Aktuell in der AG

Zwischenbefund aus der Praxis zu den organisatorischen Herausforderungen der ESG-Richtlinien für Unternehmen (Balke, AG 2023, 732)

Der Beitrag geht der Frage nach, ob und wenn ja, welche Auswirkungen die neuere ESG-Gesetzgebung für Unternehmen in organisatorischer Hinsicht hat. Ist künftig die Einrichtung eines eigenständigen Vorstandsressorts für Nachhaltigkeit erforderlich? Bedarf es auf der Ebene des Aufsichtsrats spezieller ESG- bzw. Nachhaltigkeitsausschüsse? Lassen sich die zur Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes geschaffenen Strukturen nutzen?

I. Einführung
II. Überblick zu den ESG-Gesetzgebungsaktivitäten der vergangenen Jahre aus Unternehmenssicht

1. ESG-Themen in der jüngeren europäischen Gesetzgebung
2. Nationales Recht und die Vorgaben des DCGK 2022
III. Herausforderungen durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die European Sustainability Reporting Standards (ESRS)
1. Rechtsunsicherheit und administrativer Aufwand
2. Änderung der Organisationsstruktur
3. Status quo in der Unternehmenspraxis
IV. Herausforderungen durch die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D)
1. (Begrenzte) Synergieeffekte aus der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG)
2. Bedeutung des Art. 25 CS3D‑E
V. Thesen


I. Einführung

1
„ESG“ steht nicht nur auf der Tagesordnung der Wissenschaft, sondern findet zunehmend und fast unaufhaltsam Eingang in die Gesetzgebung – sei es auf nationaler oder supranationaler (vor allem unionsrechtlicher) Ebene. Vieles ist noch im Fluss, teils sind die Hauptrechtsakte zwar bereits verbindlich, doch sie konkretisierende Ausführungsbestimmungen folgen erst mit zeitlicher Verzögerung, teils liegen die Hauptrechtsakte nur als Entwürfe vor. Dieser Umstand erschwert es naturgemäß der rechtsberatenden Praxis, Unternehmen belastbare Orientierungshilfen an die Hand zu geben.

2
Der vorliegende Beitrag, der ganz der praktisch-unternehmerischen Dimension des Themas gewidmet ist, will dennoch Hinweise auf den als Folge der diversen Regulierungsvorhaben zu erwartenden organisatorischen Aufwand geben. Zum einen bedarf verlässliches und erfolgreiches unternehmerisches Handeln immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf: Etablierte Strukturen lassen sich nicht von heute auf morgen ändern oder jedenfalls nur dann, wenn man rechtzeitig alle Eventualitäten bedacht hat. Zum anderen besteht, solange noch keine rechtsverbindlichen Entscheidungen existieren, die Möglichkeit und Hoffnung, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber von der einen oder anderen gut gemeinten Idee Abstand nimmt, wenn ihm die gravierenden, unter Umständen existenzbedrohenden Konsequenzen seiner (Über-)Regulierung bewusst werden.

3
Nach einem kursorischen Überblick über die das Thema „ESG“ betreffenden Gesetzgebungsaktivitäten der letzten Jahre (II.; Rz. 4 ff.) stehen als Rechtsakte von besonderer Bedeutung für die Unternehmensorganisation die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in Verbindung mit den noch in der Beratung befindlichen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) (III.; Rz. 19 ff.) und die ebenfalls noch nicht verbindliche Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D) (IV.; Rz. 53 ff.) im Mittelpunkt. Eine vollständige Bestandsaufnahme der gegenwärtigen und zukünftigen rechtlichen Implikationen der ESG-Initiativen ist in dem gegebenen Rahmen nicht zu leisten. Ziel soll es sein, die aktuellen Tendenzen in der ESG-Gesetzgebung rechtspolitisch kritisch zu würdigen und die Folgen für die Unternehmenspraxis vor Augen zu führen, ohne die mit „ESG“ verfolgten gesellschafts- und umweltpolitischen Anliegen grundsätzlich in Frage zu stellen.

II. Überblick zu den ESG-Gesetzgebungsaktivitäten der vergangenen Jahre aus Unternehmenssicht
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Eingangs seien kurz die bereits umgesetzten oder zur Umsetzung anstehenden ESG-Gesetzgebungsinitiativen skizziert, die prima facie das Potential haben, Einfluss auf die Unternehmensorganisation und betrieblichen Abläufe zu nehmen.

1. ESG-Themen in der jüngeren europäischen Gesetzgebung
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Der Fokus der gesetzgeberischen Aktivitäten auf europäischer Ebene lag in den vergangenen Jahren zunächst auf einer Erweiterung der Berichtspflichten der Unternehmen zu Nachhaltigkeitsaspekten. An erster Stelle ist die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) zu nennen. Die CSRD ist am 5.1.2023 in Kraft getreten und bis zum 6.7.2024 in deutsches Recht umzusetzen. Sie erweitert die bestehenden Regelungen zur nicht-finanziellen Berichterstattung erheblich und ändert den Umfang und die Art der nicht-finanziellen Berichterstattung, zukünftig Nachhaltigkeitsberichterstattung, von Unternehmen tiefgreifend. Zudem vergrößert die CSRD den Adressatenkreis der Unternehmen, die zukünftig der Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung unterliegen, deutlich.

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Die neuen Berichtspflichten gelten allerdings nicht auf einen Schlag für alle Unternehmen. Art. 5 Abs. 2 CSRD sieht eine zeitliche Staffelung der Verpflichtung vor. So müssen beispielsweise große kapitalmarktorientierte Unternehmen, bei denen es sich um Unternehmen von öffentlichem Interesse handelt und die am Bilanzstichtag die durchschnittliche Zahl von 500 während des Geschäftsjahres Beschäftigten überschreiten, ab dem Geschäftsjahr 2024 den neuen Berichtserfordernissen nachkommen. Da die Umsetzungsfrist für den nationalen Gesetzgeber erst am 6.7.2024 endet, kann die Situation eintreten, dass diese Unternehmen die genaue Ausgestaltung der Regelungen, nach denen sich die Berichtspflicht für das Geschäftsjahr 2024 richtet, erst im Laufe dieses Geschäftsjahrs erfahren.

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Ab dem Geschäftsjahr 2025 sind dazu auch große Unternehmen i.S.v. Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2013/34/EU verpflichtet, d.h. Unternehmen, die am Bilanzstichtag mindestens...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.10.2023 15:36
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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