzung der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat der aus der grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgehenden Gesellschaft (nachfolgend: hervorgehende Gesellschaft). Grundsätzlich erklären beide Gesetze in ihrem § 4 MgVG/§ 4 MgFSG das Recht desjenigen Mitgliedstaats für anwendbar, in dem...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.08.2023 16:35
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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