Aktuell in der AG

Mehr als nur Kosmetik - Frischzellenkur für das WpÜG durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz (Jaspers/Thoma, AG 2024, 3)

Das WpÜG wird man ohne Übertreibung als veritablen Monolithen unter den Kapitalmarktgesetzen bezeichnen dürfen. Der überkommene Normenbestand entspricht in weiten Teilen noch der zu Beginn des Jahres 2002 in Kraft getretenen Fassung, Überarbeitungen waren bisher überaus selten und mit Ausnahme des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes punktueller Natur. Auch jenseits der Debatte um die tragenden Säulen des Marktes für Unternehmenskontrolle (market for corporate control), die stark vom jeweiligen ordnungspolitischen Standpunkt geprägt und deshalb immer umstritten ist, sind deshalb in den vergangenen Jahren die Rufe lauter geworden, die allgemein eine technische Überarbeitung des WpÜG unter Berücksichtigung geänderter Usancen des Kapitalmarkts fordern. Diese Kritik partiell aufgreifend hat die Ampelkoalition das Zukunftsfinanzierungsgesetz zum Anlass genommen, en passant auch Teile des WpÜG zu reformieren. Wenig überraschend liegt der Schwerpunkt dabei auf einer weitgehenden Digitalisierung des Angebotsverfahrens, begleitet allerdings von weiteren Änderungen, die in der Praxis künftig zu beachten sein werden.

I. Einleitung
II. Digitalisierung des Angebotsverfahrens

1. Umstellung des BaFin-Verfahrens auf elektronische Korrespondenz
2. Generelle Umstellung auf obligatorische elektronische Form (§ 45 WpÜG n.F.)
3. Reichweite der Pflicht zur elektronischer Kommunikation
a) Anträge
b) Mitteilungen
c) Erklärungen, Unterrichtungen und Übermittlungen
d) Die Angebotsunterlage im Besonderen
4. Fortbestehende Schriftformerfordernisse
5. Beschwerdeverfahren
6. Automatische Fristverlängerung bei Angebotsuntersagung
7. Auskunftsverlangen der Bundesanstalt
III. Fristenregime
1. Umstellung von Werk- auf Arbeitstage
2. Feiertage
3. Fristenregime der Abwehrhauptversammlung
4. Stellungnahme
IV. Übernahmerechtliches Melderegime
1. Mitteilungspflichten i.R.d. Entscheidung zur Abgabe eines Angebots
2. Ergänzung der Anzeige- um Übermittlungspflichten
3. Anzeige- und Übermittlungspflicht bei Berichtigungen des Angebots und Gegenseitigkeitsvorbehalt
4. Anzeige der Wahl der zuständigen Aufsichtsstelle
V. Varia
VI. Inkrafttreten
VII. Fazit


I. Einleitung

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Neben öffentlichkeitswirksamen Vorhaben wie der (Wieder-)Zulassung von Mehrstimmrechtsaktien (§ 12 Satz 2, § 135a AktG) und der Einführung von „Börsenmantelaktiengesellschaften“ als deutscher Variante der insbesondere in den USA in Wellen beliebten SPAC (§§ 44 ff. BörsG) ist mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) u.a. auch ein wenig beachtetes, für die Praxis aber nicht unerhebliches Update des deutschen Übernahmerechts verbunden. Den moderaten, aber ganzheitlich angelegten Änderungsvorschlägen kommt nicht zuletzt auch deshalb Bedeutung zu, weil das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz im Vergleich zu anderen Kapitalmarktgesetzen (WpPG, WpHG) bisher wie ein Monolith anmutete. Korrekturen am überkommenen Normenbestand waren bisher vergleichsweise selten und zumeist punktueller Natur. Hervorzuheben sind einerseits die Überführung der Übernahme-Richtlinie (2004/25/EG) durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, deren wesentliche Neuerungen (Aufsicht über grenzüberschreitende Angebote, verschärftes Verhinderungsregime und übernahmerechtlicher Squeeze-out) wenig bis keine Praxisrelevanz zu erlangen vermocht haben, und andererseits die graduelle Anpassung des „acting in concert“ durch das Risikobegrenzungsgesetz sowie die Ausdehnung der Sperrfrist (§ 26 WpÜG) auf mit dem Bieter gemeinsam handelnde Personen durch Art. 20 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie als Reaktion auf die Übernahme der OSRAM Aktiengesellschaft.

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Die Beständigkeit des WpÜG ist einerseits Ausweis für eine gelungene Grundkonzeption, die sich in der Praxis weitgehend bewährt und keinen dringenden Reformbedarf offenbart hat. Andererseits wurden aber auch die Stimmen lauter, die eine Anpassung des WpÜG u.a. an geänderte Kommunikationsusancen fordern, u.a. durch eine verstärkte Digitalisierung des Übernahmeverfahrens, das noch stark durch Schriftformerfordernisse geprägt war. Diesen Kritikstrang teilweise aufgreifend sieht das Zukunftsfinanzierungsgesetz vergleichsweise umfängliche, wenn auch primär technische Änderungen des Angebotsverfahrens vor. Für die Praxis ist die Überarbeitung nicht zuletzt auch deshalb von Gewicht, weil sie zwar die großen rechtspolitischen Fragen des Übernahmerechts, aktuell etwa den richtigen Umgang mit den verschiedenen Erscheinungsformen aktivistischer bzw. opportunistischer Investoren, ausklammert, gleichzeitig aber eine Vielzahl verfahrensrechtlicher Normen ändert und ergänzt, die praktisch bei jedem öffentlichen Angebot, das der Kontrolle durch die Bundesanstalt unterliegt, zu beachten sind und die bei vorsätzlichen oder leichtfertigen Verstößen regelmäßig als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden.

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Die mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz verbundenen Neuerungen, die im Folgenden kursorisch vorgestellt werden sollen, lassen sich in einem ersten groben Zugriff in drei große Themen- bzw. Regelungsbereiche untergliedern: (1) Die (förmliche) Korrespondenz im Übernahmeverfahren wird – zumindest im Verhältnis der Verfahrensbeteiligten zur Bundesanstalt – umfassend und zwingend auf elektronische Kommunikation umgestellt, wobei dem aus dem Prospektrecht bekannten MVP‑Fachverfahren die Rolle als zentraler Kommunikationsschnittstelle zwischen Bieter und Aufsicht zugewiesen wird. (2) Die bisher – etwas unglücklich – an Werktage anknüpfenden Fristen für die Prüfung der Angebotsunterlage durch die Bundesanstalt (§ 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 WpÜG) werden auf die neue, aus Art. 2 lit. t) ProspektVO bekannte Kategorie der Arbeitstage (§ 2 Abs. 9 WpÜG n.F.) umgestellt, und (3) wird das übernahmerechtliche Melderegime in einigen Details nachgeschärft, insbesondere durch Einführung neuer Mitteilungspflichten bei Angebotsberichtigungen und (theoretischer) Vereinbarung eines Gegenseitigkeitsvorbehalts sowie durch Hochstufung der bisherigen Notifizierungspflichten zu Mitteilungs- und Übersendungspflichten. Nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind die Implikationen der beschränkten Wiedereinführung der Mehrstimmrechtsaktie für den an Stimmrechtsmacht anknüpfenden Kontrollbegriff des WpÜG (§ 29 Abs. 2 WpÜG) und damit die Angebotspflicht nach § 35 WpÜG. Auch das am 14.12.2023 vorgelegte Informationsblatt der Bundesanstalt zum Fachverfahren Unternehmensübernahmen (WpÜG), praktisch die Gebrauchsanleitung für die elektronische Kommunikation mit der Bundesanstalt in Übernahmeverfahren, konnte nur punktuell berücksichtigt werden und soll deshalb in seinen Grundzügen in einem Kurzbeitrag im AG-Report 2024 vorgestellt werden.

II. Digitalisierung des Angebotsverfahrens

1. Umstellung des BaFin-Verfahrens auf elektronische Korrespondenz

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Die wohl prominenteste Änderung des Zukunftsfinanzierungsgesetzes ist die weitgehende Umstellung des übernahmerechtlichen Verfahrens von der bisher grundsätzlich maßgeblichen Schriftform auf obligatorische elektronische Form. Während das WpÜG – seinerzeit progressiv – für die Kommunikation zwischen Bieter und Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft als Adressaten des Angebots bereits breitflächig auf das Internet als Kommunikationskanal zurückgreift, war das eigentliche Angebotsverfahren bisher noch stark durch Schriftformerfordernisse geprägt, was nicht zuletzt unverzichtbaren Authentifizierungs- und Identifizierungsnotwendigkeiten geschuldet war. Die verfahrensleitende Vorschrift des § 45 WpÜG a.F. ordnete entsprechend bisher in Satz 1 ein das allgemeine Verwaltungsrecht (§ 10 VwVfG) verschärfendes Schriftformerfordernis für sämtliche Anträge und Mitteilungen an die Bundesanstalt an. Dessen konkrete Reichweite war zwar in Details umstritten, insbesondere eine Einreichung per Tele- oder Computerfax wurde im Grundsatz als schriftformwahrend akzeptiert, eigenhändige Unterzeichnung und Übersendung des Originals haben aber bis zuletzt ihren Platz im Übernahmeverfahren zu behaupten vermocht. Dies u.a. auch deshalb, weil zwar § 45 Satz 2 WpÜG a.F. die Möglichkeit kannte, Anträge und Mitteilungen im Wege der elektronischen Datenfernübertragung vorzunehmen, dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Absender zweifelsfrei zu erkennen ist. Erforderlich war damit zumindest eine elektronische Signatur nach der eIDAS-VO, die in den drei Spielarten elektronische Signatur, fortgeschrittene elektronische Signatur und qualifizierte elektronische Signatur begegnet. Die Bundesanstalt interpretierte zudem (auch) § 45 Satz 2 WpÜG a.F. in ihrer Verwaltungspraxis unter Rekurs auf § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG sehr eng und eröffnete die Möglichkeit elektronischer Kommunikation nicht für jede Form elektronisch signierter Kommunikation nach der eIDAS-VO, sondern ausschließlich für qualifizierte elektronische Signaturen und das De-Mail Format. Einen weiteren Flaschenhals für die Praxis stellte es dar, dass auch für diese qualifizierte elektronische Kommunikation ausschließlich zwei Zentraladressen bei der Bundesanstalt (für Dokumente mit qualifizierter elektronischer Signatur einerseits und für De-Mail andererseits) zur Verfügung gestellt werden. Es hing damit letztlich (auch) von für den Bieter nur bedingt planbaren behördeninternen Abläufen ab, wann seine Anträge und Mitteilungen den zuständigen Sachbearbeiter im Übernahmereferat erreichten. Entsprechend hat die Schriftform in der Praxis ihren Platz zu verteidigen gewusst bzw. gestaltete sich die elektronische Kommunikation weitaus aufwendiger und schwerfälliger als in der allgemeinen politischen Diskussion über Digitalisierung häufig suggeriert.

2. Generelle Umstellung auf obligatorische elektronische Form (§ 45 WpÜG n.F.)
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Das Bekenntnis des Koalitionsvertrags zu einer verstärkten Digitalisierung aufgreifend werden durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz wesentliche Teile des Angebotsverfahrens nunmehr zwingend auf elektronische Kommunikationsmittel umgestellt. § 45 WpÜG n.F. sieht entsprechend vor, dass Anträge sowie gesetzlich vorgeschriebene Mitteilungen, Erklärungen, Unterrichtungen oder Übermittlungen ausschließlich elektronisch über das Portal der Melde- und Veröffentlichungsplattform der Bundesanstalt (MVP) an diese übermittelt werden. Notwendige Voraussetzung, um als Verfahrensbeteiligter eines Übernahmeverfahrens überhaupt förmlich mit der Bundesanstalt korrespondieren zu können, ist damit die Anmeldung und Zulassung des Bieters oder eines für ihn Meldeberechtigten zum Melde- und Veröffentlichungssystem der Bundesanstalt. Die im Rahmen der Anmeldung zum MVP‑Fachverfahren erforderliche Identifizierung des Antragstellers übernimmt die bisher der Unterschrift bzw. qualifizierten elektronischen Signatur zukommende Identifizierungs- und Authentifizierungsfunktion.

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Was die Materialien zum Zukunftsfinanzierungsgesetz allerdings unterschlagen, ist, dass das MVP‑Fachverfahren sowohl einigermaßen voraussetzungsvoll als auch – soweit nicht der Bieter als „Direktmelder“ oder seine Berater als „berechtigte Dritte“ bereits zugelassen sind – zeitaufwendig ist. Die Identifizierung erfolgt unabhängig davon, ob der Bieter oder sonstige Verfahrensbeteiligte...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.01.2024 14:50
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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