OLG Stuttgart v. 1.7.2020 - 16a W 3/20

Erfolgreiches Ablehnungsgesuch der Daimler AG gegen Richter in Diesel-Abgas-Verfahren

Das OLG Stuttgart hat eine Entscheidung des LG Stuttgart aufgehoben und das Ablehnungsgesuch gegen einen Richter am LG in einem gegen die Daimler AG geführten Schadensersatzprozess für begründet erklärt.

Der Sachverhalt:
Der vorliegend abgelehnte Richter hatte in 21 Verfahren, in denen der Daimler AG vorgeworfen wird, die jeweiligen Kläger durch den Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen geschädigt zu haben, einen gemeinsamen Verhandlungstermin bestimmt. Die Verfahren stammten aus zwei Zivilkammern des LG Stuttgart, in denen der Richter bis zum Jahresende jeweils hälftig tätig war. In dem Verhandlungstermin hatte der als Einzelrichter tätige Richter u.a. eine 73 Seiten umfassende eigene Stellungnahme zu rechtspolitischen Fragen und zur Rechtslage verlesen und den Prozessbeteiligten ausgehändigt. Am Ende der Verhandlung hatte er alle Verfahren des Sammeltermins zu einem Verfahren verbunden, um dieses dem EuGH vorzulegen. Das vorliegende Verfahren war nicht Gegenstand des Sammeltermins.

Das LG wies das Ablehnungsgesuch der Daimler AG zurück. Die Beklagte habe ihr Ablehnungsrecht gem. § 43 ZPO verloren, da sie den Antrag nicht bereits in dem Sammeltermin gestellt habe. Das OLG hob die Entscheidung des LG auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hin auf und erklärte das Ablehnungsgesuch für begründet. Der abgelehnte Richter kann in diesem Verfahren nicht mehr tätig werden. Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel.

Die Gründe:
Entgegen der Ansicht des LG entfaltet ein möglicher Verlust des Ablehnungsrechts in den Verfahren des Sammeltermins jedenfalls keine Wirkung für das vorliegende Verfahren. Auch liegen die Voraussetzungen einer Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters vor: Die materiell- und verfahrensrechtlichen Umstände sind in ihrer Gesamtheit geeignet, aus Sicht einer vernünftigen Partei in der Rolle der Beklagten, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit dieses Richters zu begründen.

So erweckt die 73-seitige Protokollanlage den Eindruck, dass der abgelehnte Richter den im Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatz verletze, indem er einseitig zum Nachteil der Beklagten den Sachverhalt erforscht. Auch stellt er die Rechtslage zur Frage der Nutzungsentschädigung zum Nachteil der Beklagten verfälschend dar. Er setzt die Daimler AG mit der VW AG und den dieser gemachten Täuschungsvorwürfen gleich, ohne sich dabei auf eine erwiesene Tatsachengrundlage zu stützen. Der abgelehnte Richter erweckt den Eindruck, dass er nicht nur den Tatsachenvortrag der Parteien darstellt, sondern eine im Zivilverfahren unzulässige Amtsermittlung betreibt.

Der Richter vermittelt den Eindruck, zwischen der VW AG und der Beklagten nicht zu differenzieren. Dabei entfaltet auch der Umstand Bedeutung, dass die Ehefrau des abgelehnten Richters gegen die VW AG eine Klage wegen sittenwidriger Schädigung führt. Die Daimler AG muss daher befürchten, dass der Richter mit der öffentlichkeitswirksamen Protokollanlage nicht nur in den Verfahren des Sammeltermins, sondern auch im vorliegenden Verfahren aus einer privaten Motivation heraus eine für sie ungünstige Rechtsauffassung vertritt.

Die Besorgnis der Befangenheit des Richters folgt zudem aus einer grob verfahrensfehlerhaften Prozessführung. So hat der abgelehnte Richter wissentlich in unzulässiger Weise spruchkörperübergreifend Verfahren zweier Zivilkammern ohne Zustimmung der Parteien und ohne eine Grundlage im Geschäftsverteilungsplan verbunden. Des Weiteren hat er vor der Vorlage der Verfahren an den EuGH diese nicht den jeweiligen Zivilkammern zur Entscheidung über eine mögliche Übernahme durch die Kammern wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Verfahren vorgelegt.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.07.2020 14:41
Quelle: OLG Stuttgart PM vom 2.7.2020

zurück zur vorherigen Seite