Aktuell in der AG

Die elektronische Aktie und das eWpG (Guntermann, AG 2021, 449)

Das eWpG schafft die Möglichkeit, Inhaberschuldverschreibungen elektronisch zu begeben. Elektronische Aktien sollen erst zu einem späteren Zeitpunkt eingeführt werden. Der Beitrag untersucht die Vorteile einer elektronischen Aktie und geht der Frage nach, ob zum Zwecke ihrer Einführung der Anwendungsbereich des eWpG schlicht geöffnet werden sollte oder ob weitere aktienrechtlichen Änderungen erforderlich sind.

I. Einleitung
II. Bestandsaufnahme: Zunehmender Funktionsverlust der Aktienurkunde
III. Vollständige Dematerialisierung der Aktie als nächster Entwicklungsschritt?

1. Wertpapierrechtliche Erwägungen
a) Verkehrsfunktion der Verbriefung
b) Legitimationswirkung
c) Schutz vor Zwangsvollstreckung und Insolvenz
2. Kapitalmarktrechtliches Verbriefungserfordernis für börsennotierte Gesellschaften
3. Mögliche aktienrechtliche Vorteile der  elektronischen Aktie
a) Erleichterte Verwaltung des Mitgliederbestandes
b) Erleichterte Ausübung von Aktionärsrechten
c) Erleichterung der innergesellschaftlichen  Kommunikation
IV. Überlegungen zur Umsetzung
1. Regelungen des eWpG
2. Eignung auch für die elektronische Aktie?
3. Anpassungen im Aktienrecht erforderlich?
4. Schlichte Öffnung des eWpG wünschenswert?
V. Fazit


I. Einleitung

1
Im November 2020 machte der im Freiverkehr notierte Immobilien-Investor PREOS Global Office Real Estate & Technology AG (PREOS AG) Schlagzeilen. Es sei die weltweit erste Tokenisierung von Aktien eines börsennotierten Unternehmens auf der Ethereum-Blockchain gelungen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die PREOS AG keine elektronischen Aktien emittiert hat, sondern von ihrer Hauptaktionärin blockchainbasierte Token ausgegeben wurden, die über eine Treuhandkonstruktion als „digitaler Zwilling“ die Mitgliedschaftsrechte in der PREOS AG (insbesondere Dividenden- und Stimmrechte) abbilden. Gleichwohl rückt die Emission der PREOS-Token eine Frage in den Vordergrund: Wie steht es eigentlich mit der elektronischen Aktie? Im Jahr 2019 kündigte die Bundesregierung in ihrer Blockchain-Strategie an, das deutsche Recht für elektronische Wertpapiere öffnen zu wollen.  Das auf dieser Grundlage entstandene Gesetz zur Einführung von elektronischen Wertpapieren (eWpG) beschränkt sich jedoch zunächst auf Inhaberschuldverschreibungen (§§ 793 ff. BGB) und Anteilsscheine nach dem KAGB.  Die Regulierung von elektronischen Aktien (e Aktien) soll erst später erfolgen, da sie erhebliche gesellschaftsrechtliche Auswirkungen habe. Der folgende Beitrag geht zunächst einen Schritt zurück und untersucht mögliche Vorteile, die bei im Übrigen weitgehend unverändertem Aktienrecht mit der Ablösung der „Papieraktie“ durch die e-Aktie verbunden wären. Sodann richtet er den Blick nach vorn und fragt, ob das eWpG – wie die Gesetzesbegründung avisiert  – schlicht für die e-Aktie geöffnet werden sollte und welche Änderungen dies im Aktienrecht erforderlich bzw. möglich machen würde.

II. Bestandsaufnahme: Zunehmender Funktions¬verlust der Aktienurkunde
2
Früher wurden Aktien in Einzelurkunden verbrieft und durch die Aktionäre bei Banken in Sonderverwahrung gegeben (§ 2 DepotG). Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nimmt die Bedeutung der Verbriefung von Aktien jedoch kontinuierlich ab. Zunächst fassten Banken von ihnen verwahrte Einzelurkunden verschiedener Aktionäre in einen Sammelbestand zusammen. Durch die Sammelverwahrung (§§ 5–9 DepotG) verliert der Aktionär sein Eigentum an der Einzelurkunde und erhält im Gegenzug Miteigentum nach Bruchteilen an dem Sammelbestand (§ 6 Abs. 1 DepotG). In einem weiteren Schritt gingen Emittenten dazu über, anstelle von Einzelurkunden miteigentumsfähige Sammel- bzw. Globalurkunden auszugeben, die mehrere oder sämtliche Aktien verbriefen (§ 9a DepotG). Seit 1994 kann der Anspruch eines jeden Aktionärs auf die Verbriefung seiner Mitgliedschaft durch Satzungsregelung eingeschränkt oder ausgeschlossen werden (§ 10 Abs. 5 AktG). Solange kein Aktionär die davon unberührt bleibende Verbriefung sämtlicher Aktien in einer Globalurkunde  verlangt, wird dadurch ermöglicht, dass die Aktien einer Gesellschaft gänzlich unverbrieft bleiben. Den bisherigen Schlusspunkt setzte der Gesetzgeber durch die Aktienrechtsnovelle 2016. Seitdem sind einzelverbriefte Inhaberaktien nur noch bei börsennotierten Gesellschaften zulässig (§ 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG i.V.m. § 26h Abs. 1 EGAktG). Einzelverbriefte Namensaktien können weiterhin ausgegeben werden. In der Praxis hat die Einzelverbriefung jedoch allenfalls in kleinen Gesellschaften und in Altfällen noch eigenständige Bedeutung.

III. Vollständige Dematerialisierung der Aktie als nächster Entwicklungsschritt?
3
In Anbetracht dieser Entwicklung wird schon seit Jahrzehnten die Ablösung der verbrieften Aktie durch ein reines Aktienwertrecht diskutiert. Die Möglichkeit, sämtliche Aktien in einer einzigen Urkunde zu verbriefen, zeige, dass die Verbriefung nur noch eine „geistige Krücke“ darstelle, die man – wie auch die Parallele zu §§ 5, 6 BSchuWG belege – ohne weiteres durch die Eintragung in ein Register ablösen könne.

1. Wertpapierrechtliche Erwägungen
4
Dem ist aus wertpapierrechtlicher Sicht uneingeschränkt zuzustimmen. Die Verbriefung von Rechten in Wertpapieren verfolgt verschiedene Zwecke,  denen die Aktienurkunde allerdings nicht mehr gerecht werden kann bzw. zu werden braucht.

a) Verkehrsfunktion der Verbriefung
5
Die Verbriefung soll vor allem einen körperlichen Gegenstand schaffen, auf den das Mobiliarsachenrecht Anwendung findet. Folgt das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier nach, ist eine Übereignung der Urkunde nach §§ 929 ff. BGB auch zur Übertragung des verbrieften Rechts ausreichend. Da die §§ 932 ff. BGB einen gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten ermöglichen, bewirkt die Verbriefung, dass ...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.06.2021 14:59
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite