Aktuell in der AG

Mandatierung von Finanzberatern durch die Seite der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (Seibt/Bulgrin, AG 2018, 417)

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob der Seite der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ein Anspruch auf Mandatierung eines vorrangig die Interessen der Arbeitnehmer im Unternehmen berücksichtigenden (Finanz-)Beraters auf Kosten der Gesellschaft zusteht, analysiert insoweit die Rechtslage und schlägt eine Lösung für die Unternehmenspraxis vor, die einerseits die Position des Gesamtaufsichtsrates und seiner Interessensausrichtung auf das Unternehmenswohl schützt und andererseits die besondere Interessenausrichtung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat berücksichtigt.

I. Einführung
II. Rechtliche Zulässigkeit der Mandatierung von Finanzberatern durch den Aufsichtsrat
1. Beauftragung von Finanzberatern durch die Aufsichtsratsseite der Arbeitnehmervertreter
2. Beauftragung von Finanzberatern durch den Gesamtaufsichtsrat
a) Allgemeine Vertretungskompetenzen des Gesamtaufsichtsrats
b) Rechtsgrundlage für die Beauftragung externer Finanzberater
aa) Aufsichtsratskompetenz gem. §§ 109 Abs. 1 Satz 2, 111 Abs. 2 Satz 2 AktG?
bb) Ungeschriebene Annexkompetenz des Aufsichtsrats
c) Voraussetzungen für die Beauftragung externer Berater
aa) Vorliegen eines inhaltlich beschränkten und konkreten Auftrags
bb) Überschreitung der gesetzlichen Mindestqualifikation eines Aufsichtsrats
cc) Keine Möglichkeit der gesellschaftsinternen Aufklärung („Erforderlichkeit“)
dd) Ausschließlich zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben im Interesse des Unternehmens
ee) Pflicht zur Geheimhaltung
d) Recht zur Beauftragung auch mit einseitiger Interessenausrichtung?
3. Beauftragung von Finanzberatern durch einzelne Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite
III. Zusammenfassende Ergebnisse


I. Einführung

Die Komplexität von Restrukturierungen und M&A-Transaktionen, die über den deutschen Jurisdiktionsrahmen hinausgreifen, haben in der zurückliegenden Dekade signifikant zugenommen. Dies liegt u.a. an der international gestiegenen Regulierungsdichte von Restrukturierungen und M&A-Transaktionen, den durch die Leitbegriffe Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity („VUCA“) gekennzeichneten Rahmenbedingungen sowie an den neuen Kommunikations- und Medienkanälen der von dieser Maßnahme Betroffenen. Der Erfolg solcher komplexen Restrukturierungen und M&A-Transaktionen ist daher in weitem Umfang davon abhängig, dass die Geschäftsleitung einen sorgfältigen Multi Stakeholder-Prozess durchführt, der zum einen die Transaktionsbeendigung technisch (also den Erhalt aller notwendigen Zustimmungen) und zum anderen auch den mit der Transaktion verfolgten mittelfristigen Wirtschaftserfolg (z.B. erfolgreiche Konzernintegration und nachhaltige Wertsteigerung) sicherstellt. In diesem Rahmen ist auch die rechtzeitige Prozesseinbindung der zuständigen Arbeitnehmervertreter sowie eine interessenangepasste Kommunikation und Diskussion des Projektes mit diesen erfolgskritisch. Umgekehrt ist insbesondere bei Unternehmen mit mitbestimmten Aufsichtsräten in den letzten Jahren verstärkt zu beobachten, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (regelmäßig über den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden bei paritätisch mitbestimmten Unternehmen) zwei Forderungen stellen, nämlich zum einen nach Hinzuziehung eines Finanz- oder Strategieberaters zur Evaluierung des von der Geschäftsleitung vorgestellten Konzepts und ggf. zur Erarbeitung von Alternativkonzepten sowie zum anderen nach einer vertraglichen Absicherung bestimmter Interessen der Arbeitnehmer, entweder im Rahmen einer Zusammenschlussvereinbarung (Business Combination Agreement; BCA) oder einer speziellen Betriebsvereinbarung (oder gar eines Tarifvertrages) mit dem eigenen Unternehmen (in letzter Zeit häufig „Zukunftsvereinbarung“ genannt).

Dieser Beitrag beschäftigt sich ausschließlich mit der ersten Forderung nach Mandatierung von (Finanz-)Beratern zur Unterstützung der Überwachungs- und Beratungstätigkeit spezifisch der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Eine solche Mandatierung ist in einer Reihe besonders medienbeachteter Restrukturierungen und M&A-Transaktionen erfolgt. Dabei wird zuweilen von den Arbeitnehmervertretern und den von diesen in den Blick genommenen Beratern die Auffassung vertreten, die Seite der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat könne autonom, d.h. ohne Abstimmung mit dem Gesamtgremium, über diese Mandatierung auf Kosten der Gesellschaft entscheiden. Dieser Beitrag analysiert die Rechtslage und schlägt vor diesem Hintergrund eine praktikable Lösung vor, die einerseits die Rechtsposition des Gesamtaufsichtsrates und seine Bindung an das Unternehmenswohl schützt und andererseits die besondere Interessenausrichtung der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat berücksichtigt, und zwar dies gerade um den Multi Stakeholder-Prozess im Unternehmensinteresse zielorientiert zu führen. Die Mandatierung von (Finanz-)Beratern erfolgt hiernach auf der Grundlage eines Aufsichtsratsbeschlusses, wobei im Mandatsvertrag (i) als Hauptansprechpartner ein Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (regelmäßig der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende bei paritätisch mitbestimmten Unternehmen) bestimmt sein und (ii) eine besondere Beratungsausrichtung und Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitnehmer festgeschrieben werden kann. Die Arbeit dieses Beraters ist dann für das Gesamtgremium transparent, dessen Arbeitsprodukte sind für alle Aufsichtsratsmitglieder zugänglich zu halten und der Berater steht für eine Diskussion im Gesamtgremium zur Verfügung. Bei der Analyse der Rechtslage wird im Folgenden unterschieden, ob und inwieweit Beratungsverträge durch die „Seite der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat“ (sub II. 1.), den Gesamtaufsichtsrat (sub II. 2.) oder durch einzelne Aufsichtsratsmitglieder (sub II. 3.) im Innen- und Außenverhältnis rechtlich wirksam für die Gesellschaft abgeschlossen werden können.

II. Rechtliche Zulässigkeit der Mandatierung von Finanzberatern durch den Aufsichtsrat

1. Beauftragung von Finanzberatern durch die Aufsichtsratsseite der Arbeitnehmervertreter

Neben dem Gesamtaufsichtsrat ist im Gefüge der Binnenorganisation bisher nur der Ausschuss als eigenständige Organisationseinheit mit gewisser Dauerhaftigkeit anerkannt (vgl. § 107 Abs. 3 AktG). Die „Seite der Arbeitnehmervertreter“ wird organisationsrechtlich dagegen nicht als ein generell rechtlich eigenständiges, zur Selbstorganisation und Institutionalisierung fähiges Gebilde qualifiziert. Entsprechend wird sie vom Gesetzgeber (...)

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.06.2018 14:13
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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