Aktuell in der AG

Zur Strafbarkeit eines unterlassenen, verspäteten oder verfrühten Aufschubs von der Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht (Vaupel/Oppenauer, AG 2019, 502)

Derzeit häufen sich staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen Organmitglieder börsennotierter Unternehmen wegen des Verdachts auf Marktmanipulation, weil diese möglicherweise Insiderinformationen zu spät veröffentlicht haben. Gerade bei Unternehmenstransaktionen schieben Emittenten regelmäßig Ad-hoc-Veröffentlichungen durch Beschluss auf. Damit stellt sich die Frage der Rechtsfolge bzw. Strafbarkeit eines Aufschubs der Veröffentlichung zum falschen Zeitpunkt: Ist ein verspäteter Aufschub von der Ad-hoc-Veröffentlichung mit einer verspäteten Veröffentlichung gleichzusetzen und stellt damit eine strafbare Marktmanipulation und Ordnungswidrigkeit dar? Und ist ein verfrühter Aufschub unwirksam mit der Folge, dass auch hier eine Marktmanipulation und Ordnungswidrigkeit vorliegen können, wenn der Aufschub nicht zum „richtigen“ Zeitpunkt nochmals nachgeholt wird?

I. Zeitpunkt des Entstehens der Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht

1. Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht von Insiderinformationen

2. Präzise Informationen

3. Zwischenschritte als präzise Information

4. Erhebliches Kursbeeinflussungspotenzial

a) Verständiger Anleger

b) Zusammenhang von Aktienkurs und Unternehmenswert

aa) Bewertung eines Unternehmens im Allgemeinen

bb) Hypothese der Effizienz der Kapitalmärkte

cc) Besonderheiten bei der Bewertung eines börsennotierten Unternehmens durch den Kapitalmarkt

dd) Exkurs – alte Rechtslage

c) Finanzmathematische Bewertung zukünftiger  Ereignisse

d) Rechtliche Behandlung des Probability/Magnitude-Tests

e) Zuweisung von Wahrscheinlichkeiten bei  Zwischenschritten

f) Erheblichkeit und Schwellenwerte

g) Richtung des erwarteten Kursausschlags

II. Aufschub der Veröffentlichung

1. Voraussetzungen eines Aufschubs

2. Notwendigkeit eines ausdrücklichen Beschlusses

III. Rechtsfolgen eines verspäteten oder unterlassenen Aufschubs der Veröffentlichung

1. Marktmanipulation

2. Sanktionen bei Vorliegen einer Marktmanipulation

3. Marktmanipulation durch Unterlassen einer Ad-hoc-Veröffentlichung

4. Verspäteter Aufschub ist nicht gleichzusetzen mit verspäteter Veröffentlichung

5. Ordnungswidrigkeit

IV. Verfrühter Aufschub der Veröffentlichung

V. Ergebnis
 

I. Zeitpunkt des Entstehens der Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht
Um die Frage der Rechtsfolge eines verspäteten oder verfrühten Aufschubs einer Ad-hoc-Veröffentlichung zu beantworten, ist vorab zu klären, zu welchem genauen Zeitpunkt die Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht überhaupt entsteht.

1. Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht von Insiderinformationen
Börsennotierte Unternehmen müssen Insiderinformationen, die sie unmittelbar betreffen, unverzüglich im Wege einer Ad-hoc-Mitteilung veröffentlichen. Insiderinformationen sind legal definiert als nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen. Die nachfolgende Darstellung bezieht sich ausschließlich auf Aktien. Andere Finanzinstrumente sollen in diesem Beitrag außer Betracht bleiben.

2. Präzise Informationen
Eine Information ist präzise, wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits gegeben sind oder bei denen man vernünftigerweise erwarten kann, dass sie in Zukunft gegeben sein werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder von dem vernünftigerweise erwartet werden kann, dass es in Zukunft eintreten wird, und diese Informationen darüber hinaus spezifisch genug sind, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf den Kurs des Finanzinstruments zuzulassen. Damit wird grundsätzlich zwischen bereits gegebenen Umständen und eingetretenen Ereignissen und zukünftigen Umständen und Ereignissen unterschieden. Bei bereits gegebenen Umständen und eingetretenen Ereignissen hat der Emittent aufgrund des Gegenwarts- bzw. Vergangenheitsbezugs keinen Einfluss auf deren Eintritt. In diesen Fällen tritt die Veröffentlichungspflicht mit Eintritt der Umstände bzw. Ereignisse ein, sofern dies den Emittenten oder seine Finanzinstrumente betrifft und erheblich kursbeeinflussend ist. Bei zukünftigen Umständen bzw. Ereignissen ist dies auf Grund der Unsicherheit deren tatsächlichen Eintritts anders. Hier stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt man vernünftigerweise erwarten kann, dass die Umstände bzw. Ereignisse in Zukunft gegeben bzw. eingetreten sein werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist dies dann der Fall, wenn tatsächlich erwartet werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden. Dabei geht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht („BaFin“) davon aus, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt solcher Umstände bzw. Ereignisse (50 % + x) vorliegen muss, um eine Veröffentlichungspflicht bejahen zu können.

3. Zwischenschritte als präzise Information
Für Unternehmenstransaktionen ist es typisch, dass diese erst nach Ablauf eines bestimmten Prozesses zustande kommen und auch scheitern können. Üblicherweise steht am Anfang die erste Kontaktaufnahme der Parteien, gefolgt von der Unterzeichnung einer Vertraulichkeitsvereinbarung, der Abgabe eines indikativen Angebots, dem Zugang zum Datenraum, Gesprächen und Verhandlungen, und es bedarf, selbst wenn sich ...

 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.07.2019 14:16
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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