Aktuell in der AG

Wertverwässerungsschutz bei Sachkapitalerhöhungen nach dem Zukunftsfinanzierungsgesetz (Verse, AG 2024, 297)

Durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz ist der Verwässerungsschutz der Altaktionäre bei ordentlichen Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss völlig neu gefasst worden (§ 255 Abs. 2, Abs. 4-7, §§ 255a, 255b AktG n.F.). Am Beispiel der Sachkapitalerhöhung stellt der Beitrag die neue Regelung vor und diskutiert erste Anwendungsfragen.

I. Einführung
II. Grundlagen

1. Bisherige Rechtslage
2. Eckpunkte der Neuregelung im Überblick
a) Ausgleich im Spruchverfahren statt Anfechtung wegen Bewertungsrüge
b) Neue Bewertungsregel für börsennotierte Gesellschaften
c) Aber: kein Spruchverfahren beim genehmigten Kapital
3. Vorüberlegungen zur Grundkonzeption der Neuregelung
III. Bewertungsmaßstab
1. Ausgangspunkt: Anknüpfung an die zum bisherigen Recht entwickelten Grundsätze
2. Die neue Börsenkursregel des § 255 Abs. 5 AktG
a) Überblick, Allgemeines
b) Fallgruppe 1: Börsenkurs bleibt hinter dem (angeblichen) Fundamentalwert zurück
c) Fallgruppe 2: Börsenkurs übersteigt den (angeblichen) Fundamentalwert
d) Fallgruppe 3: Einbringung börsennotierter Aktien
IV. Modalitäten des Barausgleichs
1. Barausgleich und Kapitalerhaltung
2. Barausgleich und Selbstfinanzierungseffekt
V. Ausgleich in Aktien
1. Grundkonzeption: Herstellung der von Anfang an angemessenen Beteiligungsquote
2. Schaffung der zusätzlichen Aktien durch (weitere) Sachkapitalerhöhung
a) Allgemeines
b) Unvereinbarkeit mit dem Gebot effektiver Kapitalaufbringung?
c) Sacheinlageprüfung
VI. Fazit


I. Einführung

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Das am 15.12.2023 in Kraft getretene Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) enthält ein ganzes Bündel von Maßnahmen, welche die Attraktivität des Kapitalmarktstandorts Deutschland erhöhen sollen. Das Spektrum reicht von der Einführung von Börsenmantelaktiengesellschaften und der elektronischen Aktie über die vieldiskutierte Wiederbelebung von Mehrstimmrechtsaktien bis hin zu diversen Regelungen, welche die Aufnahme von Eigenkapital erleichtern sollen. Zu diesem Zweck ist das Recht der Kapitalerhöhung in mehrfacher Hinsicht geändert worden. Für die Barkapitalerhöhung besteht die wichtigste Änderung darin, dass das zulässige Volumen eines vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses von 10 % auf 20 % des Grundkapitals erhöht worden ist (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG). Daneben ist sowohl für Bar- als auch für Sachkapitalerhöhungen der Wertverwässerungsschutz bei Ausschluss des Bezugsrechts von Grund auf neu geregelt worden (§ 255 Abs. 2, Abs. 4-7, §§ 255a, 255b AktG), um die Transaktionssicherheit bei ordentlichen Kapitalerhöhungen zu erhöhen. Die Neuregelung wirft eine Reihe von Fragen auf, denen im Folgenden am Beispiel der Sachkapitalerhöhung, für die der Wertverwässerungsschutz in erster Linie Bedeutung hat, nachgegangen werden soll.

II. Grundlagen

1. Bisherige Rechtslage

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Nach bisherigem Recht verhielt es sich bekanntlich so, dass Hauptversammlungsbeschlüsse über Sachkapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss nach § 255 Abs. 2 AktG a.F. anfechtbar waren, wenn der Wert der Sacheinlage im Verhältnis zum Wert der neu ausgegebenen Aktien unangemessen niedrig war. Da man über die hierfür erforderliche vergleichende Bewertung praktisch immer streiten kann, musste jedenfalls bei Publikumsgesellschaften stets damit gerechnet werden, dass ein Aktionär gestützt auf die Bewertungsrüge Anfechtungsklage erheben würde. Damit drohte das Risiko einer Blockade der Kapitalerhöhung, die auf Grundlage der obergerichtlichen Rechtsprechung auch im Freigabeverfahren (§ 246a AktG) nicht verlässlich genug abgewendet werden konnte. Eine offensichtliche Unbegründetheit der Anfechtungsklage (§ 246a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG) ließ sich bei Bewertungsrügen kaum begründen, und auch ein überwiegendes Vollzugsinteresse (§ 246a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AktG) wurde von den Gerichten – wenn auch z.T. mit fragwürdiger Begründung – mehrfach verneint. Für die Praxis ergab sich daraus die Konsequenz, dass von ordentlichen Sachkapitalerhöhungen jedenfalls bei börsennotierten Gesellschaften meist von vornherein Abstand genommen wurde. Nach Möglichkeit wich man auf das genehmigte Kapital aus, das aber nur in begrenztem Umfang zur Verfügung steht. Großvolumige Sachkapitalerhöhungen, etwa zur Übernahme eines großen anderen Unternehmens, standen den deutschen Aktiengesellschaften daher praktisch nicht oder nur unter Inkaufnahme gravierender Transaktionsrisiken zur Verfügung. Der daraus resultierende Wettbewerbsnachteil der deutschen Unternehmen gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten wurde schon seit längerem beklagt.

2. Eckpunkte der Neuregelung im Überblick

a) Ausgleich im Spruchverfahren statt Anfechtung wegen Bewertungsrüge

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Als Abhilfe war dem Gesetzgeber immer wieder empfohlen worden, die Bewertungsrüge als Anfechtungsgrund auszuschließen und die Altaktionäre stattdessen im Fall der Wertverwässerung durch einen im Spruchverfahren geltend zu machenden Ausgleichsanspruch gegen die AG zu schützen. Genau diesen Schritt hat das ZuFinG nunmehr vollzogen: § 255 Abs. 2 AktG n.F. schließt die Bewertungsrüge von der Anfechtung aus, damit sie die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung und damit ihr Wirksamwerden (§ 189 AktG) nicht mehr verzögern kann. Im Gegenzug ist in § 255 Abs. 4-7 AktG für den Fall eines zu Lasten der Altaktionäre unangemessenen Wertverhältnisses ein Ausgleich vorgesehen, der im Spruchverfahren bestimmt wird und von der AG nach §§ 255a, 255b AktG nicht nur in bar, sondern auch in Aktien geleistet werden kann. Wie auch sonst im Spruchverfahren entfaltet die gerichtliche Entscheidung Wirkung erga omnes (§ 13 Satz 2 SpruchG). Die Neuregelung findet ohne Übergangsfrist auf Hauptversammlungen Anwendung, die ab dem 15.12.2023 einberufen werden (§ 26p EGAktG).

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Dass sich der Gesetzgeber zu diesem Schritt entschlossen hat, überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass das UmRUG die Parallelfrage zur Verschmelzung einige Monate zuvor bereits ebenso entschieden hatte. Seither ist im Rahmen der Verschmelzung nicht mehr nur für die Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers, sondern auch für die Anteilseigner des übernehmenden Rechtsträgers die Bewertungsrüge als Anfechtungsgrund ausgeschlossen (§ 14 Abs. 2 UmwG n.F.). Auch hier sind die Anteilseigner im Fall eines unangemessenen Umtauschverhältnisses stattdessen auf den im Spruchverfahren zu bestimmenden Ausgleich verwiesen (§ 15 UmwG), der bei Aktiengesellschaften statt in bar auch in Aktien geleistet werden kann (§§ 72a, 72b UmwG).

b) Neue Bewertungsregel für börsennotierte Gesellschaften
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Allerdings hat es der Gesetzgeber nicht dabei belassen, die im UmRUG für die Verschmelzung getroffene Regelung zum Anfechtungsausschluss der Bewertungsrüge und zum Ausgleich im Spruchverfahren auf die Sachkapitalerhöhung zu übertragen. Vielmehr hat er in § 255 Abs. 5 AktG zusätzlich noch eine neue Bewertungsregel eingeführt, die in börsennotierten Gesellschaften für die Bewertung der neu ausgegebenen Aktien aus Gründen der Vereinfachung eine – wie noch zu zeigen sein wird (Rz. 14 ff.) – über das bisherige Recht hinausgehende und in dieser Form nicht unproblematische Maßgeblichkeit des Börsenkurses anordnet.

c) Aber: kein Spruchverfahren beim genehmigten Kapital
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Anders als noch im Referentenentwurf vorgesehen (§ 255 Abs. 3 Satz 3 AktG‑RefE) hat der Gesetzgeber davon abgesehen, den neuen Ausgleichsanspruch und das Spruchverfahren auch auf Kapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital zu erstrecken. Damit wird der Anwendungsbereich des neuen Regimes ganz wesentlich eingeschränkt. Beim genehmigten Kapital bleibt es vielmehr bei dem – aus Sicht der Aktionäre deutlich schwächeren – Rechtsschutz, den der BGH in der Mangusta/Commerzbank-Entscheidung etabliert hat (keine Anfechtung der Ausnutzungsentscheidung, stattdessen [theoretisch] vorbeugende Unterlassungsklage oder Feststellungsklage, anschließend ggf. Schadensersatz). Diese Entscheidung des Gesetzgebers mag zunächst fragwürdig erscheinen, da bei Kapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital dieselbe Verwässerungsgefahr besteht, wenn auch graduell gemindert durch das typischerweise geringere Volumen der Kapitalmaßnahme. Aus dem Blickwinkel des Aktionärsschutzes wäre es daher konsequent gewesen, Ausgleich und Spruchverfahren auch hier vorzusehen. Die entsprechende Regelung des Referentenentwurfs war in der unternehmensnahen Praxis aber auf entschiedene Kritik gestoßen. In der Tat ist nicht zu übersehen, dass ...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.05.2024 11:11
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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