Aktuell in der AG

Doppelspitze im Vorstand: Are Two Heads Better than One? (Heinrich-Pendl, AG 2023, 793)

Lange Zeit ging man gemeinhin davon aus, dass es eine starke Frau bzw. einen starken Mann an der Unternehmensspitze braucht; Doppelspitzen waren die seltene Ausnahme. Heute hat sich das Blatt gewendet und vor allem in der Beraterliteratur werden Doppelspitzen als ernstzunehmende Alternative zu hergebrachten Managementstrukturen propagiert. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, ob eine Doppelspitze im Vorstand aus aktienrechtlicher Sicht zulässig ist bzw. welche rechtlichen Parameter bei der Einführung einer Doppelspitze zu berücksichtigen sind. In einem zweiten Teil befasst sich der Beitrag mit managementtheoretischen Einsichten und dabei mit der Frage nach den Auswirkungen einer Doppelspitze auf die Unternehmensperformance, den typischen Rahmenumständen und Gründen, die zur Etablierung einer Doppelspitze führen sowie mit den als maßgeblich erachteten Erfolgsfaktoren dieses Führungsmodells.

I. Einleitung
II. Rechtlicher Rahmen

1. Meinungsstand
2. Gesetzeswortlaut
3. Historische Analyse
4. Teleologische Erwägungen
5. Organisationsfolgenverantwortung als aktienrechtliche Konsequenz
III. Doppelspitze als Managementmodell
1. Erfolgsmodell?!
2. Rahmenumstände
3. Rationalitäten
4. Erfolgsvoraussetzungen und rechtlicher Rahmen
IV. Zusammenfassung


I. Einleitung

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„Nicht ohne meinen Fitschen“. So titelte das Handelsblatt im Jahr 2013 als die Doppelspitze im Vorstand der Deutschen Bank – bestehend aus Anshu Jain und Jürgen Fitschen – verlängert wurde. Zwar nahm die Ära dieses wohl bekanntesten deutschen Führungsduos kein allzu glückliches Ende. Dennoch ist die Frage nach einer Doppelspitze im Vorstand heute aktueller denn je. Die Harvard Business Review stellte erst im Sommer letzten Jahres die Frage in den Raum: „Is It Time to Consider Co-CEOs?“ und kam zu dem Ergebnis, dass bei entsprechenden Rahmenbedingung der Grundsatz gelte: „Two Heads are better than one.“ Daneben ist in den letzten Jahren ganz generell ein beständiger Zuwachs an Management-Literatur zu verzeichnen, der das Modell „Doppelspitze“ als ernstzunehmende Alternative zur hergebrachten Unternehmensführung mit einer starken Frau bzw. einem starken Mann an der Spitze präsentiert.

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Der folgende Beitrag geht in einem ersten Teil der bislang kaum näher untersuchten Frage nach, ob eine duale Spitzenorganisation aus Sicht des deutschen Aktienrechts überhaupt zulässig ist bzw. welche rechtlichen Parameter bei der Einrichtung eines solchen Führungsmodells zwingend zu berücksichtigen sind (II.; Rz. 3 ff.). Der zweite Teil steht im Zeichen empirischer Einsichten sowie der Rahmenumstände und Gründe, die aus managementtheoretischer und sozialpsychologischer Sicht für die Etablierung einer Doppelspitze sprechen. Die als maßgeblich erachteten Erfolgsfaktoren einer dualen Führung werden abschließend mit den rechtlichen Rahmenbedingungen verprobt (III.; Rz. 18 ff.).

II. Rechtlicher Rahmen

1. Meinungsstand

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Den gesetzlichen Ausgangspunkt für die Bestellung des Vorstandsvorsitzenden bildet § 84 Abs. 2 AktG. Danach kann der Aufsichtsrat im mehrpersonalen Vorstand ein Mitglied des Vorstands zu dessen Vorsitzenden ernennen. Ohne näheres Eingehen auf die Problematik findet sich in den gängigen Kommentaren und Handbüchern dann zumeist der Hinweis, dass es dem Aufsichtsrat frei steht, auch zwei (oder mehr) Vorstandsvorsitzende zu bestellen. Lediglich vereinzelt finden sich Stimmen, die ein solches Vorgehen für unpraktikabel und nicht mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar halten. Der – soweit ersichtlich – einzige Beitrag, der sich dem Problem umfassender annimmt, kommt zu einem ambivalenten Befund. Zwar kann er gute Gründe für die herrschende Meinung und damit die Zulässigkeit einer Doppelspitze ausmachen. Über alle Zweifel erhaben sei diese Sichtweise jedoch nicht, weshalb der Praxis anzuraten sei, auf alternative Modelle, wie etwa zwei Vorstandssprecher oder einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter, auszuweichen.

2. Gesetzeswortlaut
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Eine eingehende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit einer Doppelspitze im Vorstand muss freilich beim Wortlaut des Gesetzes ihren Ausgang nehmen. Insofern wird bisweilen angeführt, dass § 84 Abs. 2 AktG eindeutig gegen eine Doppelspitze spreche. Denn dort heißt es, der Aufsichtsrat kann ein Mitglied zum Vorsitzenden des Vorstands ernennen. Zu Recht wird dieser Lesart aber entgegnet, dass man § 84 Abs. 2 AktG auch so verstehen kann, dass der Hinweis auf „ein Mitglied“ nicht zwingend als zahlenmäßige Beschränkung verstanden werden muss. Stattdessen kann „ein“ auch als unbestimmter Artikel gelesen und die Norm so verstanden werden, dass der Vorsitzende Mitglied des Vorstands sein muss.

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Von anderer Seite wird dagegen zum einen bezweifelt, dass die Betonung in § 84 Abs. 2 AktG wirklich auf dem Wort „Mitglied“ liegen soll. Zum anderen würde ferner der Wortlaut des § 80 Abs. 1 Satz 2 AktG auf einen Solo-Vorsitzenden deuten, wenn es dort heißt, dass der Vorsitzende des Vorstands auf Geschäftsbriefen „als solcher“ zu bezeichnen sei. Dennoch lasse sich aus dem Gesetzeswortlaut kein eindeutiges Verbot der Doppelspitze ableiten.

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Letzteres wird schließlich auch durch die bislang in diesem Zusammenhang soweit ersichtlich noch nicht ins Treffen geführte Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AktG gestützt. Nach ihr können „ein oder mehrere Vorstandsmitglieder“ Meinungsverschiedenheiten im Vorstand nicht gegen die Mehrheit seiner Mitglieder entscheiden. Damit anerkennt der Gesetzgeber immerhin implizit, dass nicht nur einem Vorstandsmitglied, sondern auch mehreren Vorstandsmitgliedern Sonderbefugnisse eingeräumt werden können, etwa ein Recht zum Stichentscheid je nach Ressortbezug der Angelegenheit. Nimmt man hinzu, dass es typischerweise der Vorsitzende ist, dem Sonderbefugnisse innerhalb des Gremiums eingeräumt werden, spricht dies sogar recht deutlich dafür, dass eine Doppelspitze nach dem Wortlaut des Gesetzes keineswegs von vornherein ausgeschlossen ist.

3. Historische Analyse
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Weitere Aufklärung verspricht in einem zweiten Schritt die historische Analyse. Insbesondere die Entstehungsgeschichte des Aktiengesetzes von 1937 ist von Interesse, da hier der Vorstandsvorsitzende erstmals im Gesetzestext erwähnt wird. Zwar stammt das Aktiengesetz von 1937 aus der Zeit des Nationalsozialismus, gleichwohl bildet es ....
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.11.2023 10:54
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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