Aktuell in der AG

Zum Grundsatz der Gleichberechtigung aller Vorstandsmitglieder (Wedemann, AG 2023, 673)

Der Beitrag widmet sich einem bisher wenig ausgeleuchteten Thema des Vorstandsrechts: Er untersucht Geltungsgrund sowie Reichweite und Grenzen des Grundsatzes der Gleichberechtigung aller Vorstandsmitglieder. Ein Hauptaugenmerk gilt der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen. Während sich das Schrifttum hier im Wesentlichen auf eine „case by case“-Betrachtung beschränkt, bemüht sich dieser Beitrag um eine Entwicklung abstrakter Leitlinien.


I. Einleitung

II. Typische Anwendungsfelder

1. Aufgabenverteilung

2. Entscheidung gegen die Mehrheit, Alleinentscheidungsrecht

3. Recht zum Stichentscheid

4. Vetorecht

5. Stimmrechtsreduktion

6. Vorstandsvorsitzender, „CEO“

III. Geltungsgrund

IV. Leitlinien für die Bestimmung des Gewährleistungsgehalts

1. Schutzbereich

2. Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen

a) Meinungsstand

b) Stellungnahme

aa) Kein strikter Grundsatz

bb) Rechtfertigungskriterien

(1) Keine entgegenstehenden gesetzlichen Wertungen

(2) Sachlicher Grund und Verhältnismäßigkeit

V. Ergebnisse


I. Einleitung

Zu den zwingenden Organisationsprinzipien des deutschen Aktienrechts gehört der Grundsatz der Gleichberechtigung aller Vorstandsmitglieder. Die Rechtswissenschaft greift auf ihn bei der Erläuterung der Gestaltungsmöglichkeiten für die Vorstandsorganisation regelmäßig zurück. Dies geschieht jedoch zumeist nur schlagwortartig und ohne tiefere Reflexion. Eine durchgebildete Theorie des Grundsatzes der Gleichberechtigung aller Vorstandsmitglieder oder auch nur eine Zusammenstellung seiner typischen Anwendungsfelder stehen bislang noch aus.

Der vorliegende Beitrag unternimmt es, dem Grundsatz der Gleichberechtigung aller Vorstandsmitglieder nähere Konturen zu verleihen. Zunächst gibt er einen Überblick über typische Anwendungsfelder und den diesbezüglichen Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur (Rz. 4 ff.). Sodann hinterfragt er den Geltungsgrund (Rz. 11 ff.). Den Schwerpunkt bildet schließlich die Analyse des Gewährleistungsgehalts (Rz. 15 ff.). Diese beginnt mit einer Vermessung des Schutzbereichs und mündet in eine Untersuchung, ob und unter welchen Voraussetzungen sich Ungleichbehandlungen von Vorstandsmitgliedern rechtfertigen lassen. Die hierbei entwickelten allgemeinen Kriterien werden an den in Rz. 4 ff. skizzierten typischen Anwendungsfeldern erprobt.

Den spezialgesetzlich normierten Grundsatz der Gleichberechtigung des Arbeitsdirektors (§ 33 Abs. 1 Satz 1 MitbestG, § 13 Abs. 1 Satz 1 Montan-MitbestG, § 13 Satz 1 Montan-MitbestErgG) nimmt der Beitrag (nur) in den Blick, soweit sich daraus Rückschlüsse für die allgemeine Gleichberechtigung der Vorstandsmitglieder ziehen lassen. Im Übrigen finden die hieraus resultierenden Besonderheiten keine Berücksichtigung.

II. Typische Anwendungsfelder

1. Aufgabenverteilung


Ein bedeutsames Anwendungsfeld für den Grundsatz der Gleichberechtigung aller Vorstandsmitglieder eröffnet sich bei der Bestimmung der Gestaltungsgrenzen für die Verteilung der Aufgaben unter den Vorstandsmitgliedern. In der Literatur haben sich hierfür folgende Leitlinien herausgebildet: Der Gleichberechtigungsgrundsatz gebiete keine strikt gleichgewichtige Verteilung. Vielmehr folge aus ihm (nur), dass es keine Vorstandsmitglieder „minderen Gewichts“ oder „zweiter Klasse“ geben darf. Unzulässig sei mithin eine „vertikale Vorstandsorganisation“ im Sinne einer hierarchischen Über- und Unterordnung der Vorstandsmitglieder. Der Gleichberechtigungsgrundsatz stehe damit einem „allzu starken“ Ungleichgewicht der Aufgaben der einzelnen Vorstandsmitglieder entgegen. Manche Autoren meinen, dass die Schwelle zur Unzulässigkeit bereits überschritten sei, wenn Vorstandsmitglieder mit gegenüber ihren Kollegen minderwertigen Aufgaben betraut werden. Um die Anforderungen nicht zu überspannen, setzen indes die meisten Literaturstimmen ein (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.09.2023 16:02
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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