BFH v. 27.10.2020 - VIII R 18/17

Nachweis der Einlagenrückgewähr bei Ausschüttungen einer EU-Kapitalgesellschaft im Steuerfestsetzungsverfahren des Anteilseigners

Fragen der Vereinbarkeit des von der ausschüttenden EU-Kapitalgesellschaft zu betreibenden Feststellungsverfahrens gem. § 27 Abs. 8 KStG mit höherrangigem Recht hinsichtlich des grundsätzlichen Erfordernisses des Verfahrens, der Antragstellung und -frist, der Anforderungen an den Nachweis einer Einlagenrückgewähr und der Mitwirkungs- und Antragsrechte des Anteilseigners sind nicht im Rahmen der Veranlagung des Anteilseigners zu klären.

Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die von dem Kläger im Streitjahr 2011 aus einer österreichischen Kapitalgesellschaft (der I-AG) bezogene Ausschüttung gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG aufgrund einer Einlagenrückgewähr als nicht steuerbarer Kapitalertrag zu behandeln ist. Der Kläger war im Streitjahr an der in Wien ansässigen I-AG mit 307.500 Inhaberaktien beteiligt. Die I-AG hatte ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr, das zum 30.4.2011 endete. Im September 2011 fasste die Hauptversammlung der I-AG den Beschluss, aus dem Bilanzgewinn der Gesellschaft im Wirtschaftsjahr 2010/2011 einen Betrag von 0,10 € pro Aktie (an den Kläger: 30.750 €) auszuschütten. Nach der Dividendenbekanntmachung der I-AG handelte es sich bei der ausgeschütteten Dividende nach österreichischem Steuerrecht um eine Einlagenrückzahlung gem. § 4 Abs. 12 EStG-Österreich.

Bei Gutschrift der Ausschüttung der I-AG im Depot des Klägers erteilte die depotführende Bank dem Kläger am 11.10.2011 eine Abrechnung. In dieser war die Ausschüttung i.H.v. 30.750 € unter Bezug auf Rz 92 des BMF-Schreibens vom 22.12.2009 (IV C 1-S 2252/08/10004) als kapitalertragsteuerpflichtige Dividende ausgewiesen. Die Depotbank verrechnete die Kapitalerträge aus der Dividende mit negativen Kapitalerträgen i.H.v. rd. 8.000 € und behielt Kapitalertragsteuer von einer Bemessungsgrundlage i.H.v. rd. 22.600 € ein.

Der Kläger wird für das Streitjahr allein zur Einkommensteuer veranlagt. In seiner Einkommensteuererklärung erklärte er Einkünfte aus Kapitalvermögen aus verschiedenen Quellen. Er beantragte die Überprüfung des Steuereinbehalts gem. § 32d Abs. 4 EStG mit der Begründung, bei der Ausschüttung der I-AG handele es sich um eine nicht steuerbare Einlagenrückzahlung. Dem folgte das Finanzamt im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nicht.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BFH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Bezug des Klägers von der AG ist als steuerpflichtiger Kapitalertrag gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG und nicht als Einlagenrückgewähr gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG zu berücksichtigen.

Bezüge des inländischen Anteilseigners von ausländischen (EU- und Drittstaaten-)Kapitalgesellschaften in Geld oder Geldeswert (§ 8 Abs. 1 EStG) gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, soweit die Vorteilszuwendung nicht als Einlagenrückgewähr zu werten ist. Unerheblich ist dabei, ob die Bezüge zu Lasten des Gewinns oder zu Lasten der Vermögenssubstanz der Gesellschaft geleistet werden und in welcher Form die Vorteilszuwendung ausgestaltet ist. § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG ordnet an, dass, soweit Leistungen nicht als Fall der Einlagenrückgewähr gem. § 27 Abs. 8 Satz 1 KStG gesondert festgestellt werden, sie als Gewinnausschüttung gelten, die beim Anteilseigner zu Einnahmen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG führen.

Da für die Ausschüttung der AG i.H.v. 30.750 € nicht gesondert festgestellt worden war, dass es sich um eine Einlagenrückgewähr gem. § 27 Abs. 8 Sätze 1 und 2 KStG handelt, gilt die Ausschüttung gem. § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG als steuerpflichtige Gewinnausschüttung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG an den Kläger. Deutschland als Ansässigkeitsstaat des unbeschränkt steuerpflichtigen Klägers (§ 1 Abs. 1 EStG) darf die Ausschüttung der AG, welche gem. § 4 Abs. 12 EStG-Österreich aus österreichischer Sicht eine Einlagenrückgewähr an den Kläger darstellt, nach dem DBA - Österreich besteuern. Nach Art. 10 Abs. 1 und Abs. 3 DBA-Österreich steht Deutschland als Wohnsitzstaat ein Besteuerungsrecht für Dividenden zu. Dividenden gem. Art. 10 Abs. 3 Satz 1 DBA-Österreich sind u.a. Einkünfte aus Aktien, zu denen auch Einlagenrückzahlungen i.S.d. § 4 Abs. 12 EStG-Österreich gehören.

Soweit der Kläger geltend macht, das beim BZSt zu betreibende Feststellungsverfahren gem. § 27 Abs. 8 KStG sei mit dem Unions- und Verfassungsrecht nicht vereinbar, waren diese Fragen im vorliegenden Verfahren, das die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr betrifft, nicht zu behandeln. Denn sämtliche verfassungs- und unionsrechtlichen Zweifelsfragen betreffen das von der EU-Kapitalgesellschaft zu betreibende Feststellungsverfahren gem. § 27 Abs. 8 KStG und sind nur im Rahmen eines Klageverfahrens gegen einen (ggf. negativen) gesonderten Feststellungsbescheid zu entscheiden, der gem. § 27 Abs. 8 Satz 3 KStG materiell-rechtliche Bindungswirkung für die Steuerfestsetzung des Anteilseigners entfaltet. Hiervon zu unterscheiden ist die hier ausschließlich zu betrachtende Frage, ob dem Kläger nach den Vorgaben des Verfassungs- und/oder Unionsrechts eine vom Feststellungsverfahren gem. § 27 Abs. 8 KStG losgelöste Nachweisführung einer Einlagenrückgewähr für die von einer EU-Kapitalgesellschaft bezogene Ausschüttung einzuräumen ist.

Der BFH entschied weiterhin, dass der Kläger nicht dadurch in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist, dass § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG bei ihm das Vorliegen einer steuerpflichtigen Gewinnausschüttung allein deshalb fingiert, weil die EU-Kapitalgesellschaft das Feststellungsverfahren gem. § 27 Abs. 8 KStG nicht betreibt. Ob aufgrund der fehlenden individuellen Nachweismöglichkeit einer Einlagenrückgewähr für Anteilseigner von EU-Kapitalgesellschaften ein Verstoß gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit in Art. 63 AEUV vorliegen könnte, war im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Selbst wenn man dem Kläger diese Möglichkeit zubilligen würde, waren vorliegend keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Ausschüttung der AG als Einlagenrückgewähr zu qualifizieren sein könnte. Der BFH sah daher keinen Grund, eine Aussetzung des Verfahrens gem. § 74 FGO oder die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV zu veranlassen.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.02.2021 14:00
Quelle: BFH online

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