Aktuell in der AG

Kostenlose Serviceleistungen der Aktiengesellschaft an einzelne Aktionäre (Schockenhoff/Nußbaum, AG 2019, 321)

Groß- und Ankeraktionäre haben meist eine engere Beziehung zur Gesellschaft als Kleinaktionäre. Die Praxis zeigt, dass sie häufig von der Gesellschaft Hilfestellung bei der Verwaltung ihrer Aktien, insbesondere Serviceleistungen, erhalten. Ein Bedarf hierfür besteht insbesondere bei börsennotierten Aktiengesellschaften mit einem Familienkonsortium als Mehrheits-, Groß- oder Ankeraktionär. Derartige Vorteile, die nicht allen Aktionären gewährt werden, sind nicht per se unzulässig, müssen aber im wohlverstandenen Gesellschaftsinteresse liegen, dem Gebot gleichmäßiger Behandlung standhalten und dürfen nicht zu einer verbotenen Einlagenrückgewähr führen. Der Beitrag zeigt die Anforderungen und Grenzen derartiger Serviceleistungen an einzelne Aktionäre und Aktionärsgruppen auf.

I. Einleitung

II. Neutralitätspflicht des Vorstands

1. Keine strikte Neutralitätspflicht des Vorstands  außerhalb von Übernahmesituationen

2. Schranken der Beeinflussung von Aktionären  außerhalb von Übernahmesituationen

a) Unternehmerinteresse

b) Verhältnismäßigkeit

c) Fehlen eigennütziger Interessen

III. Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller  Aktionäre (§ 53a AktG)

IV. Verbot der Einlagenrückgewähr

V. Fälle zulässiger und unzulässiger Serviceleistungen

1. Verwaltungsdienstleistungen

2. Einladungen

3. Privilegierte Information bestimmter Aktionäre oder Aktionärsgruppen

VI. Zusammenfassung


I. Einleitung

Nach Entstehungsgeschichte und gesetzlicher Ausgestaltung ist die Aktiengesellschaft nicht auf intensiven Kontakt zwischen der Verwaltung und den Aktionären ausgelegt. Die Aktionäre sind Kapitalgeber, nicht Mitunternehmer. Wenn die Gesellschaft nur Inhaberaktien ausgegeben hat, müssen sie der Gesellschaft nicht einmal bekannt sein (§ 10 Abs. 1 Satz 2, § 67 Abs. 1 AktG). Historisch blieb der einzelne Aktionär typischerweise anonym, was heute noch in den Rechtsformbezeichnungen Societé Anonyme (Frankreich), Società Anonima (Italien) oder Sociadad Anonima (Spanien) zum Ausdruck kommt.

In diesem Regelungsmodell ist eine besondere Betreuung einzelner Aktionäre durch die Verwaltung nicht vorgesehen. Nach dem deutschen Aktiengesetz haben die Aktionäre das Recht, in der Regel einmal jährlich zur Hauptversammlung zu erscheinen und dort Fragen zu stellen. Sie entscheiden über die Verwendung des Bilanzgewinns, wählen den Aufsichtsrat, den Abschlussprüfer und stimmen über die Entlastung der Verwaltung ab. Dies ist das gesetzliche Regelprogramm; weitere wiederkehrende Kontakte zwischen Vorstand und Aktionären sind nicht vorgeschrieben.

Indessen entsprechen viele Aktiengesellschaften nicht diesem „Urmodell“. In kleineren Aktiengesellschaften mit überschaubarer Gründerzahl kannte man sich immer schon, insbesondere dann, wenn alle Aktionäre zu einer oder wenigen Familien gehörten. Nicht selten hat der Vorstand die Aktionäre bei der Verwaltung ihrer Aktien unterstützt, beispielsweise durch Vorabinformation der Aktionäre vor der Hauptversammlung, die Bereitstellung von Sitzungsräumen für Aktionärstreffen, den Versand von Einladungen zu Aktionärstreffen, Hilfestellung bei der Abgabe der Steuererklärungen, Einladungen zu Abendessen oder Unterstützung bei der Vererbung von Aktien. Dies alles ist wenig aufregend, wenn auch rechtlich nicht ganz trivial, solange die Gründer oder Familienaktionäre unter sich sind.

Wenn andere Aktionäre aufgenommen werden, die diese Leistungen nicht erhalten, ändert sich das Bild, insbesondere dann, wenn die Gesellschaft an die Börse gebracht wird. Häufig behalten sich die Familiengesellschafter die Mehrheit oder jedenfalls eine Sperrminorität zurück, oder sie sichern ihren Einfluss dadurch, dass die neuen Aktien als stimmrechtslose Vorzugsaktien ausgegeben werden. In diesen Fällen steigt typischerweise der Bedarf der Familienaktionäre an Betreuung durch die Verwaltung. Sie möchten künftig ihr Stimmrechtsverhalten koordinieren, das Familienkonsortium muss organisiert und verwaltet werden. Wegen des Grundsatzes der Zusammenrechnung der Stimmrechte (§ 34 Abs. 2 WpHG; § 30 Abs. 2 WpÜG) müssen sie sorgfältig darauf achten, dass ...
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.05.2019 16:53
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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