Aktuell in der AG

Horizon Boards in deutschen Aktiengesellschaften (Holle/Schwarz, AG 2024, 17)

In Unternehmen finden zunehmend sog. Horizon Boards Verbreitung. Hierbei handelt es sich um unternehmensinterne Gremien, die vor allem mit Mitgliedern der jüngeren Generationen und sonstigen, in den leitenden Positionen der Unternehmen bislang unterrepräsentierten Personengruppen besetzt sind. Indem die Unternehmen diese Personengruppen in einer institutionalisierten Einrichtung zusammenführen, erhoffen sie sich, deren Vorstellungen und Ideen bei der Entwicklung der Unternehmensstrategie, der Gestaltung von Produkten sowie der Arbeitsstrukturen besser Rechnung tragen zu können. Je nach Ausgestaltung kann ein Horizon Board allerdings in Konflikt mit den aktienrechtlichen Governance-Strukturen geraten. Der Beitrag misst aus, wie viel Raum das Aktienrecht bei der Einrichtung solcher Gremien lässt.

I. Einführung
1. Horizon Boards als Perspektivengeber
2. Rechtspraktische Bestandsaufnahme
3. Diskussionsstand
4. Vorgehen
II. Aktienrechtlicher Rahmen für fakultative Gremien
1. Unzureichende Ergiebigkeit des § 285 Nr. 9 HGB
2. Satzungsstrenge und organschaftliche Kompetenzordnung als Determinanten
a) Beschränkung auf beratende Gremien
b) Beschränkung auf schuldrechtliche Einrichtung
III. Parameter der Entscheidung zur Einrichtung eines Horizon Boards
1. Entscheidungshoheit
a) Vorstandsbeschluss oder Satzung als Grundlage vorstandsberatender Horizon-Boards
b) Keine Beratung des Aufsichtsrats oder der Hauptversammlung durch Horizon Boards
2. Erfordernis einer Rechtfertigung und Prüfungsmaßstab
3. Rechtfertigung im Einzelfall
a) Verfolgte Ziele
b) Rechtfertigung eines zusätzlichen und institutionalisierten Gremiums
IV. Kompetenzrechtliche Einbettung des Horizon Boards in den aktiengesetzlichen Rahmen
1. Kompetenzzuweisung als Regelungsaufgabe
2. Funktionsumschreibung als Ausgangspunkt
3. Themenspektrum
4. Institutionalisierte Einbindung in die Unternehmensprozesse
5. Informationsversorgung
a) Informationsbereitstellung und Informationseinholung
b) Verschwiegenheitspflichten als Kehrseite
V. Besetzung des Horizon Boards
1. Gestaltungsspielraum, Inkompatibilität und personale Abkantung
2. Anzahl der Board-Mitglieder
3. Amtszeit
4. Externe vs. interne Besetzung
5. Board-Mitgliedschaft von Organmitgliedern?
VI. Budget und innere Ordnung des Horizon Boards
VII. Vergütung und Haftung

1. Regelung der Vergütung
2. Haftung der Board-Mitglieder
VIII. Konzernrechtliche Aspekte
IX. Fazit


I. Einführung

1. Horizon Boards als Perspektivengeber

1
Um sich als Unternehmen am Markt zu behaupten, war es schon immer wichtig, vielfältige Perspektiven bei der Leitung des Unternehmens zu berücksichtigen und durch die Umsetzung neuer Ideen „am Ball“ zu bleiben. In den gegenwärtigen Zeiten kommt diesem Grundsatz insofern ein noch größeres Gewicht zu, als heute insbesondere die Perspektiven der jüngeren Generationen für Unternehmen besonders wertvoll sein können. In den Bereichen Digitalisierung und Nachhaltigkeit stehen große, in dieser Form so wohl noch nie dagewesene Transformationsprozesse an bzw. sind bereits im Gang. Die jüngeren Generationen sind mit der Digitalisierung und dem sichtbaren Umwelt- und Klimawandel „groß geworden“ und daher in besonderer Weise mit den neuen Herausforderungen und Möglichkeiten vertraut. Die Sichtweisen der „Digital Natives“ und der vom Klimawandel stärker betroffenen Generationen bergen für Unternehmen insoweit nicht nur auf operativer, sondern auch auf strategischer Ebene Potential.

2
Bei der strategischen Unternehmensleitung finden die Sichtweisen der jüngeren Generationen für gewöhnlich jedoch keinen unmittelbaren Eingang in die Entscheidungsfindung: Das durchschnittliche Vorstandsmitglied ist 63 Jahre alt; das Durchschnittsalter im Aufsichtsrat liegt bei 57 Jahren. Unternehmen werden sich schwer damit tun, an dieser Altersstruktur Grundlegendes zu ändern: Auch wenn Vielfältigkeit und insbesondere eine durchmischte Altersstruktur bei der sachgerechten Entscheidungsfindung förderlich sind, spielen auf Ebene der Geschäftsleitung Erfahrung, Expertise und Reife noch immer die zentrale Rolle. Das Anliegen, die Perspektiven jüngerer Generationen in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen, lässt sich daher in der Regel nicht in der Weise „nach oben hin“ auflösen, dass Repräsentanten dieser Generationen in die Geschäftsleitung geholt werden.

3
Um die Vorstellungen und Ideen jüngerer Generationen gleichwohl in die strategischen Entscheidungen miteinfließen zu lassen, richten erste Unternehmen sog. Horizon Boards ein; teilweise wird auch von Shadow Boards gesprochen. Hierbei handelt es sich um unternehmensinterne Gremien, die gezielt mit Personengruppen besetzt werden, die auf den Führungsebenen bislang unterrepräsentiert sind. In der bisherigen Praxis stehen vor allem die Millennials sowie Mitglieder der Generation Z im Fokus. Die Repräsentanten dieser Generationen sollen ihre Erwartungen an die Arbeitswelt, die Produktgestaltung sowie den Umgang mit ökologischen und sozialen Belangen innerhalb des Boards bündeln und der „homogenen“ Führungsebene auf diese Weise in einem geordneten Prozess neue Horizonte bei der Unternehmensstrategie erschließen. Alles in allem versprechen sich die Unternehmen davon, vermeintlich verkrustete Denkstrukturen aufbrechen, Innovationen vorantreiben, die Reichweite des Unternehmens erhöhen und die Unternehmens- und Arbeitskultur an den modernen Zeitgeist anpassen zu können. Umgekehrt wollen sie mithilfe von Horizon Boards vermeiden, dass die Entscheidungsgremien zu einseitig agieren und deshalb Chancen verpassen und Probleme übersehen.

2. Rechtspraktische Bestandsaufnahme
4
Bislang finden sich Horizon Boards vor allem in der Luxusgüterbranche sowie in der Hotelindustrie. So möchte etwa der CEO des italienischen Modedesigners Guccio Gucci S.p.A. die in einem Horizon Board gebündelten Einschätzungen der Millennials und der Generation Z in seine unternehmerischen Entscheidungen einbeziehen, um Trends frühzeitig zu erkennen und auch für die Zukunft Talente und Kreativität in seinem Unternehmen zu sichern. Als ersten Erfolg verbuchte das Horizon Board von Gucci die Verringerung der Lederabfälle in der Produktion von Handtaschen. Beim Hotelunternehmen Accor und Mövenpick Hotels & Ressorts stemmten sich die Mitglieder des Horizon Boards mit Erfolg gegen die von der Geschäftsleitung geplante Einrichtung einer Buchungsapp. Zur Begründung verwiesen sie darauf, dass die jüngeren Generationen gar nicht daran interessiert seien, sich eine weitere App auf ihr mobiles Endgerät zu installieren.

3. Diskussionsstand
5
Ihrer Konzeption nach erscheinen Horizon Boards als hilfreiches Instrument, um den Informationshaushalt der Unternehmensleitung zu vergrößern und die Vorstellungen und Ideen jüngerer Generationen gezielt in die strategischen Entscheidungen einfließen zu lassen, die dort getroffen werden. Das gilt umso mehr, als sie von ihrer Ausrichtung her inhaltsoffen und daher prinzipiell imstande sind, sämtliche Bereiche zu bedienen, in denen zusätzliche Perspektiven gefragt sind. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Einrichtung eines Horizon Boards auch in der deutschen Unternehmenslandschaft erwogen werden wird.

6
Das Terrain ist bislang allerdings nur wenig ausgeleuchtet. In der Literatur finden sich zwar erste Beiträge, die sich mit einem solchen Gremium auseinandersetzen. Diese Beiträge beschränken sich aber primär darauf, den Sinn und Zweck eines Horizon Boards zu skizzieren. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der gesellschaftsrechtlichen Zulässigkeit und den rechtsformspezifischen Schranken, die bei der Einrichtung eines Horizon Boards insbesondere bei der ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.01.2024 15:41
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite