Aktuell in der AG

Job-Sharing im Vorstand der Aktiengesellschaft (Denninger, AG 2022, 593)

Es war bislang ein rechtstatsächlicher Befund, dass die Tätigkeit im Vorstand einer Aktiengesellschaft eine Tätigkeit in Vollzeit ist und das Vorstandsmitglied der Gesellschaft seine gesamte Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Teilzeitmodelle, zu denen auch das für Arbeitnehmer verbreitete Modell der Arbeitsplatzteilung („Job-Sharing“) zählt, galten auf Ebene des Leitungsorgans dementsprechend als ein eher theoretischer Fall. Dieser Befund ist angesichts des unübersehbaren Trends zu neuen Work-Life-Modellen sowie den Bemühungen zur Förderung von Diversität an der Spitze von Unternehmen im Umbruch. Dies hat sich in jüngerer Vergangenheit auch an dem (soweit ersichtlich) ersten Job-Sharing-Modell im Vorstand einer deutschen börsennotierten Gesellschaft gezeigt, das auf ein entsprechendes mediales Echo gestoßen ist. Mit Blick auf die bislang fehlende wissenschaftliche Behandlung dieses Themas unternimmt es der vorliegende Beitrag, die rechtlichen Rahmenbedingungen und organisatorischen Maßgaben für ein Job-Sharing im Vorstand der Aktiengesellschaft näher zu beleuchten.

I. Hintergrund
II. Rechtlicher Rahmen und Zulässigkeit
III. Entscheidung über ein Job-Sharing und Abwägungsgesichtspunkte für den Aufsichtsrat
IV. Organisatorische Anforderungen und Haftungsrisiken

1. Organisatorische Ausgestaltung
2. Haftungssituation bei möglichen Pflichtverletzungen
V. Entscheidungsfindung im Gesamtvorstand und im Ressort
1. Stimmgewicht innerhalb des Gesamtvorstands
2. Entscheidungsfindung innerhalb des geteilten Ressorts und Handhabung von Meinungsverschiedenheiten
VI. Auswirkungen auf Vorgaben zur Geschlechterquote
VII. Auswirkungen auf die Vergütung
VIII. Zusammenfassung


I. Hintergrund

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Der Begriff Job-Sharing bzw. Arbeitsplatzteilung bezeichnet Arbeitsmodelle, bei denen sich zwei oder mehr Personen auf Basis besonders ausgestalteter Dienstverträge die Arbeit im Rahmen ihrer jeweils in Teilzeit ausgeübten beruflichen Tätigkeit untereinander aufteilen. Während derartige Modelle für Arbeitnehmer schon seit längerem gebräuchlich und geregelt sind, traten sie auf Ebene des Vorstands börsennotierter Aktiengesellschaften hierzulande bis zuletzt nicht auf. Für entsprechendes Aufsehen sorgte dementsprechend in jüngster Zeit die Mitteilung der börsennotierten edding AG, den Vorstand um ein viertes Ressort des „Chief Digital Officers“ zu erweitern und hierfür ein „Führungs-Tandem“ bestehend aus zwei neu bestellten Vorständen vorzusehen, die sich dieses Ressort und die darin anfallenden Aufgaben teilen sollen.

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Die vorgenannte Gestaltung unterscheidet sich deutlich von der in der Praxis häufiger anzutreffenden Doppelbesetzung des Vorstandsvorsitzenden oder Vorstandssprechers („Doppelspitze“ bzw. „Co-CEOs“). Beispiele für derartige Gestaltungen sind u.a. die Doppelspitzen der SAP SE von 2010–2014 (McDermott/Snabe) sowie 2019/20 (Morgan/Klein), der Deutsche Bank AG von 2012–2015 (Jain/Fitschen) bzw. 2015/16 (Cryan/Fitschen), sowie die amtierenden „Co-CEOs“ der Zalando SE (Gentz/Schneider). Insoweit werden die Beteiligten ohne Einschränkungen nebeneinander und mit vollem zeitlichem Einsatz tätig, so dass es sich um eine Doppelbesetzung des Postens und nicht um eine Arbeitsplatzteilung im technischen Sinne handelt. Das Hauptaugenmerk dieses Beitrags liegt dementsprechend auf der letztgenannten Gestaltung, die in rechtlicher Hinsicht eine nicht unerhebliche Bandbreite berücksichtigungsbedürftiger Themen aufwirft.

II. Rechtlicher Rahmen und Zulässigkeit
3
Der rechtliche Rahmen für ein Job-Sharing im Vorstand der Aktiengesellschaft zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass keine gesetzlichen Sonderregelungen bestehen. Da es sich bei Vorstandsmitgliedern wegen ihrer eigenverantwortlichen Wahrnehmung der Leitungsverantwortung (§ 76 Abs. 1 AktG) in aller Regel nicht um Arbeitnehmer handelt, findet insbesondere die gesetzliche Regelung zur Arbeitsplatzteilung nach § 13 TzBfG auf sie keine Anwendung.

4
Gesellschaftsrechtlich ist ein Job-Sharing in Bezug auf eine Vorstandsposition in der Aktiengesellschaft allerdings richtigerweise zulässig. Ungewöhnlich, aber auch unbedenklich ist dabei zunächst der Umstand, dass die beiden Job-Sharing-Partner dienstvertraglich in „Teilzeit“ tätig werden. Die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Ausgestaltung zeigt sich bereits daran, dass Vorstandsmitglieder mit Zustimmung der zuständigen Aufsichtsräte auch Doppelmandate wahrnehmen dürfen. Wenn das Vorstandsmitglied seine Arbeitskraft insoweit zwischen verschiedenen Gesellschaften aufteilen darf, muss eine Reduktion der aufgewendeten Arbeitszeit aus anderen Gründen ebenso zulässig sein.

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Nichts anderes folgt aus der gelegentlich vorgebrachten Kritik an sog. „Doppelspitzen“ in Bezug auf den Vorstandsvorsitzenden (vgl. zu solchen Gestaltungen bereits Rz. 2). Die damit verbundenen Zweifel entzünden sich am Wortlaut des § 84 Abs. 2 AktG, der ambivalent davon spricht, dass „ein“ Mitglied zum Vorsitzenden ernannt werden kann, was man als Zahlenangabe oder als unbestimmten Artikel lesen mag. Ungeachtet der heute wohl herrschenden Auffassung, die sich für die Zulässigkeit von Doppelspitzen ausspricht, fehlt es für die Bestellung „gewöhnlicher“ Vorstandsmitglieder an aktienrechtlichen Regelungen, die sich im Sinne einer derartigen Beschränkung interpretieren ließen.

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Die vorgenannte Thematik lenkt den Blick gleichwohl auf zwei wesentliche Grundsätze, welche für die weitere Betrachtung von Bedeutung sind: Zum einen ist entsprechend der heute anerkannten „Trennungstheorie“ das anstellungsvertragliche Dienstverhältnis, in dem auch Regelungen zum zeitlichen Umfang der Dienstpflicht des Vorstandsmitglieds getroffen werden können, von dem aktienrechtlichen Organverhältnis – d.h. der korporativen Bestellung als Vorstandsmitglied mitsamt der daraus resultierenden organschaftlichen Pflichten – strikt zu unterscheiden. Zum anderen kennen die aktienrechtlichen Vorschriften (ungeachtet dienstvertraglicher Regelungen zum zeitlichen Einsatz) kein „reduziertes“ oder „halbes“ Organverhältnis, so dass jedes Vorstandsmitglied – auch im Rahmen eines Job-Sharings – aus der Perspektive des Aktienrechts organschaftlich als vollwertig und vollverpflichtet anzusehen ist.

III. Entscheidung über ein Job-Sharing und Abwägungsgesichtspunkte für den Aufsichtsrat
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Die Besetzung der Vorstandsposten einschließlich der damit verbundenen Auswahl der Kandidaten betrifft den Kern der Personalkompetenz des Aufsichtsrats (§ 84 Abs. 1 AktG). Gleiches gilt in den Grenzen der Satzung auch für Regelungen zur Geschäftsführung und Geschäftsverteilung, die der Aufsichtsrat (vorrangig zur Selbstorganisation durch den Vorstand) im Wege einer Geschäftsordnung für den Vorstand treffen kann (§ 77 Abs. 2 Satz 2 AktG). Vor diesem Hintergrund ist es dementsprechend auch der Aufsichtsrat, der über...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.08.2022 15:25
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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